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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Anmerkungen zur Judenfrage

Werden, denn ehe dieser Krebsschaden nicht ausgetilgt ist, eher kann sich das
geistige Leben unsers ueugeeinten Volkes nicht frei entfalten. Die allgemeine
Judenfrage aber hat mit der Judemwt Berlins nichts zu schaffen.

Sie hat aber meiner Meinung nach auch nichts zu schaffen mit der
Judennot einzelner Gegenden, wie Hessen und Preußisch-Polen. Niemand,
der diese Gegenden auch nur flüchtig kennen gelernt hat, wird leugnen, daß
hier eine Judeunvt thatsächlich besteht, aber mir scheint, sie muß für sich, muß
an Ort und Stelle bekämpft werden. Denn gerade in den Gegenden unsers
gesegneten Vaterlandes sind die Juden obenauf, wo das niedre Volk dnrch
lange Mißwirtschaft der herrschenden Klassen zurückgeblieben und verkommen
ist. Das kann doch auch kein Zufall sein. Wer sich darüber näher unter¬
richten will, der reise einmal von einem westfälischen Bauernhofe sofort in
ein hessisches Dorf, der rede mit einem niederdeutschen Bauer über Dinge aus
seinem Gesichtskreise und bemühe sich dann, aus einem hessischen Landmann,
der hinter dem Schnapsglase sitzt, eine Meinung über ähnliche Gegenstünde
herauszuholen, der vergleiche eine hochgewachsene Holfteinerin mit einem
schmutzigen Hessenweib oder einer polnischen Bäuerin. Ich glaube, diesen
Gegenden hilft man nicht dadurch, daß man die Juden austreibt, sondern
nnr dadurch, daß mau die zurückgebliebne Bevölkerung auf eine höhere Kultur¬
stufe zu heben sucht, und wenn der örtliche Antisemitismus hierzu auch nur
den Anstoß giebt, so hat er sich schon damit ein Verdienst erworben.

Aber wie gesagt, auch dieser örtliche Antisemitismus hat mit der all¬
gemeinen Judenfrage nichts zu thun. Diese Frage lautet nämlich: wie bringen
wir es fertig, daß die Trümmer der jüdischen Rasse, die das deutsche Bürger¬
recht genießen, nach und nach in unserm Volke aufgehn? Zwar die Juden
sagen: wir sind keine fremde Rasse, wir sind Deutsche. Aber mau kann es
keinem Deutschen übelnehmen, wenn er diese Behauptung dahin berichtigt:
dem Namen nach seid ihr Deutsche, aber nicht der Gestalt, nicht der Gesin¬
nung nach. Und wenn die Juden ihre Empfindlichkeit ablegen und einsehen
wollten, daß es Selbsttäuschung ist, wenn sie sich für Deutsche ausgeben, so
würden sie uns es ihrerseits nicht übel nehmen, wenn wir sie zu dem machen
wollen, was sie zu fein behaupten. Nun ist es aber leichter zu erkennen,
daß der Kern der Juden noch heutzutage einen besondern Volksstamm bildet,
als die Gründe anzugeben, wie sie ihre Rasseneigentümlichkeit durch achtzehn
Jahrhunderte hindurch erhalten konnten, obwohl sie in alle Welt zerstreut
waren. Mir scheint, es war das einzig und allein dadurch möglich, daß die
geistige Zugehörigkeit zum Volksstamm einen so äußerst schroffen sinnlichen
Ausdruck erhielt in den rituellen Gebräuchen der Juden. Der natürliche
Mensch hängt an der sinnlichen Erscheinung, und Bonifazius wußte sehr wohl,
was er that, als er die Eiche des Donnergottes vor den Augen seiner Ver¬
ehrer fällte. Als die Eiche stürzte, da war auch der Glaubenstrotz der Deutschen


Anmerkungen zur Judenfrage

Werden, denn ehe dieser Krebsschaden nicht ausgetilgt ist, eher kann sich das
geistige Leben unsers ueugeeinten Volkes nicht frei entfalten. Die allgemeine
Judenfrage aber hat mit der Judemwt Berlins nichts zu schaffen.

Sie hat aber meiner Meinung nach auch nichts zu schaffen mit der
Judennot einzelner Gegenden, wie Hessen und Preußisch-Polen. Niemand,
der diese Gegenden auch nur flüchtig kennen gelernt hat, wird leugnen, daß
hier eine Judeunvt thatsächlich besteht, aber mir scheint, sie muß für sich, muß
an Ort und Stelle bekämpft werden. Denn gerade in den Gegenden unsers
gesegneten Vaterlandes sind die Juden obenauf, wo das niedre Volk dnrch
lange Mißwirtschaft der herrschenden Klassen zurückgeblieben und verkommen
ist. Das kann doch auch kein Zufall sein. Wer sich darüber näher unter¬
richten will, der reise einmal von einem westfälischen Bauernhofe sofort in
ein hessisches Dorf, der rede mit einem niederdeutschen Bauer über Dinge aus
seinem Gesichtskreise und bemühe sich dann, aus einem hessischen Landmann,
der hinter dem Schnapsglase sitzt, eine Meinung über ähnliche Gegenstünde
herauszuholen, der vergleiche eine hochgewachsene Holfteinerin mit einem
schmutzigen Hessenweib oder einer polnischen Bäuerin. Ich glaube, diesen
Gegenden hilft man nicht dadurch, daß man die Juden austreibt, sondern
nnr dadurch, daß mau die zurückgebliebne Bevölkerung auf eine höhere Kultur¬
stufe zu heben sucht, und wenn der örtliche Antisemitismus hierzu auch nur
den Anstoß giebt, so hat er sich schon damit ein Verdienst erworben.

Aber wie gesagt, auch dieser örtliche Antisemitismus hat mit der all¬
gemeinen Judenfrage nichts zu thun. Diese Frage lautet nämlich: wie bringen
wir es fertig, daß die Trümmer der jüdischen Rasse, die das deutsche Bürger¬
recht genießen, nach und nach in unserm Volke aufgehn? Zwar die Juden
sagen: wir sind keine fremde Rasse, wir sind Deutsche. Aber mau kann es
keinem Deutschen übelnehmen, wenn er diese Behauptung dahin berichtigt:
dem Namen nach seid ihr Deutsche, aber nicht der Gestalt, nicht der Gesin¬
nung nach. Und wenn die Juden ihre Empfindlichkeit ablegen und einsehen
wollten, daß es Selbsttäuschung ist, wenn sie sich für Deutsche ausgeben, so
würden sie uns es ihrerseits nicht übel nehmen, wenn wir sie zu dem machen
wollen, was sie zu fein behaupten. Nun ist es aber leichter zu erkennen,
daß der Kern der Juden noch heutzutage einen besondern Volksstamm bildet,
als die Gründe anzugeben, wie sie ihre Rasseneigentümlichkeit durch achtzehn
Jahrhunderte hindurch erhalten konnten, obwohl sie in alle Welt zerstreut
waren. Mir scheint, es war das einzig und allein dadurch möglich, daß die
geistige Zugehörigkeit zum Volksstamm einen so äußerst schroffen sinnlichen
Ausdruck erhielt in den rituellen Gebräuchen der Juden. Der natürliche
Mensch hängt an der sinnlichen Erscheinung, und Bonifazius wußte sehr wohl,
was er that, als er die Eiche des Donnergottes vor den Augen seiner Ver¬
ehrer fällte. Als die Eiche stürzte, da war auch der Glaubenstrotz der Deutschen


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[0591] Anmerkungen zur Judenfrage Werden, denn ehe dieser Krebsschaden nicht ausgetilgt ist, eher kann sich das geistige Leben unsers ueugeeinten Volkes nicht frei entfalten. Die allgemeine Judenfrage aber hat mit der Judemwt Berlins nichts zu schaffen. Sie hat aber meiner Meinung nach auch nichts zu schaffen mit der Judennot einzelner Gegenden, wie Hessen und Preußisch-Polen. Niemand, der diese Gegenden auch nur flüchtig kennen gelernt hat, wird leugnen, daß hier eine Judeunvt thatsächlich besteht, aber mir scheint, sie muß für sich, muß an Ort und Stelle bekämpft werden. Denn gerade in den Gegenden unsers gesegneten Vaterlandes sind die Juden obenauf, wo das niedre Volk dnrch lange Mißwirtschaft der herrschenden Klassen zurückgeblieben und verkommen ist. Das kann doch auch kein Zufall sein. Wer sich darüber näher unter¬ richten will, der reise einmal von einem westfälischen Bauernhofe sofort in ein hessisches Dorf, der rede mit einem niederdeutschen Bauer über Dinge aus seinem Gesichtskreise und bemühe sich dann, aus einem hessischen Landmann, der hinter dem Schnapsglase sitzt, eine Meinung über ähnliche Gegenstünde herauszuholen, der vergleiche eine hochgewachsene Holfteinerin mit einem schmutzigen Hessenweib oder einer polnischen Bäuerin. Ich glaube, diesen Gegenden hilft man nicht dadurch, daß man die Juden austreibt, sondern nnr dadurch, daß mau die zurückgebliebne Bevölkerung auf eine höhere Kultur¬ stufe zu heben sucht, und wenn der örtliche Antisemitismus hierzu auch nur den Anstoß giebt, so hat er sich schon damit ein Verdienst erworben. Aber wie gesagt, auch dieser örtliche Antisemitismus hat mit der all¬ gemeinen Judenfrage nichts zu thun. Diese Frage lautet nämlich: wie bringen wir es fertig, daß die Trümmer der jüdischen Rasse, die das deutsche Bürger¬ recht genießen, nach und nach in unserm Volke aufgehn? Zwar die Juden sagen: wir sind keine fremde Rasse, wir sind Deutsche. Aber mau kann es keinem Deutschen übelnehmen, wenn er diese Behauptung dahin berichtigt: dem Namen nach seid ihr Deutsche, aber nicht der Gestalt, nicht der Gesin¬ nung nach. Und wenn die Juden ihre Empfindlichkeit ablegen und einsehen wollten, daß es Selbsttäuschung ist, wenn sie sich für Deutsche ausgeben, so würden sie uns es ihrerseits nicht übel nehmen, wenn wir sie zu dem machen wollen, was sie zu fein behaupten. Nun ist es aber leichter zu erkennen, daß der Kern der Juden noch heutzutage einen besondern Volksstamm bildet, als die Gründe anzugeben, wie sie ihre Rasseneigentümlichkeit durch achtzehn Jahrhunderte hindurch erhalten konnten, obwohl sie in alle Welt zerstreut waren. Mir scheint, es war das einzig und allein dadurch möglich, daß die geistige Zugehörigkeit zum Volksstamm einen so äußerst schroffen sinnlichen Ausdruck erhielt in den rituellen Gebräuchen der Juden. Der natürliche Mensch hängt an der sinnlichen Erscheinung, und Bonifazius wußte sehr wohl, was er that, als er die Eiche des Donnergottes vor den Augen seiner Ver¬ ehrer fällte. Als die Eiche stürzte, da war auch der Glaubenstrotz der Deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/591>, abgerufen am 24.11.2024.