Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie Klassen schonen, aber den erziehenden, leitenden Einfluß der höhern Klassen Die Ausgleichung der schroffen Gegensätze ist uicht leicht, doch verzweifelt In diesem Sinne nun geht der Verfasser den patriarchalischen Beziehungen Ein Annäherung wird am besten wieder auf dem Boden gemeinsamer Patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie Klassen schonen, aber den erziehenden, leitenden Einfluß der höhern Klassen Die Ausgleichung der schroffen Gegensätze ist uicht leicht, doch verzweifelt In diesem Sinne nun geht der Verfasser den patriarchalischen Beziehungen Ein Annäherung wird am besten wieder auf dem Boden gemeinsamer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215149"/> <fw type="header" place="top"> Patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie</fw><lb/> <p xml:id="ID_200" prev="#ID_199"> Klassen schonen, aber den erziehenden, leitenden Einfluß der höhern Klassen<lb/> erhalten; es handelt sich darum, das Herrschaftsverhältnis zu einem Erziehungs-<lb/> verhältnis umzugestalten, den größer« Einfluß der obern Klassen dahin zu<lb/> leiten, daß er nicht bloß zu größerm Besitzerwerb und Lebensgenuß benutzt,<lb/> sondern als ein verantwortliches Amt, als ein Beruf mit schwer wiegenden<lb/> Pflichten aufgefaßt wird."</p><lb/> <p xml:id="ID_201"> Die Ausgleichung der schroffen Gegensätze ist uicht leicht, doch verzweifelt<lb/> der Verfasser nicht an ihrer Möglichkeit. „Alle diese Schäden — fragt er —<lb/> sollen also nnr mit meinem »Patriarchalismus« kurirt werden? Patriar¬<lb/> chalismus, ein Gewand für beinahe eben so viele Begriffe wie das Wort<lb/> sozial! Der von mir gemeinte will Befreiung, nur keine Emanzipation, will<lb/> erlösen, nicht loslösen, will kein Unterthanen-, sondern echtes Vasallentum."<lb/> Dieses hat mit dem feudalen, patriarchalischen Verhältnis, das, wie die So¬<lb/> zialdemokratie sagt, das ganze Mittelalter hindurch für Hörige und Leibeigene<lb/> geherrscht hat, nichts zu thun, sondern es soll ein Band sein, das den Arbeiter<lb/> mit dem Arbeitgeber verknüpft, wie den erwachsenen Sohn mit dem Vater.<lb/> Ein solches verbessertes und veredeltes Patriarchentum ist noch für lange Zeit<lb/> das einzig richtige Erziehungsmittel, wie überhaupt gewisse Elemente des pa¬<lb/> triarchalischen Zustandes so lange in der Welt fortdauern werden, bis die<lb/> Bildung und Gesittung der untern Klassen gänzlich anders geworden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_202"> In diesem Sinne nun geht der Verfasser den patriarchalischen Beziehungen<lb/> in der Großindustrie uach, und mehr als zweihundert „Musterstätten," die er<lb/> zum größten Teile auf wiederholten Besuchen genau keimen gelernt hat, gaben<lb/> ihm das Material an die Hand. Der Umfang dieses Materials ist staunens¬<lb/> wert. Der Verfasser würde uns mit einem höchst verdienstlichen Werke be¬<lb/> schenkt haben, selbst wenn er sich ans die Schilderung dieser Musterstätteu<lb/> beschränkt hätte. Er hat aber auch eine Einleitung vorausgeschickt, die etwa<lb/> ein Fünftel des starken Bandes umfassend, in neun Abschnitten die ver-<lb/> schiednen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern bespricht und auf<lb/> das hin prüft, was sie sür den sozialen Frieden bedeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_203" next="#ID_204"> Ein Annäherung wird am besten wieder auf dem Boden gemeinsamer<lb/> Thätigkeit erreicht werden. Darum beginnen die Untersuchungen mit den<lb/> „Arbeiterausschüssen." Gelingt es, für diese die richtige Zusammensetzung zu<lb/> finden, so sind sie das beste Vermittlungswerkzeug zwischen Arbeitgeber und<lb/> Arbeiter. Es ist selbstverständlich, daß dem Ausschuß kein Anteil an der tech¬<lb/> nischen und finanziellen Leitung des Betriebes zusteht. Aber wenn er bei<lb/> alleu das Wohl der Arbeiter betreffenden Fragen zu Rate gezogen wird, wenn<lb/> er an der „Fabrikordnung" mitarbeitet, so ermöglicht er ein ersprießliches Zu¬<lb/> sammenwirken, das sich weit über die Grenzen der materiellen Interessen beider<lb/> Teile hinaus erstreckt. Unbegreiflicherweise wollen viele Arbeitgeber von den<lb/> Ausschüssen nichts wissen; einigen erscheinen sie überflüssig, andern gefährlich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie
Klassen schonen, aber den erziehenden, leitenden Einfluß der höhern Klassen
erhalten; es handelt sich darum, das Herrschaftsverhältnis zu einem Erziehungs-
verhältnis umzugestalten, den größer« Einfluß der obern Klassen dahin zu
leiten, daß er nicht bloß zu größerm Besitzerwerb und Lebensgenuß benutzt,
sondern als ein verantwortliches Amt, als ein Beruf mit schwer wiegenden
Pflichten aufgefaßt wird."
Die Ausgleichung der schroffen Gegensätze ist uicht leicht, doch verzweifelt
der Verfasser nicht an ihrer Möglichkeit. „Alle diese Schäden — fragt er —
sollen also nnr mit meinem »Patriarchalismus« kurirt werden? Patriar¬
chalismus, ein Gewand für beinahe eben so viele Begriffe wie das Wort
sozial! Der von mir gemeinte will Befreiung, nur keine Emanzipation, will
erlösen, nicht loslösen, will kein Unterthanen-, sondern echtes Vasallentum."
Dieses hat mit dem feudalen, patriarchalischen Verhältnis, das, wie die So¬
zialdemokratie sagt, das ganze Mittelalter hindurch für Hörige und Leibeigene
geherrscht hat, nichts zu thun, sondern es soll ein Band sein, das den Arbeiter
mit dem Arbeitgeber verknüpft, wie den erwachsenen Sohn mit dem Vater.
Ein solches verbessertes und veredeltes Patriarchentum ist noch für lange Zeit
das einzig richtige Erziehungsmittel, wie überhaupt gewisse Elemente des pa¬
triarchalischen Zustandes so lange in der Welt fortdauern werden, bis die
Bildung und Gesittung der untern Klassen gänzlich anders geworden ist.
In diesem Sinne nun geht der Verfasser den patriarchalischen Beziehungen
in der Großindustrie uach, und mehr als zweihundert „Musterstätten," die er
zum größten Teile auf wiederholten Besuchen genau keimen gelernt hat, gaben
ihm das Material an die Hand. Der Umfang dieses Materials ist staunens¬
wert. Der Verfasser würde uns mit einem höchst verdienstlichen Werke be¬
schenkt haben, selbst wenn er sich ans die Schilderung dieser Musterstätteu
beschränkt hätte. Er hat aber auch eine Einleitung vorausgeschickt, die etwa
ein Fünftel des starken Bandes umfassend, in neun Abschnitten die ver-
schiednen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern bespricht und auf
das hin prüft, was sie sür den sozialen Frieden bedeuten.
Ein Annäherung wird am besten wieder auf dem Boden gemeinsamer
Thätigkeit erreicht werden. Darum beginnen die Untersuchungen mit den
„Arbeiterausschüssen." Gelingt es, für diese die richtige Zusammensetzung zu
finden, so sind sie das beste Vermittlungswerkzeug zwischen Arbeitgeber und
Arbeiter. Es ist selbstverständlich, daß dem Ausschuß kein Anteil an der tech¬
nischen und finanziellen Leitung des Betriebes zusteht. Aber wenn er bei
alleu das Wohl der Arbeiter betreffenden Fragen zu Rate gezogen wird, wenn
er an der „Fabrikordnung" mitarbeitet, so ermöglicht er ein ersprießliches Zu¬
sammenwirken, das sich weit über die Grenzen der materiellen Interessen beider
Teile hinaus erstreckt. Unbegreiflicherweise wollen viele Arbeitgeber von den
Ausschüssen nichts wissen; einigen erscheinen sie überflüssig, andern gefährlich.
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