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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das irische Kabinet des Vizekönigs, das den Willen dieser Mehrheit darstellt,
würde abbaute", ein andres könnte er nicht bilden. Das Parlament schritte
zur Verweigerung der nötigen Gelder, eine Auflösung in einem solchen Fall,
wo das nationale Gefühl entstammt wäre, würde die Lage nnr noch ver¬
schlimmern. Schließlich bliebe dein Reichsparlament nur übrig, nachzugeben
oder zur ultima r-rtio einer bewaffneten Einmischung und damit zum Bürger¬
kriege zu greifen.

Die feierliche Oberhoheitserkiärnng, auf die sich Glndestoue viel zu gute
thut, da er nach der scholastischen Richtung seines Geistes einen große"
Glauben an Worte hat, lautet: "Vorausgesetzt, daß unbeschadet irgend einer
Bestimmung in diesem Gesetz die Oberhoheit und oberste Autorität des Par¬
laments des Vereinigten Königreichs über alle Personen, Materien und Dinge
in den Landen der Königin (unangetastet und ungemindert) bestehen bleibt" --
offenbar ein bloßes Spiel mit dem Doppelsinn der Worte "Oberhoheit des
Reichsparlaments." Die Oberhoheit, ans deren Wahrung es den Unionisteu
allein ankommt, ist die, die das Parlament hente in England so gut wie in
Irland ausübt, nämlich thatsächliche Kontrolle der ganzen Gesetzgebung und
Verwaltung. Würde diese unangetastet und ungemindert bleiben? Selbst¬
verständlich nicht. Die Oberhoheit über ein Homerule-Irland wäre nichts
andres als die rein theoretische, die das Reichsparlament heute noch in
Australien und Kanada ausübt. Was Großbritannien allein bliebe, ist seine
in der Natur begründete Überlegenheit über die ärmere und schwächere
Schwesteriusel. Mit Waffengewalt kann es ein widerspenstiges irisches Par¬
lament immer zum Nachgeben zwingen, und das einzige Verdienst dieser Er¬
klärung ist daher, daß sie die Anwendung von Gewalt, d. h. den Bürgerkrieg,
ohne Bruch der Rechtsordnung unmöglich macht.

Mit der Frage der Oberhoheit des Neichsparlcnnents steht die Frage,
was mit der irischen Vertretung in Westminster geschehen solle, in engster
Beziehung. Wenn nicht alles täuscht, wird diese Frage bei den nächsten all¬
gemeinen Wahlen eine entscheidende Rolle spielen und in ihrer neuen Lösung
Gladstones Plänen eben so gefährlich werden, wie 1886 im alten Gewände.
In keinem Punkte der ganzen Bill treten die innern Widersprüche seiner Home-
rulepvlitik in so greifbarer, für den Dnrchschuittswähler so handgreiflicher
Form zu Tage wie hier. Darin liegt der hohe Agitationswert dieser Klausel.
Die Geschichte dieses Paragraphen (früher 9, jetzt 8 10) ist für Gladstones
ganzes Verhalten seit seinem Frontwechsel im Spätherbst 1885 ungemein be¬
zeichnend. In der ersten Homernlebill schlug er die gänzliche Ausschließung
der irischen Vertretung aus dem Neichsparlament vor und bezeichnete diese
Ausschließung als den Hauptvorteil, der sich ans seiner Politik für Gro߬
britannien ergebe; sie befreie das britische Parlament mit einem Schlage von
aller irischen "Obstruktion." Irland wäre damit in Bezug ans diesen Punkt


Das irische Kabinet des Vizekönigs, das den Willen dieser Mehrheit darstellt,
würde abbaute», ein andres könnte er nicht bilden. Das Parlament schritte
zur Verweigerung der nötigen Gelder, eine Auflösung in einem solchen Fall,
wo das nationale Gefühl entstammt wäre, würde die Lage nnr noch ver¬
schlimmern. Schließlich bliebe dein Reichsparlament nur übrig, nachzugeben
oder zur ultima r-rtio einer bewaffneten Einmischung und damit zum Bürger¬
kriege zu greifen.

Die feierliche Oberhoheitserkiärnng, auf die sich Glndestoue viel zu gute
thut, da er nach der scholastischen Richtung seines Geistes einen große»
Glauben an Worte hat, lautet: „Vorausgesetzt, daß unbeschadet irgend einer
Bestimmung in diesem Gesetz die Oberhoheit und oberste Autorität des Par¬
laments des Vereinigten Königreichs über alle Personen, Materien und Dinge
in den Landen der Königin (unangetastet und ungemindert) bestehen bleibt" —
offenbar ein bloßes Spiel mit dem Doppelsinn der Worte „Oberhoheit des
Reichsparlaments." Die Oberhoheit, ans deren Wahrung es den Unionisteu
allein ankommt, ist die, die das Parlament hente in England so gut wie in
Irland ausübt, nämlich thatsächliche Kontrolle der ganzen Gesetzgebung und
Verwaltung. Würde diese unangetastet und ungemindert bleiben? Selbst¬
verständlich nicht. Die Oberhoheit über ein Homerule-Irland wäre nichts
andres als die rein theoretische, die das Reichsparlament heute noch in
Australien und Kanada ausübt. Was Großbritannien allein bliebe, ist seine
in der Natur begründete Überlegenheit über die ärmere und schwächere
Schwesteriusel. Mit Waffengewalt kann es ein widerspenstiges irisches Par¬
lament immer zum Nachgeben zwingen, und das einzige Verdienst dieser Er¬
klärung ist daher, daß sie die Anwendung von Gewalt, d. h. den Bürgerkrieg,
ohne Bruch der Rechtsordnung unmöglich macht.

Mit der Frage der Oberhoheit des Neichsparlcnnents steht die Frage,
was mit der irischen Vertretung in Westminster geschehen solle, in engster
Beziehung. Wenn nicht alles täuscht, wird diese Frage bei den nächsten all¬
gemeinen Wahlen eine entscheidende Rolle spielen und in ihrer neuen Lösung
Gladstones Plänen eben so gefährlich werden, wie 1886 im alten Gewände.
In keinem Punkte der ganzen Bill treten die innern Widersprüche seiner Home-
rulepvlitik in so greifbarer, für den Dnrchschuittswähler so handgreiflicher
Form zu Tage wie hier. Darin liegt der hohe Agitationswert dieser Klausel.
Die Geschichte dieses Paragraphen (früher 9, jetzt 8 10) ist für Gladstones
ganzes Verhalten seit seinem Frontwechsel im Spätherbst 1885 ungemein be¬
zeichnend. In der ersten Homernlebill schlug er die gänzliche Ausschließung
der irischen Vertretung aus dem Neichsparlament vor und bezeichnete diese
Ausschließung als den Hauptvorteil, der sich ans seiner Politik für Gro߬
britannien ergebe; sie befreie das britische Parlament mit einem Schlage von
aller irischen „Obstruktion." Irland wäre damit in Bezug ans diesen Punkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/15>, abgerufen am 04.07.2024.