Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

seinem Wortlaute nach zur Anwendung kommen, weil die Voraussetzungen,
die es fordert, zu schwer zu erweisen sind. Die Übertreibung, die in der Be¬
drohung mit Strafe liegt, würde sich dadurch rächen, daß die Gerichte um so
bedenklicher in der Anwendung des Gesetzes sein würden. Auch nach Erlas;
eines solchen Gesetzes würde also, nachdem der erste Schrecken vorübergegangen
wäre, alles beim alten bleiben.

Wer sich bewußt ist, wie sehr im Laufe der letzten Jahrzehnte das An¬
sehen der Gerichte darunter gelitten hat, daß sie sich nur allzu häufig den
wirklichen Lebensverhältnissen als entfremdet erweisen, der mußte die in dieser
Angelegenheit sich heranbildende neue Praxis des Reichsgerichts, nicht zum
wenigsten im Interesse der Justiz selbst, mit großer Freude begrüßen. Da
ist es denn wahrhaft schmerzlich, zu sehen, wie sich alsbald wieder eine Juris-
prudenz dagegen stemmt, die vielleicht manchen geistreich erscheinen mag, die
aber meiner Ansicht nach ohne innern Wert ist. Sollte sie durchdringen, so
würde damit nur eine der schlimmsten Eiterbeulen unsers Verkehrslebens ge¬
schont werden.




Was wird aus dem Griechischen?

an an das Gymnasium die kaiserliche Mahnung ergangen ist,
daß es seine Zöglinge nicht zu Römern und Griechen, sondern
zu deutschen Männern erziehen möge, ist der Streit zwischen
dem humanistischen Gymnasium und dem Realgymnasium ziem¬
lich zum Stehen gekommen. Der einseitige Betrieb der alten
Sprachen ist verurteilt, den modernen Wissenschaften ist ihr Recht geworden --
was hätten die Realschulen noch zu sagen, oder wie könnten sie das, was sie
jederzeit gesagt haben und immer wieder sagen möchten, besser und wirksamer
ausdrücken! Die Schulen ohne Latein entwickeln sich nnter der stillen Teil¬
nahme der Ministerien immer kräftiger, und die Gymnasien, die bereits den
freien lateinischen Aufsatz und die Übersetzung aus dem Deutschen in das
Griechische in der Reifeprüfung auf dem Altare des Vaterländischen haben
opfern müssen, brauchen sich auch nicht zu beklagen. Die Schülerzahl ist die¬
selbe geblieben, ja sie hat sich an vielen Orten gesteigert, seit über den Schul¬
bänken eine mildere Luft weht.

Aber die Streitaxt ist trotzdem noch nicht begraben, und merkwürdiger¬
weise ist der Kampf im humanistischen Gymnasium selbst entbrannt. Die
Herren vom Gymnasium stehen gegen einander auf, und das Objekt des


seinem Wortlaute nach zur Anwendung kommen, weil die Voraussetzungen,
die es fordert, zu schwer zu erweisen sind. Die Übertreibung, die in der Be¬
drohung mit Strafe liegt, würde sich dadurch rächen, daß die Gerichte um so
bedenklicher in der Anwendung des Gesetzes sein würden. Auch nach Erlas;
eines solchen Gesetzes würde also, nachdem der erste Schrecken vorübergegangen
wäre, alles beim alten bleiben.

Wer sich bewußt ist, wie sehr im Laufe der letzten Jahrzehnte das An¬
sehen der Gerichte darunter gelitten hat, daß sie sich nur allzu häufig den
wirklichen Lebensverhältnissen als entfremdet erweisen, der mußte die in dieser
Angelegenheit sich heranbildende neue Praxis des Reichsgerichts, nicht zum
wenigsten im Interesse der Justiz selbst, mit großer Freude begrüßen. Da
ist es denn wahrhaft schmerzlich, zu sehen, wie sich alsbald wieder eine Juris-
prudenz dagegen stemmt, die vielleicht manchen geistreich erscheinen mag, die
aber meiner Ansicht nach ohne innern Wert ist. Sollte sie durchdringen, so
würde damit nur eine der schlimmsten Eiterbeulen unsers Verkehrslebens ge¬
schont werden.




Was wird aus dem Griechischen?

an an das Gymnasium die kaiserliche Mahnung ergangen ist,
daß es seine Zöglinge nicht zu Römern und Griechen, sondern
zu deutschen Männern erziehen möge, ist der Streit zwischen
dem humanistischen Gymnasium und dem Realgymnasium ziem¬
lich zum Stehen gekommen. Der einseitige Betrieb der alten
Sprachen ist verurteilt, den modernen Wissenschaften ist ihr Recht geworden —
was hätten die Realschulen noch zu sagen, oder wie könnten sie das, was sie
jederzeit gesagt haben und immer wieder sagen möchten, besser und wirksamer
ausdrücken! Die Schulen ohne Latein entwickeln sich nnter der stillen Teil¬
nahme der Ministerien immer kräftiger, und die Gymnasien, die bereits den
freien lateinischen Aufsatz und die Übersetzung aus dem Deutschen in das
Griechische in der Reifeprüfung auf dem Altare des Vaterländischen haben
opfern müssen, brauchen sich auch nicht zu beklagen. Die Schülerzahl ist die¬
selbe geblieben, ja sie hat sich an vielen Orten gesteigert, seit über den Schul¬
bänken eine mildere Luft weht.

Aber die Streitaxt ist trotzdem noch nicht begraben, und merkwürdiger¬
weise ist der Kampf im humanistischen Gymnasium selbst entbrannt. Die
Herren vom Gymnasium stehen gegen einander auf, und das Objekt des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215165"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_248" prev="#ID_247"> seinem Wortlaute nach zur Anwendung kommen, weil die Voraussetzungen,<lb/>
die es fordert, zu schwer zu erweisen sind. Die Übertreibung, die in der Be¬<lb/>
drohung mit Strafe liegt, würde sich dadurch rächen, daß die Gerichte um so<lb/>
bedenklicher in der Anwendung des Gesetzes sein würden. Auch nach Erlas;<lb/>
eines solchen Gesetzes würde also, nachdem der erste Schrecken vorübergegangen<lb/>
wäre, alles beim alten bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_249"> Wer sich bewußt ist, wie sehr im Laufe der letzten Jahrzehnte das An¬<lb/>
sehen der Gerichte darunter gelitten hat, daß sie sich nur allzu häufig den<lb/>
wirklichen Lebensverhältnissen als entfremdet erweisen, der mußte die in dieser<lb/>
Angelegenheit sich heranbildende neue Praxis des Reichsgerichts, nicht zum<lb/>
wenigsten im Interesse der Justiz selbst, mit großer Freude begrüßen. Da<lb/>
ist es denn wahrhaft schmerzlich, zu sehen, wie sich alsbald wieder eine Juris-<lb/>
prudenz dagegen stemmt, die vielleicht manchen geistreich erscheinen mag, die<lb/>
aber meiner Ansicht nach ohne innern Wert ist. Sollte sie durchdringen, so<lb/>
würde damit nur eine der schlimmsten Eiterbeulen unsers Verkehrslebens ge¬<lb/>
schont werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Was wird aus dem Griechischen?</head><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> an an das Gymnasium die kaiserliche Mahnung ergangen ist,<lb/>
daß es seine Zöglinge nicht zu Römern und Griechen, sondern<lb/>
zu deutschen Männern erziehen möge, ist der Streit zwischen<lb/>
dem humanistischen Gymnasium und dem Realgymnasium ziem¬<lb/>
lich zum Stehen gekommen. Der einseitige Betrieb der alten<lb/>
Sprachen ist verurteilt, den modernen Wissenschaften ist ihr Recht geworden &#x2014;<lb/>
was hätten die Realschulen noch zu sagen, oder wie könnten sie das, was sie<lb/>
jederzeit gesagt haben und immer wieder sagen möchten, besser und wirksamer<lb/>
ausdrücken! Die Schulen ohne Latein entwickeln sich nnter der stillen Teil¬<lb/>
nahme der Ministerien immer kräftiger, und die Gymnasien, die bereits den<lb/>
freien lateinischen Aufsatz und die Übersetzung aus dem Deutschen in das<lb/>
Griechische in der Reifeprüfung auf dem Altare des Vaterländischen haben<lb/>
opfern müssen, brauchen sich auch nicht zu beklagen. Die Schülerzahl ist die¬<lb/>
selbe geblieben, ja sie hat sich an vielen Orten gesteigert, seit über den Schul¬<lb/>
bänken eine mildere Luft weht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Aber die Streitaxt ist trotzdem noch nicht begraben, und merkwürdiger¬<lb/>
weise ist der Kampf im humanistischen Gymnasium selbst entbrannt. Die<lb/>
Herren vom Gymnasium stehen gegen einander auf, und das Objekt des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] seinem Wortlaute nach zur Anwendung kommen, weil die Voraussetzungen, die es fordert, zu schwer zu erweisen sind. Die Übertreibung, die in der Be¬ drohung mit Strafe liegt, würde sich dadurch rächen, daß die Gerichte um so bedenklicher in der Anwendung des Gesetzes sein würden. Auch nach Erlas; eines solchen Gesetzes würde also, nachdem der erste Schrecken vorübergegangen wäre, alles beim alten bleiben. Wer sich bewußt ist, wie sehr im Laufe der letzten Jahrzehnte das An¬ sehen der Gerichte darunter gelitten hat, daß sie sich nur allzu häufig den wirklichen Lebensverhältnissen als entfremdet erweisen, der mußte die in dieser Angelegenheit sich heranbildende neue Praxis des Reichsgerichts, nicht zum wenigsten im Interesse der Justiz selbst, mit großer Freude begrüßen. Da ist es denn wahrhaft schmerzlich, zu sehen, wie sich alsbald wieder eine Juris- prudenz dagegen stemmt, die vielleicht manchen geistreich erscheinen mag, die aber meiner Ansicht nach ohne innern Wert ist. Sollte sie durchdringen, so würde damit nur eine der schlimmsten Eiterbeulen unsers Verkehrslebens ge¬ schont werden. Was wird aus dem Griechischen? an an das Gymnasium die kaiserliche Mahnung ergangen ist, daß es seine Zöglinge nicht zu Römern und Griechen, sondern zu deutschen Männern erziehen möge, ist der Streit zwischen dem humanistischen Gymnasium und dem Realgymnasium ziem¬ lich zum Stehen gekommen. Der einseitige Betrieb der alten Sprachen ist verurteilt, den modernen Wissenschaften ist ihr Recht geworden — was hätten die Realschulen noch zu sagen, oder wie könnten sie das, was sie jederzeit gesagt haben und immer wieder sagen möchten, besser und wirksamer ausdrücken! Die Schulen ohne Latein entwickeln sich nnter der stillen Teil¬ nahme der Ministerien immer kräftiger, und die Gymnasien, die bereits den freien lateinischen Aufsatz und die Übersetzung aus dem Deutschen in das Griechische in der Reifeprüfung auf dem Altare des Vaterländischen haben opfern müssen, brauchen sich auch nicht zu beklagen. Die Schülerzahl ist die¬ selbe geblieben, ja sie hat sich an vielen Orten gesteigert, seit über den Schul¬ bänken eine mildere Luft weht. Aber die Streitaxt ist trotzdem noch nicht begraben, und merkwürdiger¬ weise ist der Kampf im humanistischen Gymnasium selbst entbrannt. Die Herren vom Gymnasium stehen gegen einander auf, und das Objekt des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/75>, abgerufen am 23.11.2024.