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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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lernen. Das deutsche Element hat sich in jenem fernen Westen, obwohl es sich
in der Minderheit befindet, gegen alles Fremde und Feindliche zu Erfolgen
durchgekämpft, die nicht unbedeutend sind. Der Handwerker- und Arbeiter¬
stand bringt hier durch Zähigkeit und Beharrlichkeit mehr zuwege, als der
Großkaufmann durch seine Summen, denn diesem ist es doch schließlich nur
darum zu thun, sein Geschäft zu machen, seine Taschen zu füllen und dann
wieder nach Hause zu gehen. Trotz aller nationalen Anfeindungen ist schou
wiederholt zum Maire der Stadt Kansas ein Deutscher gewählt worden (frei¬
lich nativncckisirt), ein früherer Schreinermeister, jetzt Bankdirektor, wie denn
auch einige der wichtigern städtischen Ämter mit Deutschen besetzt sind. Deutsche
Ingenieure, Architekten, Rechtsanwülte und Pastoren befinden sich hier Wohl,
deutsche Droguerieu und Brauereien stehen in Blüte. Warum nicht auch eine
Schule einrichten, damit unsre Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen? --
so hieß es, und es wurde ausgeführt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen
gelang es, eine eigne deutsche Privatschule unter Leitung des Direktors Rath-
mann aus Sau Louis zu errichten. Für die 15000 Deutschen in Kansas
City ist freilich die Zahl der Schulkinder klein, sie beträgt 200 bis 250 --
eine Folge des Umstandes, daß hier Schulgeld bezahlt werden muß. Aber
die Schule leistet sehr Erfreuliches, vor allem das eine, daß in Zeiten
politischer Reaktion, wenn vor den Wahlen die Hydra der Temperenzlerei,
des Muckertums und des Deutschenhasses ihr Haupt erhebt und das wüsteste
Knownvthingtum alles zu verschlingen trachtet, wenn der deutsche Unterricht in
Gefahr ist, aus den Staatsschulen verbannt oder doch wenigstens unterdrückt
zu werden, die Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen können. Denn
das Deutschsprechen der Eltern im Hause Schutze die vou lauter englisch-
fprechenden Gespielen umgebnen Kleinen nicht davor.

Die Schule liegt an der Ecke der Zehnten und der Mac Geestraße. Es
ist ein von hübschen Turm- und Spielplätzen umgebues einfaches, zwei- und
dreistöckiges Haus, frei auf einer Terrasse liegend, mit schönen Spiegclscheiben-
fenstern und hohen Schicksalen. Nach ihrer Organisation ist die Anstalt etwa
einer deutscheu Bürgerschule zu vergleichen. Sie nimmt die Kinder mit dein
sechsten oder siebenten Jahre auf und bringt sie für ein mäßiges Schulgeld
bis zum fünfzehnten Jahre so weit, daß sie sich entweder einem technischen
oder wissenschaftlichen Berufe widmen können, wenn sie es nicht vorziehen, in
dem meist kaufmännischen oder gelverblichen Geschäft der Eltern weiterzuarbeiten,
oder daß sie noch ein Paar Jahre nach Deutschland geschickt werden und dort
Gymnasium oder Realschule besuchen können. Mädchen gehen auch wohl auf
ein deutsches Konservatorium oder eine Gewerbeschule, doch kommt das sel¬
tener vor.

Auch in der deutschen Schule sah ich dieselben frischen, selbstbewußten
Kinder auf dem Turnplatze und in der Schulstube, wie in der amerikanischen


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lernen. Das deutsche Element hat sich in jenem fernen Westen, obwohl es sich
in der Minderheit befindet, gegen alles Fremde und Feindliche zu Erfolgen
durchgekämpft, die nicht unbedeutend sind. Der Handwerker- und Arbeiter¬
stand bringt hier durch Zähigkeit und Beharrlichkeit mehr zuwege, als der
Großkaufmann durch seine Summen, denn diesem ist es doch schließlich nur
darum zu thun, sein Geschäft zu machen, seine Taschen zu füllen und dann
wieder nach Hause zu gehen. Trotz aller nationalen Anfeindungen ist schou
wiederholt zum Maire der Stadt Kansas ein Deutscher gewählt worden (frei¬
lich nativncckisirt), ein früherer Schreinermeister, jetzt Bankdirektor, wie denn
auch einige der wichtigern städtischen Ämter mit Deutschen besetzt sind. Deutsche
Ingenieure, Architekten, Rechtsanwülte und Pastoren befinden sich hier Wohl,
deutsche Droguerieu und Brauereien stehen in Blüte. Warum nicht auch eine
Schule einrichten, damit unsre Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen? —
so hieß es, und es wurde ausgeführt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen
gelang es, eine eigne deutsche Privatschule unter Leitung des Direktors Rath-
mann aus Sau Louis zu errichten. Für die 15000 Deutschen in Kansas
City ist freilich die Zahl der Schulkinder klein, sie beträgt 200 bis 250 —
eine Folge des Umstandes, daß hier Schulgeld bezahlt werden muß. Aber
die Schule leistet sehr Erfreuliches, vor allem das eine, daß in Zeiten
politischer Reaktion, wenn vor den Wahlen die Hydra der Temperenzlerei,
des Muckertums und des Deutschenhasses ihr Haupt erhebt und das wüsteste
Knownvthingtum alles zu verschlingen trachtet, wenn der deutsche Unterricht in
Gefahr ist, aus den Staatsschulen verbannt oder doch wenigstens unterdrückt
zu werden, die Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen können. Denn
das Deutschsprechen der Eltern im Hause Schutze die vou lauter englisch-
fprechenden Gespielen umgebnen Kleinen nicht davor.

Die Schule liegt an der Ecke der Zehnten und der Mac Geestraße. Es
ist ein von hübschen Turm- und Spielplätzen umgebues einfaches, zwei- und
dreistöckiges Haus, frei auf einer Terrasse liegend, mit schönen Spiegclscheiben-
fenstern und hohen Schicksalen. Nach ihrer Organisation ist die Anstalt etwa
einer deutscheu Bürgerschule zu vergleichen. Sie nimmt die Kinder mit dein
sechsten oder siebenten Jahre auf und bringt sie für ein mäßiges Schulgeld
bis zum fünfzehnten Jahre so weit, daß sie sich entweder einem technischen
oder wissenschaftlichen Berufe widmen können, wenn sie es nicht vorziehen, in
dem meist kaufmännischen oder gelverblichen Geschäft der Eltern weiterzuarbeiten,
oder daß sie noch ein Paar Jahre nach Deutschland geschickt werden und dort
Gymnasium oder Realschule besuchen können. Mädchen gehen auch wohl auf
ein deutsches Konservatorium oder eine Gewerbeschule, doch kommt das sel¬
tener vor.

Auch in der deutschen Schule sah ich dieselben frischen, selbstbewußten
Kinder auf dem Turnplatze und in der Schulstube, wie in der amerikanischen


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[0622] Bilder aus dein besten lernen. Das deutsche Element hat sich in jenem fernen Westen, obwohl es sich in der Minderheit befindet, gegen alles Fremde und Feindliche zu Erfolgen durchgekämpft, die nicht unbedeutend sind. Der Handwerker- und Arbeiter¬ stand bringt hier durch Zähigkeit und Beharrlichkeit mehr zuwege, als der Großkaufmann durch seine Summen, denn diesem ist es doch schließlich nur darum zu thun, sein Geschäft zu machen, seine Taschen zu füllen und dann wieder nach Hause zu gehen. Trotz aller nationalen Anfeindungen ist schou wiederholt zum Maire der Stadt Kansas ein Deutscher gewählt worden (frei¬ lich nativncckisirt), ein früherer Schreinermeister, jetzt Bankdirektor, wie denn auch einige der wichtigern städtischen Ämter mit Deutschen besetzt sind. Deutsche Ingenieure, Architekten, Rechtsanwülte und Pastoren befinden sich hier Wohl, deutsche Droguerieu und Brauereien stehen in Blüte. Warum nicht auch eine Schule einrichten, damit unsre Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen? — so hieß es, und es wurde ausgeführt. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es, eine eigne deutsche Privatschule unter Leitung des Direktors Rath- mann aus Sau Louis zu errichten. Für die 15000 Deutschen in Kansas City ist freilich die Zahl der Schulkinder klein, sie beträgt 200 bis 250 — eine Folge des Umstandes, daß hier Schulgeld bezahlt werden muß. Aber die Schule leistet sehr Erfreuliches, vor allem das eine, daß in Zeiten politischer Reaktion, wenn vor den Wahlen die Hydra der Temperenzlerei, des Muckertums und des Deutschenhasses ihr Haupt erhebt und das wüsteste Knownvthingtum alles zu verschlingen trachtet, wenn der deutsche Unterricht in Gefahr ist, aus den Staatsschulen verbannt oder doch wenigstens unterdrückt zu werden, die Kinder ihre Muttersprache nicht ganz vergessen können. Denn das Deutschsprechen der Eltern im Hause Schutze die vou lauter englisch- fprechenden Gespielen umgebnen Kleinen nicht davor. Die Schule liegt an der Ecke der Zehnten und der Mac Geestraße. Es ist ein von hübschen Turm- und Spielplätzen umgebues einfaches, zwei- und dreistöckiges Haus, frei auf einer Terrasse liegend, mit schönen Spiegclscheiben- fenstern und hohen Schicksalen. Nach ihrer Organisation ist die Anstalt etwa einer deutscheu Bürgerschule zu vergleichen. Sie nimmt die Kinder mit dein sechsten oder siebenten Jahre auf und bringt sie für ein mäßiges Schulgeld bis zum fünfzehnten Jahre so weit, daß sie sich entweder einem technischen oder wissenschaftlichen Berufe widmen können, wenn sie es nicht vorziehen, in dem meist kaufmännischen oder gelverblichen Geschäft der Eltern weiterzuarbeiten, oder daß sie noch ein Paar Jahre nach Deutschland geschickt werden und dort Gymnasium oder Realschule besuchen können. Mädchen gehen auch wohl auf ein deutsches Konservatorium oder eine Gewerbeschule, doch kommt das sel¬ tener vor. Auch in der deutschen Schule sah ich dieselben frischen, selbstbewußten Kinder auf dem Turnplatze und in der Schulstube, wie in der amerikanischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/622>, abgerufen am 27.11.2024.