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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Die Einrichtung der Schulzimmer war musterhaft. Quaderfußboden,
Olcmstrich, Schulbänke, die sich in Stehpulte verwandeln ließen, Tische zum
Auf- und Zuklappen, alles zeugte von dem Streben, das Beste und Zweck¬
müßigste, sowie es erfunden und hergestellt war, auch sofort zu erproben.
Manche Vorrichtungen, wie Tafelgestelle, Schreibpulte, Stehpulte, schienen
sich in den verschiednen Klassenzimmern förmlich Konkurrenz zu machen.
Klappten hier Lehnen und Sessel so zusammen, daß sie Aufbewahrungs-
schränke für Schulsachen bildeten, so ließen sie sich im Zimmer daneben wieder
auf andre Art und sogar ganz geräuschlos zusammenlegen. Im Musiksaal
prangte eine stattliche Orgel mit Tonschwellung, in einem andern Saale
stand ein Flügel, der mit der Orgel in elektrischer Verbindung stand. Auf
Schritt und Tritt sah man die überraschendsten Neuerungen für Schulein-
richiung.

Ich fragte, wie die Schule zu so kostbarem Material käme. Die Ant¬
wort lautete: Die Fabriken beeilen sich, dem Staate und den Stadtverwal¬
tungen ihre neuesten Vervollkommnungen von Schuleinrichtungen zur Ver¬
fügung zu stellen. Modelle, Ausstellungsgegenstände, ja ganze Einrichtungen
senden die Fabrikherrn nicht nur zur Probe, sondern zum dauernden Gebrauch,
alles in der Hoffnung, bei den Schulvätern, deu Stadtverordneten, Anerken¬
nung zu finden, empfohlen zu werden und späterhin vielleicht auch einmal
Aufträge zu bekommen.

Aber auch Stadtverwaltung und Staat sparen nicht, um das Beste zu
ermöglichen. Wie ich von Mr. Miller erfuhr, und wie mir eine der Lehre¬
rinnen, die Tochter unsers deutscheu Architekten in Kansas City, bestätigte,
waren die Lchrergehalte sehr gut. Diese junge Dame, eine der sechs hier
angestellten Lehrerinnen, hatte diese Schule als Kind selbst durchgemacht,
hatte bayr ihr Schulexamen bestanden und war nach halbjähriger Seminarzeit
und einem zweiten Examen mit einem Gehalt von fünfzig Dollar monatlich
sofort angestellt worden. Im zweiten Jahre bezog sie schon sechzig Dollar,
also etwa 3025 Mark jährlich. Die Gehalte für alle zwölf Lehrer und
Lehrerinnen betrugen jährlich etwa 10000 Dollar.

In eiuer solchen Schule werden Knaben und Mädchen bis zum achten
Jahre gemeinsam, vom achten bis zum sechzehnten Jahre getrennt unterrichtet.
Dann gehen sie, um sich Fachbildung zu erwerben, auf zwei bis drei Jahre
in ein fachwisfenschaftliches Institut für Handel, Post- oder Telegraphendienst,
technische oder wissenschaftliche Fächer.

So eingenommen gegen amerikanische Oberflächlichkeit man auch dem
ganzen hiesigen Schulwesen gegenübertreten mag, so drängt sich doch jedem,
der an den deutsch-amerikanischen Nachwuchs denkt, die Frage aus, ob man
auch gut daran thue, Kinder und Enkel, wenn sie nun doch einmal in
Amerika leben sollen, in europäische Schulen und Pensionen zu schicken. Was


Bilder aus dem Westen

Die Einrichtung der Schulzimmer war musterhaft. Quaderfußboden,
Olcmstrich, Schulbänke, die sich in Stehpulte verwandeln ließen, Tische zum
Auf- und Zuklappen, alles zeugte von dem Streben, das Beste und Zweck¬
müßigste, sowie es erfunden und hergestellt war, auch sofort zu erproben.
Manche Vorrichtungen, wie Tafelgestelle, Schreibpulte, Stehpulte, schienen
sich in den verschiednen Klassenzimmern förmlich Konkurrenz zu machen.
Klappten hier Lehnen und Sessel so zusammen, daß sie Aufbewahrungs-
schränke für Schulsachen bildeten, so ließen sie sich im Zimmer daneben wieder
auf andre Art und sogar ganz geräuschlos zusammenlegen. Im Musiksaal
prangte eine stattliche Orgel mit Tonschwellung, in einem andern Saale
stand ein Flügel, der mit der Orgel in elektrischer Verbindung stand. Auf
Schritt und Tritt sah man die überraschendsten Neuerungen für Schulein-
richiung.

Ich fragte, wie die Schule zu so kostbarem Material käme. Die Ant¬
wort lautete: Die Fabriken beeilen sich, dem Staate und den Stadtverwal¬
tungen ihre neuesten Vervollkommnungen von Schuleinrichtungen zur Ver¬
fügung zu stellen. Modelle, Ausstellungsgegenstände, ja ganze Einrichtungen
senden die Fabrikherrn nicht nur zur Probe, sondern zum dauernden Gebrauch,
alles in der Hoffnung, bei den Schulvätern, deu Stadtverordneten, Anerken¬
nung zu finden, empfohlen zu werden und späterhin vielleicht auch einmal
Aufträge zu bekommen.

Aber auch Stadtverwaltung und Staat sparen nicht, um das Beste zu
ermöglichen. Wie ich von Mr. Miller erfuhr, und wie mir eine der Lehre¬
rinnen, die Tochter unsers deutscheu Architekten in Kansas City, bestätigte,
waren die Lchrergehalte sehr gut. Diese junge Dame, eine der sechs hier
angestellten Lehrerinnen, hatte diese Schule als Kind selbst durchgemacht,
hatte bayr ihr Schulexamen bestanden und war nach halbjähriger Seminarzeit
und einem zweiten Examen mit einem Gehalt von fünfzig Dollar monatlich
sofort angestellt worden. Im zweiten Jahre bezog sie schon sechzig Dollar,
also etwa 3025 Mark jährlich. Die Gehalte für alle zwölf Lehrer und
Lehrerinnen betrugen jährlich etwa 10000 Dollar.

In eiuer solchen Schule werden Knaben und Mädchen bis zum achten
Jahre gemeinsam, vom achten bis zum sechzehnten Jahre getrennt unterrichtet.
Dann gehen sie, um sich Fachbildung zu erwerben, auf zwei bis drei Jahre
in ein fachwisfenschaftliches Institut für Handel, Post- oder Telegraphendienst,
technische oder wissenschaftliche Fächer.

So eingenommen gegen amerikanische Oberflächlichkeit man auch dem
ganzen hiesigen Schulwesen gegenübertreten mag, so drängt sich doch jedem,
der an den deutsch-amerikanischen Nachwuchs denkt, die Frage aus, ob man
auch gut daran thue, Kinder und Enkel, wenn sie nun doch einmal in
Amerika leben sollen, in europäische Schulen und Pensionen zu schicken. Was


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[0616] Bilder aus dem Westen Die Einrichtung der Schulzimmer war musterhaft. Quaderfußboden, Olcmstrich, Schulbänke, die sich in Stehpulte verwandeln ließen, Tische zum Auf- und Zuklappen, alles zeugte von dem Streben, das Beste und Zweck¬ müßigste, sowie es erfunden und hergestellt war, auch sofort zu erproben. Manche Vorrichtungen, wie Tafelgestelle, Schreibpulte, Stehpulte, schienen sich in den verschiednen Klassenzimmern förmlich Konkurrenz zu machen. Klappten hier Lehnen und Sessel so zusammen, daß sie Aufbewahrungs- schränke für Schulsachen bildeten, so ließen sie sich im Zimmer daneben wieder auf andre Art und sogar ganz geräuschlos zusammenlegen. Im Musiksaal prangte eine stattliche Orgel mit Tonschwellung, in einem andern Saale stand ein Flügel, der mit der Orgel in elektrischer Verbindung stand. Auf Schritt und Tritt sah man die überraschendsten Neuerungen für Schulein- richiung. Ich fragte, wie die Schule zu so kostbarem Material käme. Die Ant¬ wort lautete: Die Fabriken beeilen sich, dem Staate und den Stadtverwal¬ tungen ihre neuesten Vervollkommnungen von Schuleinrichtungen zur Ver¬ fügung zu stellen. Modelle, Ausstellungsgegenstände, ja ganze Einrichtungen senden die Fabrikherrn nicht nur zur Probe, sondern zum dauernden Gebrauch, alles in der Hoffnung, bei den Schulvätern, deu Stadtverordneten, Anerken¬ nung zu finden, empfohlen zu werden und späterhin vielleicht auch einmal Aufträge zu bekommen. Aber auch Stadtverwaltung und Staat sparen nicht, um das Beste zu ermöglichen. Wie ich von Mr. Miller erfuhr, und wie mir eine der Lehre¬ rinnen, die Tochter unsers deutscheu Architekten in Kansas City, bestätigte, waren die Lchrergehalte sehr gut. Diese junge Dame, eine der sechs hier angestellten Lehrerinnen, hatte diese Schule als Kind selbst durchgemacht, hatte bayr ihr Schulexamen bestanden und war nach halbjähriger Seminarzeit und einem zweiten Examen mit einem Gehalt von fünfzig Dollar monatlich sofort angestellt worden. Im zweiten Jahre bezog sie schon sechzig Dollar, also etwa 3025 Mark jährlich. Die Gehalte für alle zwölf Lehrer und Lehrerinnen betrugen jährlich etwa 10000 Dollar. In eiuer solchen Schule werden Knaben und Mädchen bis zum achten Jahre gemeinsam, vom achten bis zum sechzehnten Jahre getrennt unterrichtet. Dann gehen sie, um sich Fachbildung zu erwerben, auf zwei bis drei Jahre in ein fachwisfenschaftliches Institut für Handel, Post- oder Telegraphendienst, technische oder wissenschaftliche Fächer. So eingenommen gegen amerikanische Oberflächlichkeit man auch dem ganzen hiesigen Schulwesen gegenübertreten mag, so drängt sich doch jedem, der an den deutsch-amerikanischen Nachwuchs denkt, die Frage aus, ob man auch gut daran thue, Kinder und Enkel, wenn sie nun doch einmal in Amerika leben sollen, in europäische Schulen und Pensionen zu schicken. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/616>, abgerufen am 28.07.2024.