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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Teuer und wohlfeil

denken Raum gegeben hätten, ob nicht infolge der durch die neue Währung
verschuldeten Geldknappheit ein allgemeiner Preisfall eingetreten sei.

Verschiedne Statistiker, die auch Bever erwähnt, haben den Preisfall nach¬
zuweisen gesucht. An einigen hundert Warcnsorten ist die Preisbewegung ver¬
folgt worden. Aber wenn auch einige tausend Warensorten billiger geworden
wären, so lange Wohnung, Kleidung, Nahrung und Heizung nicht billiger ge¬
worden sind, kann man von einem allgemeinen Preisrückgänge nicht sprechen;
diese Güter allein wiegen viele tausend für das Volkswohl gleichgiltige Handels¬
artikel ans.

Bever beruft sich namentlich ans Giffen, der den Preisfall seit 1873,
für England wenigstens, an Eisen, Kupfer, Kohlen, Weizen, Baumwolle, Wolle
und Zucker nachweist, und führt auch die steigende Verlegenheit der englischen
Banmwvllenindustrie auf die Goldwährung zurück. Es ist doch aber klar, daß
das Schicksal der Textilindustrie aller Länder bei jeder Art von Währung un¬
abwendbar ist. Die Maschinenspinnerei und -Weberei, die noch immerfort ver¬
vollkommnet wird, und die sich mehr und mehr über alle Kulturstaaten ver¬
breitet, hat die Produktion dermaßen erleichtert, daß es kein noch so toller
Modewechsel dem Weltmarkte möglich machen kann, die ungeheuern Gewebe-
masfen, die alljährlich erzeugt werden, zu verdauen, und keine Macht der
Erde und keine Währungspolitik vermöchte unter diesen Umständen den Ge¬
weben auf die Dauer lohnende Preise zu sichern. Der Zuckerkrach sodann ist
bekanntlich durch die Exportprämien verschuldet worden. Das Eisen kämpft
nicht erst seit 1873. Der Aufschwung der Maschinentechnik, die Eisenbahn¬
bauten, die großen Kriege und der bewaffnete Friede haben die Eisenindustrie
groß gemacht. Allein der Eisenbahnbau kann, nachdem die wichtigsten Netze
ausgebaut sind, nicht in demselben Tempo fortschreiten, auch sür den Bedarf
der Industrie und der Landwirtschaft an Maschinen giebt es einen Sättigungs¬
grad, und dem guten Willen der Regierungen und Parlamente, den Eisen¬
industriellen mit neuen Gewehren, Kanonen und Panzerschiffen zu Hilfe zu
kommen, zieht die erschöpfte Steuerkraft der Völker alljährlich immer engere
Grenzen. Auf diesen sehr natürlichen Gründen beruht der Fall des Eisen¬
preises. Von der Eisenindustrie häugen die Kohlenpreise ab, von deren Sinken,
nebenbei bemerkt, der gemeine Mann beim Einkauf seines Feuerungsmaterials
nicht viel spürt, da die Großhändler durch Ningbildung den Gewinn in ihre
Taschen zu leiten verstehen. Außerdem hat die fortschreitende Maschinentechnik
auch die Kohlengewinnung erleichtert und 'gefördert. Wenn aber der Getreide¬
preis gegen früher gefallen oder wenigstens nicht gestiegen ist, so haben wir
das nicht der Goldwährung, sondern bekanntlich dem nordamerikanischen Weizen¬
bau zu verdanken, der erst seit 1870 einen so gewaltigen Umfang ange¬
nommen hat.

Fragen wir nun, wie es sich mit den Preisen jener hauptsächlichsten Güter


Teuer und wohlfeil

denken Raum gegeben hätten, ob nicht infolge der durch die neue Währung
verschuldeten Geldknappheit ein allgemeiner Preisfall eingetreten sei.

Verschiedne Statistiker, die auch Bever erwähnt, haben den Preisfall nach¬
zuweisen gesucht. An einigen hundert Warcnsorten ist die Preisbewegung ver¬
folgt worden. Aber wenn auch einige tausend Warensorten billiger geworden
wären, so lange Wohnung, Kleidung, Nahrung und Heizung nicht billiger ge¬
worden sind, kann man von einem allgemeinen Preisrückgänge nicht sprechen;
diese Güter allein wiegen viele tausend für das Volkswohl gleichgiltige Handels¬
artikel ans.

Bever beruft sich namentlich ans Giffen, der den Preisfall seit 1873,
für England wenigstens, an Eisen, Kupfer, Kohlen, Weizen, Baumwolle, Wolle
und Zucker nachweist, und führt auch die steigende Verlegenheit der englischen
Banmwvllenindustrie auf die Goldwährung zurück. Es ist doch aber klar, daß
das Schicksal der Textilindustrie aller Länder bei jeder Art von Währung un¬
abwendbar ist. Die Maschinenspinnerei und -Weberei, die noch immerfort ver¬
vollkommnet wird, und die sich mehr und mehr über alle Kulturstaaten ver¬
breitet, hat die Produktion dermaßen erleichtert, daß es kein noch so toller
Modewechsel dem Weltmarkte möglich machen kann, die ungeheuern Gewebe-
masfen, die alljährlich erzeugt werden, zu verdauen, und keine Macht der
Erde und keine Währungspolitik vermöchte unter diesen Umständen den Ge¬
weben auf die Dauer lohnende Preise zu sichern. Der Zuckerkrach sodann ist
bekanntlich durch die Exportprämien verschuldet worden. Das Eisen kämpft
nicht erst seit 1873. Der Aufschwung der Maschinentechnik, die Eisenbahn¬
bauten, die großen Kriege und der bewaffnete Friede haben die Eisenindustrie
groß gemacht. Allein der Eisenbahnbau kann, nachdem die wichtigsten Netze
ausgebaut sind, nicht in demselben Tempo fortschreiten, auch sür den Bedarf
der Industrie und der Landwirtschaft an Maschinen giebt es einen Sättigungs¬
grad, und dem guten Willen der Regierungen und Parlamente, den Eisen¬
industriellen mit neuen Gewehren, Kanonen und Panzerschiffen zu Hilfe zu
kommen, zieht die erschöpfte Steuerkraft der Völker alljährlich immer engere
Grenzen. Auf diesen sehr natürlichen Gründen beruht der Fall des Eisen¬
preises. Von der Eisenindustrie häugen die Kohlenpreise ab, von deren Sinken,
nebenbei bemerkt, der gemeine Mann beim Einkauf seines Feuerungsmaterials
nicht viel spürt, da die Großhändler durch Ningbildung den Gewinn in ihre
Taschen zu leiten verstehen. Außerdem hat die fortschreitende Maschinentechnik
auch die Kohlengewinnung erleichtert und 'gefördert. Wenn aber der Getreide¬
preis gegen früher gefallen oder wenigstens nicht gestiegen ist, so haben wir
das nicht der Goldwährung, sondern bekanntlich dem nordamerikanischen Weizen¬
bau zu verdanken, der erst seit 1870 einen so gewaltigen Umfang ange¬
nommen hat.

Fragen wir nun, wie es sich mit den Preisen jener hauptsächlichsten Güter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/600>, abgerufen am 01.09.2024.