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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Bölsenspiel und die Gen'ichlspraxis

"Eriy'tlicher Abschluß eines ^Kaufvertrags und Spielthätigkeit sind unvereinbare
Gegensätze."

So ungefähr lauten die Ausführungen Wieners, wenn man sie in
kurzes, gemeinverständliches Deutsch umzusetzen versucht. Ich halte sie für
ein juristisches Spiel mit Worten. Mag immerhin dadurch, daß der
Bankier die Papiere für seine Kunden als "angekauft und in Depot ge¬
nommen" meldet, der Kunde "Eigentümer" der Papiere geworden sein,
so ist doch dieses Eigentum, wirtschaftlich betrachtet, ohne alle Realität.
Denn eS haftet auf den Papieren der Preis, den der Bankier dafür zu
fordern hat, und ohne Zahlung des Preises giebt er sie nicht heraus.
Kann nun der Spekulant diesen Preis nicht bezahlen, so kann doch in der
Thatsache, daß nun der Bankier die Papiere für Rechnung des Spekulanten
wieder verkauft und den Preis von dessen Schuld absetzt, unmöglich eine
"Effektnirung" des Kaufes gefunden werden. Es ist nur eine Effektuirung
ganz in dem Sinne des Komödienspiels, das überhaupt durch den fraglichen
Geschäftsbetrieb unter dem Namen und in den Formen eines Kaufabschlusses
getrieben wird. In der That sagt der Bankier, um den Schein des Kauf¬
geschäfts aufrecht zu halten, bei Eintritt des Liefernngstermins zu seinem
Kunden: "Hier sind die Papiere! Willst du sie haben?" Muß nun darauf
der Kunde antworten: "Du weißt ja, daß ich sie nicht haben will, weil ich
sie gar nicht bezahlen kann," so ist damit doch sonnenklar erwiesen, daß der
Kauf nur eine leere Form gewesen ist, unter der der Spekulant ein Geschüft
abgeschlossen hat, das den einen oder den andern zum Bezug der Differenz
berechtigen sollte. Das kann auch nicht dadurch geändert werden, daß der
Bankier nun die Papiere "für Rechnung" seines Kunden verkauft.

Wenn Wiener zur Anfechtung von Geschäften der fraglichen Art nur den
Nachweis einer "Simulation," d. h. eines Scheinvertrags gelten lassen will,
so ist schwer zu fügen, was man sich darunter eigentlich deuten soll. Mußten
die Beteiligten etwa folgendermaßen gesprochen haben: "Wir wollen hier ein
Kaufgeschäft abschließen, das aber eigentlich gar kein Kaufgeschäft, sondern
nur ein Differcnzgeschäft sein soll"? So etwas kommt im Leben nicht vor,
und die Bertröstnng des Geschädigten auf eine solche Einrede der "Simulation"
würde stets ein leeres Wort bleiben. Nun sagt freilich Wiener: es solle nicht
behauptet werden, daß "die Möglichkeit des Erkennens einer Einrede der Si¬
mulation aus deu Umständen ausgeschlossen sei." Aber welche "Umstände"
sollen denn eine solche erkennen lassen? In Wahrheit liegt bei einem
solchen Geschäfte gar keine Simulation vor, und die Verweisung auf diese
leitet die Gerichte uur auf eine falsche Fährte. Die Beteiligten wollen den
Kauf mit seinen juristischen Folgen ganz ernstlich; nur in den wirtschaftlichen
Folgen des Geschäfts verfolgen sie einen andern Zweck. Die getaufte Sache
soll nicht geliefert, sondern statt dessen eine Entschädigung gezahlt werden, die


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Das Bölsenspiel und die Gen'ichlspraxis

„Eriy'tlicher Abschluß eines ^Kaufvertrags und Spielthätigkeit sind unvereinbare
Gegensätze."

So ungefähr lauten die Ausführungen Wieners, wenn man sie in
kurzes, gemeinverständliches Deutsch umzusetzen versucht. Ich halte sie für
ein juristisches Spiel mit Worten. Mag immerhin dadurch, daß der
Bankier die Papiere für seine Kunden als „angekauft und in Depot ge¬
nommen" meldet, der Kunde „Eigentümer" der Papiere geworden sein,
so ist doch dieses Eigentum, wirtschaftlich betrachtet, ohne alle Realität.
Denn eS haftet auf den Papieren der Preis, den der Bankier dafür zu
fordern hat, und ohne Zahlung des Preises giebt er sie nicht heraus.
Kann nun der Spekulant diesen Preis nicht bezahlen, so kann doch in der
Thatsache, daß nun der Bankier die Papiere für Rechnung des Spekulanten
wieder verkauft und den Preis von dessen Schuld absetzt, unmöglich eine
„Effektnirung" des Kaufes gefunden werden. Es ist nur eine Effektuirung
ganz in dem Sinne des Komödienspiels, das überhaupt durch den fraglichen
Geschäftsbetrieb unter dem Namen und in den Formen eines Kaufabschlusses
getrieben wird. In der That sagt der Bankier, um den Schein des Kauf¬
geschäfts aufrecht zu halten, bei Eintritt des Liefernngstermins zu seinem
Kunden: „Hier sind die Papiere! Willst du sie haben?" Muß nun darauf
der Kunde antworten: „Du weißt ja, daß ich sie nicht haben will, weil ich
sie gar nicht bezahlen kann," so ist damit doch sonnenklar erwiesen, daß der
Kauf nur eine leere Form gewesen ist, unter der der Spekulant ein Geschüft
abgeschlossen hat, das den einen oder den andern zum Bezug der Differenz
berechtigen sollte. Das kann auch nicht dadurch geändert werden, daß der
Bankier nun die Papiere „für Rechnung" seines Kunden verkauft.

Wenn Wiener zur Anfechtung von Geschäften der fraglichen Art nur den
Nachweis einer „Simulation," d. h. eines Scheinvertrags gelten lassen will,
so ist schwer zu fügen, was man sich darunter eigentlich deuten soll. Mußten
die Beteiligten etwa folgendermaßen gesprochen haben: „Wir wollen hier ein
Kaufgeschäft abschließen, das aber eigentlich gar kein Kaufgeschäft, sondern
nur ein Differcnzgeschäft sein soll"? So etwas kommt im Leben nicht vor,
und die Bertröstnng des Geschädigten auf eine solche Einrede der „Simulation"
würde stets ein leeres Wort bleiben. Nun sagt freilich Wiener: es solle nicht
behauptet werden, daß „die Möglichkeit des Erkennens einer Einrede der Si¬
mulation aus deu Umständen ausgeschlossen sei." Aber welche „Umstände"
sollen denn eine solche erkennen lassen? In Wahrheit liegt bei einem
solchen Geschäfte gar keine Simulation vor, und die Verweisung auf diese
leitet die Gerichte uur auf eine falsche Fährte. Die Beteiligten wollen den
Kauf mit seinen juristischen Folgen ganz ernstlich; nur in den wirtschaftlichen
Folgen des Geschäfts verfolgen sie einen andern Zweck. Die getaufte Sache
soll nicht geliefert, sondern statt dessen eine Entschädigung gezahlt werden, die


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[0073] Das Bölsenspiel und die Gen'ichlspraxis „Eriy'tlicher Abschluß eines ^Kaufvertrags und Spielthätigkeit sind unvereinbare Gegensätze." So ungefähr lauten die Ausführungen Wieners, wenn man sie in kurzes, gemeinverständliches Deutsch umzusetzen versucht. Ich halte sie für ein juristisches Spiel mit Worten. Mag immerhin dadurch, daß der Bankier die Papiere für seine Kunden als „angekauft und in Depot ge¬ nommen" meldet, der Kunde „Eigentümer" der Papiere geworden sein, so ist doch dieses Eigentum, wirtschaftlich betrachtet, ohne alle Realität. Denn eS haftet auf den Papieren der Preis, den der Bankier dafür zu fordern hat, und ohne Zahlung des Preises giebt er sie nicht heraus. Kann nun der Spekulant diesen Preis nicht bezahlen, so kann doch in der Thatsache, daß nun der Bankier die Papiere für Rechnung des Spekulanten wieder verkauft und den Preis von dessen Schuld absetzt, unmöglich eine „Effektnirung" des Kaufes gefunden werden. Es ist nur eine Effektuirung ganz in dem Sinne des Komödienspiels, das überhaupt durch den fraglichen Geschäftsbetrieb unter dem Namen und in den Formen eines Kaufabschlusses getrieben wird. In der That sagt der Bankier, um den Schein des Kauf¬ geschäfts aufrecht zu halten, bei Eintritt des Liefernngstermins zu seinem Kunden: „Hier sind die Papiere! Willst du sie haben?" Muß nun darauf der Kunde antworten: „Du weißt ja, daß ich sie nicht haben will, weil ich sie gar nicht bezahlen kann," so ist damit doch sonnenklar erwiesen, daß der Kauf nur eine leere Form gewesen ist, unter der der Spekulant ein Geschüft abgeschlossen hat, das den einen oder den andern zum Bezug der Differenz berechtigen sollte. Das kann auch nicht dadurch geändert werden, daß der Bankier nun die Papiere „für Rechnung" seines Kunden verkauft. Wenn Wiener zur Anfechtung von Geschäften der fraglichen Art nur den Nachweis einer „Simulation," d. h. eines Scheinvertrags gelten lassen will, so ist schwer zu fügen, was man sich darunter eigentlich deuten soll. Mußten die Beteiligten etwa folgendermaßen gesprochen haben: „Wir wollen hier ein Kaufgeschäft abschließen, das aber eigentlich gar kein Kaufgeschäft, sondern nur ein Differcnzgeschäft sein soll"? So etwas kommt im Leben nicht vor, und die Bertröstnng des Geschädigten auf eine solche Einrede der „Simulation" würde stets ein leeres Wort bleiben. Nun sagt freilich Wiener: es solle nicht behauptet werden, daß „die Möglichkeit des Erkennens einer Einrede der Si¬ mulation aus deu Umständen ausgeschlossen sei." Aber welche „Umstände" sollen denn eine solche erkennen lassen? In Wahrheit liegt bei einem solchen Geschäfte gar keine Simulation vor, und die Verweisung auf diese leitet die Gerichte uur auf eine falsche Fährte. Die Beteiligten wollen den Kauf mit seinen juristischen Folgen ganz ernstlich; nur in den wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts verfolgen sie einen andern Zweck. Die getaufte Sache soll nicht geliefert, sondern statt dessen eine Entschädigung gezahlt werden, die Grenzboten 111 189!Z '»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/73>, abgerufen am 23.11.2024.