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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zahlungsmittel einschränkte? An und für sich betrachtet, könnte sie diese Wirkung
recht wohl gehabt haben. Es fragt sich aber, ob sie sie wirklich gehabt hat.
und ob das ein Unglück ist.

Die Wörter teuer und wohlfeil bezeichnen das Verhältnis des Edelmetall¬
preises zum Preise der übrigen Waren. Wenn man im Jahre 1200 für ein Pfund
Gold oder Silber zehnmal so viel Güter bekam wie heute, so waren damals
die Waren zehnmal so wohlfeil, oder, was dasselbe ist, die Edelmetalle zehnmal
so teuer wie heute. Eben deswegen, weil damals die Edelmetalle zehnmal so
selten und daher zehnmal so teuer waren, hatten sie zehnmal stärkere Kauf¬
kraft, waren also die Waren zehnmal so billig. Der gewaltige Unterschied
zwischen dem mittelalterlichen und dein modernen Warenpreise beruht der Haupt¬
sache nach auf der Zunahme des Edelmetallvorrats seit jener Zeit und auf
der entsprechend gesunknen Kaufkrnft des Goldes und Silbers.

Es ist nun klar, daß zwar der Übergang von dem einen zum andern
Preisstande desto größere Nöte erzeugen muß, je plötzlicher er eintritt, daß
aber nach erfolgter Ausgleichung der eine Zustand ganz so gut ist wie der andre.
Sinkt der Edelmetallwert durch die Zunahme des Vorrath plötzlich, wird Heuer
vielleicht doppelt so viel Gold oder Silber erfordert, die zum Lebensunterhalt
nötigen Güter zu kaufen, als vorm Jahre, so geraten dadurch alle Personen,
deren Einkommen das nach dem vorjährigen Maßstabe zum standesgemäßen
Leben erforderliche nicht wesentlich übersteigt, in die entsetzlichste Not. Es
sind dies die Lohnarbeiter, die mittlern und kleinen Beamten, die kleinen Rentner.
Landwirte dagegen, Handwerker, Kaufleute und Fabrikanten passen sich der ver¬
änderten Lage am schnellsten an, oder vielmehr sie sind es eben, die durch
Preisaufschläge die Lage verändern. Mit der Zeit steigen die Einkommen der
übrigen Stunde entsprechend, und wenn die Ausgleichung vollendet ist, ist alles
wieder so wie vorher. Es ist vollkommen gleichgiltig, ob der Sack Roggen
einen Thaler oder zehn Thaler kostet, vorausgesetzt, daß im zweiten Falle die
Besoldungen und Arbeitslöhne zehnmal so hoch sind wie im ersten. Die Ein¬
führung der Goldwährung könnte demnach, als Beschränkung der Zahlungs¬
mittel des Weltmarkts, recht wohl das Geld teurer und die Güter billiger
gemacht haben, und das würde ein Vorteil für einige Klassen von Konsu¬
menten, ein Nachteil für manche Produzenten gewesen sein; allein mit der Zeit
würden die Besoldungen, die Grundstückpreise, die Leihkapitalien entsprechend
sinken, und nach Herstellung des Gleichgewichts würde alles wieder so sein
wie zuvor.

Diese Art von Teurung und Billigkeit, die auf der vorhandnen Menge
von Edelmetall beruht, ist demnach für das Volkseinkommen und das Volks¬
wohl gleichgiltig. Nur von den Übergängen von einem Preisstande zum andern
wird das Volkswohl berührt, und von den Verschiebungen der Warenpreise
und der Einkommen bei unverändertem Stande des Edelmetallpreises. Wird


Zahlungsmittel einschränkte? An und für sich betrachtet, könnte sie diese Wirkung
recht wohl gehabt haben. Es fragt sich aber, ob sie sie wirklich gehabt hat.
und ob das ein Unglück ist.

Die Wörter teuer und wohlfeil bezeichnen das Verhältnis des Edelmetall¬
preises zum Preise der übrigen Waren. Wenn man im Jahre 1200 für ein Pfund
Gold oder Silber zehnmal so viel Güter bekam wie heute, so waren damals
die Waren zehnmal so wohlfeil, oder, was dasselbe ist, die Edelmetalle zehnmal
so teuer wie heute. Eben deswegen, weil damals die Edelmetalle zehnmal so
selten und daher zehnmal so teuer waren, hatten sie zehnmal stärkere Kauf¬
kraft, waren also die Waren zehnmal so billig. Der gewaltige Unterschied
zwischen dem mittelalterlichen und dein modernen Warenpreise beruht der Haupt¬
sache nach auf der Zunahme des Edelmetallvorrats seit jener Zeit und auf
der entsprechend gesunknen Kaufkrnft des Goldes und Silbers.

Es ist nun klar, daß zwar der Übergang von dem einen zum andern
Preisstande desto größere Nöte erzeugen muß, je plötzlicher er eintritt, daß
aber nach erfolgter Ausgleichung der eine Zustand ganz so gut ist wie der andre.
Sinkt der Edelmetallwert durch die Zunahme des Vorrath plötzlich, wird Heuer
vielleicht doppelt so viel Gold oder Silber erfordert, die zum Lebensunterhalt
nötigen Güter zu kaufen, als vorm Jahre, so geraten dadurch alle Personen,
deren Einkommen das nach dem vorjährigen Maßstabe zum standesgemäßen
Leben erforderliche nicht wesentlich übersteigt, in die entsetzlichste Not. Es
sind dies die Lohnarbeiter, die mittlern und kleinen Beamten, die kleinen Rentner.
Landwirte dagegen, Handwerker, Kaufleute und Fabrikanten passen sich der ver¬
änderten Lage am schnellsten an, oder vielmehr sie sind es eben, die durch
Preisaufschläge die Lage verändern. Mit der Zeit steigen die Einkommen der
übrigen Stunde entsprechend, und wenn die Ausgleichung vollendet ist, ist alles
wieder so wie vorher. Es ist vollkommen gleichgiltig, ob der Sack Roggen
einen Thaler oder zehn Thaler kostet, vorausgesetzt, daß im zweiten Falle die
Besoldungen und Arbeitslöhne zehnmal so hoch sind wie im ersten. Die Ein¬
führung der Goldwährung könnte demnach, als Beschränkung der Zahlungs¬
mittel des Weltmarkts, recht wohl das Geld teurer und die Güter billiger
gemacht haben, und das würde ein Vorteil für einige Klassen von Konsu¬
menten, ein Nachteil für manche Produzenten gewesen sein; allein mit der Zeit
würden die Besoldungen, die Grundstückpreise, die Leihkapitalien entsprechend
sinken, und nach Herstellung des Gleichgewichts würde alles wieder so sein
wie zuvor.

Diese Art von Teurung und Billigkeit, die auf der vorhandnen Menge
von Edelmetall beruht, ist demnach für das Volkseinkommen und das Volks¬
wohl gleichgiltig. Nur von den Übergängen von einem Preisstande zum andern
wird das Volkswohl berührt, und von den Verschiebungen der Warenpreise
und der Einkommen bei unverändertem Stande des Edelmetallpreises. Wird


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[0598] Zahlungsmittel einschränkte? An und für sich betrachtet, könnte sie diese Wirkung recht wohl gehabt haben. Es fragt sich aber, ob sie sie wirklich gehabt hat. und ob das ein Unglück ist. Die Wörter teuer und wohlfeil bezeichnen das Verhältnis des Edelmetall¬ preises zum Preise der übrigen Waren. Wenn man im Jahre 1200 für ein Pfund Gold oder Silber zehnmal so viel Güter bekam wie heute, so waren damals die Waren zehnmal so wohlfeil, oder, was dasselbe ist, die Edelmetalle zehnmal so teuer wie heute. Eben deswegen, weil damals die Edelmetalle zehnmal so selten und daher zehnmal so teuer waren, hatten sie zehnmal stärkere Kauf¬ kraft, waren also die Waren zehnmal so billig. Der gewaltige Unterschied zwischen dem mittelalterlichen und dein modernen Warenpreise beruht der Haupt¬ sache nach auf der Zunahme des Edelmetallvorrats seit jener Zeit und auf der entsprechend gesunknen Kaufkrnft des Goldes und Silbers. Es ist nun klar, daß zwar der Übergang von dem einen zum andern Preisstande desto größere Nöte erzeugen muß, je plötzlicher er eintritt, daß aber nach erfolgter Ausgleichung der eine Zustand ganz so gut ist wie der andre. Sinkt der Edelmetallwert durch die Zunahme des Vorrath plötzlich, wird Heuer vielleicht doppelt so viel Gold oder Silber erfordert, die zum Lebensunterhalt nötigen Güter zu kaufen, als vorm Jahre, so geraten dadurch alle Personen, deren Einkommen das nach dem vorjährigen Maßstabe zum standesgemäßen Leben erforderliche nicht wesentlich übersteigt, in die entsetzlichste Not. Es sind dies die Lohnarbeiter, die mittlern und kleinen Beamten, die kleinen Rentner. Landwirte dagegen, Handwerker, Kaufleute und Fabrikanten passen sich der ver¬ änderten Lage am schnellsten an, oder vielmehr sie sind es eben, die durch Preisaufschläge die Lage verändern. Mit der Zeit steigen die Einkommen der übrigen Stunde entsprechend, und wenn die Ausgleichung vollendet ist, ist alles wieder so wie vorher. Es ist vollkommen gleichgiltig, ob der Sack Roggen einen Thaler oder zehn Thaler kostet, vorausgesetzt, daß im zweiten Falle die Besoldungen und Arbeitslöhne zehnmal so hoch sind wie im ersten. Die Ein¬ führung der Goldwährung könnte demnach, als Beschränkung der Zahlungs¬ mittel des Weltmarkts, recht wohl das Geld teurer und die Güter billiger gemacht haben, und das würde ein Vorteil für einige Klassen von Konsu¬ menten, ein Nachteil für manche Produzenten gewesen sein; allein mit der Zeit würden die Besoldungen, die Grundstückpreise, die Leihkapitalien entsprechend sinken, und nach Herstellung des Gleichgewichts würde alles wieder so sein wie zuvor. Diese Art von Teurung und Billigkeit, die auf der vorhandnen Menge von Edelmetall beruht, ist demnach für das Volkseinkommen und das Volks¬ wohl gleichgiltig. Nur von den Übergängen von einem Preisstande zum andern wird das Volkswohl berührt, und von den Verschiebungen der Warenpreise und der Einkommen bei unverändertem Stande des Edelmetallpreises. Wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/598>, abgerufen am 23.11.2024.