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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis

spiel erweist sich nun für weite Kreise höchst verderblich. Stunde sich die
Aussicht auf Steigen oder Fallen der Papiere stets gleich, so könnte nur an¬
nehmen, daß bei einem solchen Verkehr der Spekulant eben so oft gewinne
als verliere, daß sich daher Gewinn und Verlust für ihn ausglichen. In
Wahrheit liegt aber die Sache nicht so. Die Lage des Spekulanten, zumal
wenn er nicht an dem Börsenplätze zu Hause ist, ist insofern minder günstig,
als der Händler in der Regel die Verhältnisse besser übersieht und nur Ge¬
schäfte eingeht, bei denen die größere Wahrscheinlichkeit des Borteils für ihn
ist. Dazu kommt dann "och der Verlust, deu der Spekulant durch die stets
fällig werdenden Provisionen erleidet. Im allgemeinen hat also der Spekulant
(ähnlich dem Spieler am Ronlettctische) mehr Aussicht auf Verlust als auf
Gewinn. Gleichwohl verführt das Streben nach mühelosem Erwerb Unzählige
dazu, an der Börse zu spielen. Und daher kommt es, daß sich das Börsen¬
spiel für unser Volksleben so verderblich erweist. Gar viele, anscheinend ge¬
setzte und solide Männer, von denen niemand so etwas ahnt, spielen heimlich
an der Börse und richten ihr Vermögen zu Grnnde. Hier und dort hört
mau, daß ein Geschäftsmann, der anscheinend in blühenden Verhältnissen lebt,
bankerott geworden ist, vielleicht schwere Verbrechen begangen und viele Menschen
unglücklich gemacht, vielleicht auch dnrch Selbstmord geendet hat; und wenn
man nach dem Grnnde fragt, so heißt es: er hat an der Börse gespielt. Das
Vertraue" in Handel und Wandel leidet dadurch die bittersten Täuschungen.

Ebenso wie an der Fondsbörse werden auch an der Warenbörse Zeit¬
geschäfte, nicht immer im Sinne wirklicher Käufe und Verkäufe, souderu als
Spekulationsgeschäfte nbgeschlosfen; und leider beteiligen sich auch bei diesen
Geschäfte" oft solche, die nach ihren persönlichen Verhältnissen dem Waren¬
handel ganz fern stehen.

Unterläßt es der Vörsenspieler, die vielleicht vo" längerer Zeit her auf-
gelaufnen Differenzen zu bezahlen, so klagt sie der Bankier gegen ihn ein,
und damit kommt die Sache vor die Gerichte. Wie haben sich nun die Ge¬
richte diesem Unwesen gegenüber verhalten? Natürlich tritt für sie die Frage
hervor: Sind solche Zeitgeschäfte wirkliche Kaufgeschäfte, oder sind sie uicht
vielmehr bloß Hazardspiele, ans denen das Gesetz keine Klage gestattet? Da
habe" nun die Gerichte gesagt: Wir können, wenn der Vertrag in der Form
eines Kaufgeschäfts abgeschlossen ist, der Sache uicht ansehen, ob dabei im
wirtschaftlichen Sinne wirklich ein Kauf oder nur ein Differenzgeschäft be¬
absichtigt ist. Wir müssen also das Geschäft so nehmen, wie es sich seiner
äußern Erscheinung nach darstellt, d. h. als Kauf, und als solcher ist es
klagbar.

Wie sehr in dieser Richtung die Gerichte sür das, was anscheinend sonnen¬
klar vorliegt, bisher die Augen zu verschließen geneigt waren, dafür kann
folgendes Beispiel zum Beleg dienen. Ju einem Falle hatte der Agent eines


Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis

spiel erweist sich nun für weite Kreise höchst verderblich. Stunde sich die
Aussicht auf Steigen oder Fallen der Papiere stets gleich, so könnte nur an¬
nehmen, daß bei einem solchen Verkehr der Spekulant eben so oft gewinne
als verliere, daß sich daher Gewinn und Verlust für ihn ausglichen. In
Wahrheit liegt aber die Sache nicht so. Die Lage des Spekulanten, zumal
wenn er nicht an dem Börsenplätze zu Hause ist, ist insofern minder günstig,
als der Händler in der Regel die Verhältnisse besser übersieht und nur Ge¬
schäfte eingeht, bei denen die größere Wahrscheinlichkeit des Borteils für ihn
ist. Dazu kommt dann »och der Verlust, deu der Spekulant durch die stets
fällig werdenden Provisionen erleidet. Im allgemeinen hat also der Spekulant
(ähnlich dem Spieler am Ronlettctische) mehr Aussicht auf Verlust als auf
Gewinn. Gleichwohl verführt das Streben nach mühelosem Erwerb Unzählige
dazu, an der Börse zu spielen. Und daher kommt es, daß sich das Börsen¬
spiel für unser Volksleben so verderblich erweist. Gar viele, anscheinend ge¬
setzte und solide Männer, von denen niemand so etwas ahnt, spielen heimlich
an der Börse und richten ihr Vermögen zu Grnnde. Hier und dort hört
mau, daß ein Geschäftsmann, der anscheinend in blühenden Verhältnissen lebt,
bankerott geworden ist, vielleicht schwere Verbrechen begangen und viele Menschen
unglücklich gemacht, vielleicht auch dnrch Selbstmord geendet hat; und wenn
man nach dem Grnnde fragt, so heißt es: er hat an der Börse gespielt. Das
Vertraue» in Handel und Wandel leidet dadurch die bittersten Täuschungen.

Ebenso wie an der Fondsbörse werden auch an der Warenbörse Zeit¬
geschäfte, nicht immer im Sinne wirklicher Käufe und Verkäufe, souderu als
Spekulationsgeschäfte nbgeschlosfen; und leider beteiligen sich auch bei diesen
Geschäfte» oft solche, die nach ihren persönlichen Verhältnissen dem Waren¬
handel ganz fern stehen.

Unterläßt es der Vörsenspieler, die vielleicht vo» längerer Zeit her auf-
gelaufnen Differenzen zu bezahlen, so klagt sie der Bankier gegen ihn ein,
und damit kommt die Sache vor die Gerichte. Wie haben sich nun die Ge¬
richte diesem Unwesen gegenüber verhalten? Natürlich tritt für sie die Frage
hervor: Sind solche Zeitgeschäfte wirkliche Kaufgeschäfte, oder sind sie uicht
vielmehr bloß Hazardspiele, ans denen das Gesetz keine Klage gestattet? Da
habe» nun die Gerichte gesagt: Wir können, wenn der Vertrag in der Form
eines Kaufgeschäfts abgeschlossen ist, der Sache uicht ansehen, ob dabei im
wirtschaftlichen Sinne wirklich ein Kauf oder nur ein Differenzgeschäft be¬
absichtigt ist. Wir müssen also das Geschäft so nehmen, wie es sich seiner
äußern Erscheinung nach darstellt, d. h. als Kauf, und als solcher ist es
klagbar.

Wie sehr in dieser Richtung die Gerichte sür das, was anscheinend sonnen¬
klar vorliegt, bisher die Augen zu verschließen geneigt waren, dafür kann
folgendes Beispiel zum Beleg dienen. Ju einem Falle hatte der Agent eines


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[0069] Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis spiel erweist sich nun für weite Kreise höchst verderblich. Stunde sich die Aussicht auf Steigen oder Fallen der Papiere stets gleich, so könnte nur an¬ nehmen, daß bei einem solchen Verkehr der Spekulant eben so oft gewinne als verliere, daß sich daher Gewinn und Verlust für ihn ausglichen. In Wahrheit liegt aber die Sache nicht so. Die Lage des Spekulanten, zumal wenn er nicht an dem Börsenplätze zu Hause ist, ist insofern minder günstig, als der Händler in der Regel die Verhältnisse besser übersieht und nur Ge¬ schäfte eingeht, bei denen die größere Wahrscheinlichkeit des Borteils für ihn ist. Dazu kommt dann »och der Verlust, deu der Spekulant durch die stets fällig werdenden Provisionen erleidet. Im allgemeinen hat also der Spekulant (ähnlich dem Spieler am Ronlettctische) mehr Aussicht auf Verlust als auf Gewinn. Gleichwohl verführt das Streben nach mühelosem Erwerb Unzählige dazu, an der Börse zu spielen. Und daher kommt es, daß sich das Börsen¬ spiel für unser Volksleben so verderblich erweist. Gar viele, anscheinend ge¬ setzte und solide Männer, von denen niemand so etwas ahnt, spielen heimlich an der Börse und richten ihr Vermögen zu Grnnde. Hier und dort hört mau, daß ein Geschäftsmann, der anscheinend in blühenden Verhältnissen lebt, bankerott geworden ist, vielleicht schwere Verbrechen begangen und viele Menschen unglücklich gemacht, vielleicht auch dnrch Selbstmord geendet hat; und wenn man nach dem Grnnde fragt, so heißt es: er hat an der Börse gespielt. Das Vertraue» in Handel und Wandel leidet dadurch die bittersten Täuschungen. Ebenso wie an der Fondsbörse werden auch an der Warenbörse Zeit¬ geschäfte, nicht immer im Sinne wirklicher Käufe und Verkäufe, souderu als Spekulationsgeschäfte nbgeschlosfen; und leider beteiligen sich auch bei diesen Geschäfte» oft solche, die nach ihren persönlichen Verhältnissen dem Waren¬ handel ganz fern stehen. Unterläßt es der Vörsenspieler, die vielleicht vo» längerer Zeit her auf- gelaufnen Differenzen zu bezahlen, so klagt sie der Bankier gegen ihn ein, und damit kommt die Sache vor die Gerichte. Wie haben sich nun die Ge¬ richte diesem Unwesen gegenüber verhalten? Natürlich tritt für sie die Frage hervor: Sind solche Zeitgeschäfte wirkliche Kaufgeschäfte, oder sind sie uicht vielmehr bloß Hazardspiele, ans denen das Gesetz keine Klage gestattet? Da habe» nun die Gerichte gesagt: Wir können, wenn der Vertrag in der Form eines Kaufgeschäfts abgeschlossen ist, der Sache uicht ansehen, ob dabei im wirtschaftlichen Sinne wirklich ein Kauf oder nur ein Differenzgeschäft be¬ absichtigt ist. Wir müssen also das Geschäft so nehmen, wie es sich seiner äußern Erscheinung nach darstellt, d. h. als Kauf, und als solcher ist es klagbar. Wie sehr in dieser Richtung die Gerichte sür das, was anscheinend sonnen¬ klar vorliegt, bisher die Augen zu verschließen geneigt waren, dafür kann folgendes Beispiel zum Beleg dienen. Ju einem Falle hatte der Agent eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/69>, abgerufen am 24.11.2024.