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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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?ni>lie Lelaool. Um keine Antwort verlegen, dreist, oft laut, machten sie den
Eindruck von geistig selbständigen Menschen, die wohl wissen, wie viel sie sich
gefallen zu lassen brauchen. Wenn man mit ihnen sprach und scherzte, schien
es, als ob sie mehr nach der Seite des Verstandes, als nach der des Gemüts
entwickelt wären. I clon't, og-rs, ich gebe nichts drum, ist ihr zweites Wort,
namentlich in Gefühlssachen und Fragen der Heimathliebe, der Elternliebe.
Flink und behende sind sie aber infolge des vielen und guten Turnunterrichts,
den sie täglich genießen. Bestellen und Erfindungen fangen schon den Kleinen
an im Kopfe hcrumzuspuken; träumerisches Wesen findet man selten unter ihnen.
Viel Sinn haben sie für die Tier- und Pflanzenwelt, aber weniger aus
Naturschwärmerei, als aus praktischen Gründen. Man lernt die Pflanzen nicht
kennen, um die Staubgefäße zu zählen und die Klassen zu bestimmen, das sind
Nebensachen, mit denen man sich nicht lange quält, sondern um bald im Garten
der Eltern helfen, anpflanzen, säen und okuliren zu können und sich womöglich
durch ein paar seltene Sorten, die man auf dem Kinderbeete zieht, schon früh¬
zeitig ein kleines Taschengeld zu verdienen. Maxe und Moritze giebt es überall,
und in Amerika sind sie womöglich noch Pfiffiger als bei uns. Mädchen wie
Jungen sind am Barren und am Reck, auf dem Zweirad wie auf dem leben¬
digen Ponny --- wenn sie eins haben -- gleich gewandt. Mit dem Revolver
wissen sie alle umzugehen, das lernen sie an den nationalen Festtagen, wo es
mit Knallerbsen anfängt und mit Scheibenschießen aufhört.

Wie gelehrig und anstellig sich dieser Nachwuchs in den Schulstunden
benahm, war eine Freude zu sehen. Ich wohnte mehreren Unterrichtsstunden
bei: Kopfrechnen, Geographie, Botanik, Handfertigkeit, Deklamiren und Lesen.
Überall herrschte dieselbe Munterkeit bei Lehrern wie bei Schülern. Die Schüler
sind nicht blöde und fragen viel, aber das sollen sie. So ist der Unterricht
wie ein Frage- und Antwortspiel, das namentlich in den obern Klassen in der
Mathematik und Naturkunde anregend wirkte und niemals Langeweile auf¬
kommen ließ. Hausarbeiten werden fast ganz vermieden, damit sich die Kinder
nicht angewöhnen, mit ihren Skrupeln und Zweifeln hinter dem Berge zu
halten oder sich mit Hilfe von Verwandten darüber hinwegzustümpern; sie sollen
dem Lehrer selbst damit kommen. Statt des lästigen Heftekorrigirens giebt
der Lehrer lieber dem und jenem eine Nachhilfestunde, die oft nichts weiter
als ein unterhaltender Spaziergang oder ein Plauderstündchen ist. Sowohl bei
meinen Besuchen in der Schule, die unangemeldet ans die Einladung des
Direktors hin stattfanden, wie beim Examen, wo die Kinder den anwesenden
Eltern zeigen sollten, was sie konnten, bewunderte ich die Gewandtheit im
Kopfrechnen, im Übersetzen und Deklamiren und die Findigkeit, wenn es galt,
kleine mathematische, technische und physikalische Rätsel zu lösen, wie sie sich
gerade aus der Unterhaltung zwischen dem Lehrer und der Klasse ergaben.

Mit dem Hersagen von auswendiggelernteu Bibelsprüchen hielt man sich


?ni>lie Lelaool. Um keine Antwort verlegen, dreist, oft laut, machten sie den
Eindruck von geistig selbständigen Menschen, die wohl wissen, wie viel sie sich
gefallen zu lassen brauchen. Wenn man mit ihnen sprach und scherzte, schien
es, als ob sie mehr nach der Seite des Verstandes, als nach der des Gemüts
entwickelt wären. I clon't, og-rs, ich gebe nichts drum, ist ihr zweites Wort,
namentlich in Gefühlssachen und Fragen der Heimathliebe, der Elternliebe.
Flink und behende sind sie aber infolge des vielen und guten Turnunterrichts,
den sie täglich genießen. Bestellen und Erfindungen fangen schon den Kleinen
an im Kopfe hcrumzuspuken; träumerisches Wesen findet man selten unter ihnen.
Viel Sinn haben sie für die Tier- und Pflanzenwelt, aber weniger aus
Naturschwärmerei, als aus praktischen Gründen. Man lernt die Pflanzen nicht
kennen, um die Staubgefäße zu zählen und die Klassen zu bestimmen, das sind
Nebensachen, mit denen man sich nicht lange quält, sondern um bald im Garten
der Eltern helfen, anpflanzen, säen und okuliren zu können und sich womöglich
durch ein paar seltene Sorten, die man auf dem Kinderbeete zieht, schon früh¬
zeitig ein kleines Taschengeld zu verdienen. Maxe und Moritze giebt es überall,
und in Amerika sind sie womöglich noch Pfiffiger als bei uns. Mädchen wie
Jungen sind am Barren und am Reck, auf dem Zweirad wie auf dem leben¬
digen Ponny —- wenn sie eins haben — gleich gewandt. Mit dem Revolver
wissen sie alle umzugehen, das lernen sie an den nationalen Festtagen, wo es
mit Knallerbsen anfängt und mit Scheibenschießen aufhört.

Wie gelehrig und anstellig sich dieser Nachwuchs in den Schulstunden
benahm, war eine Freude zu sehen. Ich wohnte mehreren Unterrichtsstunden
bei: Kopfrechnen, Geographie, Botanik, Handfertigkeit, Deklamiren und Lesen.
Überall herrschte dieselbe Munterkeit bei Lehrern wie bei Schülern. Die Schüler
sind nicht blöde und fragen viel, aber das sollen sie. So ist der Unterricht
wie ein Frage- und Antwortspiel, das namentlich in den obern Klassen in der
Mathematik und Naturkunde anregend wirkte und niemals Langeweile auf¬
kommen ließ. Hausarbeiten werden fast ganz vermieden, damit sich die Kinder
nicht angewöhnen, mit ihren Skrupeln und Zweifeln hinter dem Berge zu
halten oder sich mit Hilfe von Verwandten darüber hinwegzustümpern; sie sollen
dem Lehrer selbst damit kommen. Statt des lästigen Heftekorrigirens giebt
der Lehrer lieber dem und jenem eine Nachhilfestunde, die oft nichts weiter
als ein unterhaltender Spaziergang oder ein Plauderstündchen ist. Sowohl bei
meinen Besuchen in der Schule, die unangemeldet ans die Einladung des
Direktors hin stattfanden, wie beim Examen, wo die Kinder den anwesenden
Eltern zeigen sollten, was sie konnten, bewunderte ich die Gewandtheit im
Kopfrechnen, im Übersetzen und Deklamiren und die Findigkeit, wenn es galt,
kleine mathematische, technische und physikalische Rätsel zu lösen, wie sie sich
gerade aus der Unterhaltung zwischen dem Lehrer und der Klasse ergaben.

Mit dem Hersagen von auswendiggelernteu Bibelsprüchen hielt man sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/623>, abgerufen am 27.11.2024.