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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis

Rechtsgeschäfte dieser Art sind wirtschaftlich völlig wertlos. Denn darin,
daß der eine Geld gewinnt, der andre Geld verliert, liegt keine Vermehrung
des öffentlichen Wohlstandes. Deshalb, und weil zugleich solche Geschäfte
einer der gefährlichsten Leidenschaften der Menschen, der Spielsucht, fröhnen,
haben die Gesetze sie für unverbindlich erklärt, sodaß daraus keine Klage ge¬
stattet ist. Diese gesetzliche Vorschrift würde also auch das in Vorstehendem ge¬
dachte Differenzgeschäft treffen.

Nun kann aber dieses Rechtsgeschäft auch noch in einer andern, einer
verschleierten Form abgeschlossen werden. A schließt mit B einen auf Zeit
gestellten Kaufvertrag über die Ware in ab, wonach diese Ware zu einem jetzt
schon bestimmten Preise an einem bestimmten spätern Tage geliefert werden
soll. Nimmt dann am Lieferungstage A dem B die Ware nicht zu dem ver¬
einbarten Preise in Natur ab, und ist inzwischen der Kurswert der Ware ge¬
sunken, so löst sich der Anspruch ans dem Kaufvertrag in einem Entschädigungs¬
auspruch des B wider den A auf, der sich auf die Differenz der beiden Preise
richtet. Umgekehrt hat, wenn B nicht in Natur liefern will, A wider ihn
eiuen Entschädigungsanspruch, der der Differenz der beiden Preise entspricht.
Ist es min von vornherein Absicht beider Teile, daß gar nicht in Natur ge¬
liefert werden soll, so liegt es auf der Hand, daß der in der Form eines
Kaufs abgeschlossene Vertrag seiner wirtschaftlichen Bedeutung mich nichts
andres ist, als ein Differeuzgeschäft der oben beschriebnen Art.

Bei der rechtlichen Beurteilung von Rechtsgeschäften aber, die aus wirt¬
schaftlichen Gründen einer Beschränkung unterliegen, kommt es uicht darauf
an, wie die Parteien das Geschäft benennen, sondern darauf, was sein wirk¬
licher Inhalt und Kern ist.

Nun sind bei den Börsen solche Käufe und Verkäufe auf Zeit in bestän¬
diger Nbnng. Dabei kommen folgende charakteristischen Erscheinungen vor. Nur
bestimmte Papiere -- die sogenannten Spekulationspapiere -- sind Gegenstand
von Zeitgeschäften. Diese Zeitgeschäfte werden anch nicht über beliebige Quanti¬
täten, sondern immer nur über gewisse durch Übung festgestellte größere Ein¬
heiten oder deren vervielfachte Beträge geschloffen. So ist es z. B. bei der
Berliner Börse üblich, daß stets über fünfzig Stück Frauzosen, Lombarden,
Kreditaktien oder über Eisenbahnaktien, Bankaktien u. s. w. für fünfzehntausend
Mark gehandelt wird. Als Lieferungstag werden auch nicht beliebige Tage
bestimmt, sondern es wird stets auf den letzten des Monats (Ultimo) das Ge¬
schüft abgeschlossen. So bildet das Ultimogeschäft über Papiere der gedachten
Art in den bezeichneten festen Quantitäten einen Hauptbestandteil des heutigen
Börsenverkehrs.

Schon diese gleichmäßige Übung beweist den Charakter, der diesem ganzen
Geschäftsbetrieb innewohnt. Es ist ja denkbar, daß für jemanden wirklich ein
Kapital gerade am letzten des Monats verfügbar wird, und daß er wirklich


Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis

Rechtsgeschäfte dieser Art sind wirtschaftlich völlig wertlos. Denn darin,
daß der eine Geld gewinnt, der andre Geld verliert, liegt keine Vermehrung
des öffentlichen Wohlstandes. Deshalb, und weil zugleich solche Geschäfte
einer der gefährlichsten Leidenschaften der Menschen, der Spielsucht, fröhnen,
haben die Gesetze sie für unverbindlich erklärt, sodaß daraus keine Klage ge¬
stattet ist. Diese gesetzliche Vorschrift würde also auch das in Vorstehendem ge¬
dachte Differenzgeschäft treffen.

Nun kann aber dieses Rechtsgeschäft auch noch in einer andern, einer
verschleierten Form abgeschlossen werden. A schließt mit B einen auf Zeit
gestellten Kaufvertrag über die Ware in ab, wonach diese Ware zu einem jetzt
schon bestimmten Preise an einem bestimmten spätern Tage geliefert werden
soll. Nimmt dann am Lieferungstage A dem B die Ware nicht zu dem ver¬
einbarten Preise in Natur ab, und ist inzwischen der Kurswert der Ware ge¬
sunken, so löst sich der Anspruch ans dem Kaufvertrag in einem Entschädigungs¬
auspruch des B wider den A auf, der sich auf die Differenz der beiden Preise
richtet. Umgekehrt hat, wenn B nicht in Natur liefern will, A wider ihn
eiuen Entschädigungsanspruch, der der Differenz der beiden Preise entspricht.
Ist es min von vornherein Absicht beider Teile, daß gar nicht in Natur ge¬
liefert werden soll, so liegt es auf der Hand, daß der in der Form eines
Kaufs abgeschlossene Vertrag seiner wirtschaftlichen Bedeutung mich nichts
andres ist, als ein Differeuzgeschäft der oben beschriebnen Art.

Bei der rechtlichen Beurteilung von Rechtsgeschäften aber, die aus wirt¬
schaftlichen Gründen einer Beschränkung unterliegen, kommt es uicht darauf
an, wie die Parteien das Geschäft benennen, sondern darauf, was sein wirk¬
licher Inhalt und Kern ist.

Nun sind bei den Börsen solche Käufe und Verkäufe auf Zeit in bestän¬
diger Nbnng. Dabei kommen folgende charakteristischen Erscheinungen vor. Nur
bestimmte Papiere — die sogenannten Spekulationspapiere — sind Gegenstand
von Zeitgeschäften. Diese Zeitgeschäfte werden anch nicht über beliebige Quanti¬
täten, sondern immer nur über gewisse durch Übung festgestellte größere Ein¬
heiten oder deren vervielfachte Beträge geschloffen. So ist es z. B. bei der
Berliner Börse üblich, daß stets über fünfzig Stück Frauzosen, Lombarden,
Kreditaktien oder über Eisenbahnaktien, Bankaktien u. s. w. für fünfzehntausend
Mark gehandelt wird. Als Lieferungstag werden auch nicht beliebige Tage
bestimmt, sondern es wird stets auf den letzten des Monats (Ultimo) das Ge¬
schüft abgeschlossen. So bildet das Ultimogeschäft über Papiere der gedachten
Art in den bezeichneten festen Quantitäten einen Hauptbestandteil des heutigen
Börsenverkehrs.

Schon diese gleichmäßige Übung beweist den Charakter, der diesem ganzen
Geschäftsbetrieb innewohnt. Es ist ja denkbar, daß für jemanden wirklich ein
Kapital gerade am letzten des Monats verfügbar wird, und daß er wirklich


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[0067] Das Börsenspiel und die Gerichtspraxis Rechtsgeschäfte dieser Art sind wirtschaftlich völlig wertlos. Denn darin, daß der eine Geld gewinnt, der andre Geld verliert, liegt keine Vermehrung des öffentlichen Wohlstandes. Deshalb, und weil zugleich solche Geschäfte einer der gefährlichsten Leidenschaften der Menschen, der Spielsucht, fröhnen, haben die Gesetze sie für unverbindlich erklärt, sodaß daraus keine Klage ge¬ stattet ist. Diese gesetzliche Vorschrift würde also auch das in Vorstehendem ge¬ dachte Differenzgeschäft treffen. Nun kann aber dieses Rechtsgeschäft auch noch in einer andern, einer verschleierten Form abgeschlossen werden. A schließt mit B einen auf Zeit gestellten Kaufvertrag über die Ware in ab, wonach diese Ware zu einem jetzt schon bestimmten Preise an einem bestimmten spätern Tage geliefert werden soll. Nimmt dann am Lieferungstage A dem B die Ware nicht zu dem ver¬ einbarten Preise in Natur ab, und ist inzwischen der Kurswert der Ware ge¬ sunken, so löst sich der Anspruch ans dem Kaufvertrag in einem Entschädigungs¬ auspruch des B wider den A auf, der sich auf die Differenz der beiden Preise richtet. Umgekehrt hat, wenn B nicht in Natur liefern will, A wider ihn eiuen Entschädigungsanspruch, der der Differenz der beiden Preise entspricht. Ist es min von vornherein Absicht beider Teile, daß gar nicht in Natur ge¬ liefert werden soll, so liegt es auf der Hand, daß der in der Form eines Kaufs abgeschlossene Vertrag seiner wirtschaftlichen Bedeutung mich nichts andres ist, als ein Differeuzgeschäft der oben beschriebnen Art. Bei der rechtlichen Beurteilung von Rechtsgeschäften aber, die aus wirt¬ schaftlichen Gründen einer Beschränkung unterliegen, kommt es uicht darauf an, wie die Parteien das Geschäft benennen, sondern darauf, was sein wirk¬ licher Inhalt und Kern ist. Nun sind bei den Börsen solche Käufe und Verkäufe auf Zeit in bestän¬ diger Nbnng. Dabei kommen folgende charakteristischen Erscheinungen vor. Nur bestimmte Papiere — die sogenannten Spekulationspapiere — sind Gegenstand von Zeitgeschäften. Diese Zeitgeschäfte werden anch nicht über beliebige Quanti¬ täten, sondern immer nur über gewisse durch Übung festgestellte größere Ein¬ heiten oder deren vervielfachte Beträge geschloffen. So ist es z. B. bei der Berliner Börse üblich, daß stets über fünfzig Stück Frauzosen, Lombarden, Kreditaktien oder über Eisenbahnaktien, Bankaktien u. s. w. für fünfzehntausend Mark gehandelt wird. Als Lieferungstag werden auch nicht beliebige Tage bestimmt, sondern es wird stets auf den letzten des Monats (Ultimo) das Ge¬ schüft abgeschlossen. So bildet das Ultimogeschäft über Papiere der gedachten Art in den bezeichneten festen Quantitäten einen Hauptbestandteil des heutigen Börsenverkehrs. Schon diese gleichmäßige Übung beweist den Charakter, der diesem ganzen Geschäftsbetrieb innewohnt. Es ist ja denkbar, daß für jemanden wirklich ein Kapital gerade am letzten des Monats verfügbar wird, und daß er wirklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/67>, abgerufen am 28.07.2024.