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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Ich hatte von meinem Newyorker Aufenthalt manche recht böse Schatten¬
seiten der amerikanischen Schulverhältnisse im Gedächtnis: Einseitigkeit, Ober¬
flächlichkeit, amerikanisches Knownothingtum, das mit sich fertig und zufrieden
ist, nichts von der alten Welt braucht, daher aber auch oft ungehobelte
Geister erzielt, die sich in die Welt außerhalb Amerikas nicht zu schicken wissen.
Ich sah vor meinem Geiste die Lxsllmg- llmtvllss, die Buchstnbierspiele der
Erwachsenen, die von Lehrern und Geistlichen arrangirten Sodawasser- und
Erdbeerpicknicks, wo der den Preis bekam, der beim Buchstabieren beliebiger
Wörter aus der Muttersprache die wenigsten Fehler machte. Ich sah die
candyknabbernden und gummikauenden Lehrerinnen umgeben von süßholz¬
raspelnden jungen Geistlichen und Lehrern, mit deren einem dann und wann
eine auf und davon ging, ich sah den mit Gemüse- und Obstkörben voll¬
gepfropften Doktorwagen des Schnlvorstehers Dr. Freeman. Wiewohl dieser
Herr reich war und vierzehn Pferde im Stall stehen hatte, fuhr er doch nie
unters auf die Praxis als mit Körben zum Einkaufen im Wagen. Er kaufte auch
immer nur da, wo ein andrer Arzt einen Patienten behandelte, und plauderte
mit den Leuten so lange, bis er den Fall schließlich selbst in Behandlung
bekam. Jeder, der eine der vielen von ihm zu vergehenden Stellen haben
wollte, wußte, wozu er die Körbe unter seiner Wagendecke mit hatte, und
ein Briefchen mit einem Geschenk wurde von dem kleinen schwarzen Nosfe-
lenker auf dem Bock richtig besorgt, auch wenn der Herr gerade mit Ein¬
käufen in den Läden der Patienten andrer Ärzte beschäftigt war. Dieser
Schulvater erwarb sich durch seine Geschicklichkeit ein kleines Vermögen.

Ich war also wahrlich nicht ohne Vorurteil an die Besichtigung der hiesigen
Schulen gegangen, auch war mein philologisches Herz durch I'lisirristovlss
Usoolei tsillns und durch die "deutschen Dickköpfe" arg gekränkt worden.
Als ich aber die körperliche und geistige Frische sah, mit der die jungeu
Leute auf den Unterricht eingingen, der sich stets an das Nächstliegende hielt
und Ausgangspunkt und Ziel im natürlichsten und einfachsten suchte und
fand, fing ich doch an, das zu verstehen, was hier in Gestalt einer natür¬
lichen (nicht konferenzmäßig ausgeklügelten) Schulreform im Keime vor mir
lag. Trotz alles Knownothingtums, trotz aller Verachtung, mit der man sich
über Formenlehre und Syntax hinwegsetzte, trotz alles Mangels an ge¬
ordnetem Sprach- und Geschichtsunterricht leuchtete doch aus allem das eine
durch: man hilft sich hier schneller über Altes, Unbrauchbares hinweg und tritt
frischer an das uns umgebende Neue heran.

Wo bei uns die Jugend noch befangen ist in altfränkischen Alfanzereien,
in Siegel- und Briefmarkensammlungen, treiben hier die Knaben desselben
Alters schon mit Eifer Chemie und legen sich nach und nach kleine Labora¬
torien an, blasen sich selbst ihre Glastuben, bestellt sich selbst ihre Öfen und
Regale zurecht, und während in Deutschland der Junge mit trübem Gesicht


Bilder aus dem Westen

Ich hatte von meinem Newyorker Aufenthalt manche recht böse Schatten¬
seiten der amerikanischen Schulverhältnisse im Gedächtnis: Einseitigkeit, Ober¬
flächlichkeit, amerikanisches Knownothingtum, das mit sich fertig und zufrieden
ist, nichts von der alten Welt braucht, daher aber auch oft ungehobelte
Geister erzielt, die sich in die Welt außerhalb Amerikas nicht zu schicken wissen.
Ich sah vor meinem Geiste die Lxsllmg- llmtvllss, die Buchstnbierspiele der
Erwachsenen, die von Lehrern und Geistlichen arrangirten Sodawasser- und
Erdbeerpicknicks, wo der den Preis bekam, der beim Buchstabieren beliebiger
Wörter aus der Muttersprache die wenigsten Fehler machte. Ich sah die
candyknabbernden und gummikauenden Lehrerinnen umgeben von süßholz¬
raspelnden jungen Geistlichen und Lehrern, mit deren einem dann und wann
eine auf und davon ging, ich sah den mit Gemüse- und Obstkörben voll¬
gepfropften Doktorwagen des Schnlvorstehers Dr. Freeman. Wiewohl dieser
Herr reich war und vierzehn Pferde im Stall stehen hatte, fuhr er doch nie
unters auf die Praxis als mit Körben zum Einkaufen im Wagen. Er kaufte auch
immer nur da, wo ein andrer Arzt einen Patienten behandelte, und plauderte
mit den Leuten so lange, bis er den Fall schließlich selbst in Behandlung
bekam. Jeder, der eine der vielen von ihm zu vergehenden Stellen haben
wollte, wußte, wozu er die Körbe unter seiner Wagendecke mit hatte, und
ein Briefchen mit einem Geschenk wurde von dem kleinen schwarzen Nosfe-
lenker auf dem Bock richtig besorgt, auch wenn der Herr gerade mit Ein¬
käufen in den Läden der Patienten andrer Ärzte beschäftigt war. Dieser
Schulvater erwarb sich durch seine Geschicklichkeit ein kleines Vermögen.

Ich war also wahrlich nicht ohne Vorurteil an die Besichtigung der hiesigen
Schulen gegangen, auch war mein philologisches Herz durch I'lisirristovlss
Usoolei tsillns und durch die „deutschen Dickköpfe" arg gekränkt worden.
Als ich aber die körperliche und geistige Frische sah, mit der die jungeu
Leute auf den Unterricht eingingen, der sich stets an das Nächstliegende hielt
und Ausgangspunkt und Ziel im natürlichsten und einfachsten suchte und
fand, fing ich doch an, das zu verstehen, was hier in Gestalt einer natür¬
lichen (nicht konferenzmäßig ausgeklügelten) Schulreform im Keime vor mir
lag. Trotz alles Knownothingtums, trotz aller Verachtung, mit der man sich
über Formenlehre und Syntax hinwegsetzte, trotz alles Mangels an ge¬
ordnetem Sprach- und Geschichtsunterricht leuchtete doch aus allem das eine
durch: man hilft sich hier schneller über Altes, Unbrauchbares hinweg und tritt
frischer an das uns umgebende Neue heran.

Wo bei uns die Jugend noch befangen ist in altfränkischen Alfanzereien,
in Siegel- und Briefmarkensammlungen, treiben hier die Knaben desselben
Alters schon mit Eifer Chemie und legen sich nach und nach kleine Labora¬
torien an, blasen sich selbst ihre Glastuben, bestellt sich selbst ihre Öfen und
Regale zurecht, und während in Deutschland der Junge mit trübem Gesicht


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[0618] Bilder aus dem Westen Ich hatte von meinem Newyorker Aufenthalt manche recht böse Schatten¬ seiten der amerikanischen Schulverhältnisse im Gedächtnis: Einseitigkeit, Ober¬ flächlichkeit, amerikanisches Knownothingtum, das mit sich fertig und zufrieden ist, nichts von der alten Welt braucht, daher aber auch oft ungehobelte Geister erzielt, die sich in die Welt außerhalb Amerikas nicht zu schicken wissen. Ich sah vor meinem Geiste die Lxsllmg- llmtvllss, die Buchstnbierspiele der Erwachsenen, die von Lehrern und Geistlichen arrangirten Sodawasser- und Erdbeerpicknicks, wo der den Preis bekam, der beim Buchstabieren beliebiger Wörter aus der Muttersprache die wenigsten Fehler machte. Ich sah die candyknabbernden und gummikauenden Lehrerinnen umgeben von süßholz¬ raspelnden jungen Geistlichen und Lehrern, mit deren einem dann und wann eine auf und davon ging, ich sah den mit Gemüse- und Obstkörben voll¬ gepfropften Doktorwagen des Schnlvorstehers Dr. Freeman. Wiewohl dieser Herr reich war und vierzehn Pferde im Stall stehen hatte, fuhr er doch nie unters auf die Praxis als mit Körben zum Einkaufen im Wagen. Er kaufte auch immer nur da, wo ein andrer Arzt einen Patienten behandelte, und plauderte mit den Leuten so lange, bis er den Fall schließlich selbst in Behandlung bekam. Jeder, der eine der vielen von ihm zu vergehenden Stellen haben wollte, wußte, wozu er die Körbe unter seiner Wagendecke mit hatte, und ein Briefchen mit einem Geschenk wurde von dem kleinen schwarzen Nosfe- lenker auf dem Bock richtig besorgt, auch wenn der Herr gerade mit Ein¬ käufen in den Läden der Patienten andrer Ärzte beschäftigt war. Dieser Schulvater erwarb sich durch seine Geschicklichkeit ein kleines Vermögen. Ich war also wahrlich nicht ohne Vorurteil an die Besichtigung der hiesigen Schulen gegangen, auch war mein philologisches Herz durch I'lisirristovlss Usoolei tsillns und durch die „deutschen Dickköpfe" arg gekränkt worden. Als ich aber die körperliche und geistige Frische sah, mit der die jungeu Leute auf den Unterricht eingingen, der sich stets an das Nächstliegende hielt und Ausgangspunkt und Ziel im natürlichsten und einfachsten suchte und fand, fing ich doch an, das zu verstehen, was hier in Gestalt einer natür¬ lichen (nicht konferenzmäßig ausgeklügelten) Schulreform im Keime vor mir lag. Trotz alles Knownothingtums, trotz aller Verachtung, mit der man sich über Formenlehre und Syntax hinwegsetzte, trotz alles Mangels an ge¬ ordnetem Sprach- und Geschichtsunterricht leuchtete doch aus allem das eine durch: man hilft sich hier schneller über Altes, Unbrauchbares hinweg und tritt frischer an das uns umgebende Neue heran. Wo bei uns die Jugend noch befangen ist in altfränkischen Alfanzereien, in Siegel- und Briefmarkensammlungen, treiben hier die Knaben desselben Alters schon mit Eifer Chemie und legen sich nach und nach kleine Labora¬ torien an, blasen sich selbst ihre Glastuben, bestellt sich selbst ihre Öfen und Regale zurecht, und während in Deutschland der Junge mit trübem Gesicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/618>, abgerufen am 01.09.2024.