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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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durch die tiefe Abneigung beseitigt werden wird, die breite Schichten unsers
Volks gegen die Juden erfüllt. Es möchte wohl gehen, wenn alle Juden so
frei von Empfindlichkeit und Vorurteil wären, wie sich der sympathische Ver¬
treter dieser Richtung, der Jude Leopold Caro, in seinen Artikeln in den Grenz¬
boten gezeigt hat. Als den Chorführer der Gegenpartei, die die Juden durch
eine dicke Mauer von Sondergesetzen abschließen will, kann man, soweit sie
ans anständigen Leuten besteht, Eugen Dühring ansehen, schon deshalb, weil
er diese Frage ausführlich und im Zusammenhang erörtert hat. Freilich, den
Ruhm, den deutschesten Mann unsrer Litteratur in einer Weise mit Schmutz
beworfen zu haben, daß es der schäbigste Preßjude nicht besser gemacht Hütte,
den hätte sich Herr Dühring gut und gern sparen können. Auch darf man
nicht verkennen, daß der Satz: "Die Juden sind eine an sich schädliche Rasse"
von ihm nicht nachgewiesen wird, sondern als Axiom allen seinen Ausfüh¬
rungen vorangeht- Darum kann er sich auch die beneidenswerte Schlußfolge
erlauben: die Juden Hütten von Rechts wegen längst vertilgt werden müssen;
Lessing hat die Juden in Schutz genommen, folglich war er ein charakterloser
Mensch, Voltaire hat auf die Juden geschimpft, folglich war er ein welt¬
umfassender Geist. Ein weniger verbissener Fanatiker Hütte sich doch gehütet,
auf derselben Seite einen so zweifelhaften oder vielmehr über allen Zweifel
erhabnen Charakter wie Voltaire in den siebenten Himmel zu heben, auf der
er den Charakter Lessings in den Staub zu zerren versucht. Es ist überhaupt
nicht t-ur xlu./, seine Leser dadurch irre zu führen, daß man Geist gegen
Charakter ausspielt.

Allerdings hat die Forderung von Svndergesetzen gegen die Juden zahl¬
reiche Anhänger. Das ist aber nicht im geringsten wunderbar. Nachdem in
Rußland die Leibeigenschaft aufgehoben, nachdem in den Vereinigten Staaten
das Verbot der Sklaverei siegreich durchgedrungen war, ließen sich alsbald
Stimmen vernehmen, daß man diese Neuerungen eines unpraktischen Idea¬
lismus nicht werde beibehalten können. Heute wird Wohl niemand im Ernst
die Forderung zu erheben wagen, Leibeigenschaft und Sklaverei müßten wieder
eingeführt werden, obgleich sich die "freien" Neger in manchen Gegenden der
Vereinigten Staaten oft recht unangenehm bemerkbar machen. Es ist doch auch
ein ganz natürlicher Verlauf: wenn Menschen, die jahrhundertelang nnter einem
gesellschaftlichen Zwange gelebt haben, plötzlich losgelassen werden, so verfallen
sie in Zügellosigkeit, weil sie für die Freiheit noch nicht reif sind. Wie weit
sind nicht die deutschen Arbeiter, seitdem sie sich auf ihre bürgerlichen Rechte
besonnen haben, über jedes erreichbare Ziel hinausgeschwärint! So weit, daß
man glaubte, sie durch ein besondres Gesetz im Zaum halten zu müssen. Man
hat sich aber inzwischen überzeugt, daß mau damit einen verkehrten Weg ein¬
geschlagen hatte, und hat den Fehler in der einfachsten Weise gut gemacht,
indem man das seinerzeit viel gepriesene Gesetz wieder aufhob. Nun wollen


durch die tiefe Abneigung beseitigt werden wird, die breite Schichten unsers
Volks gegen die Juden erfüllt. Es möchte wohl gehen, wenn alle Juden so
frei von Empfindlichkeit und Vorurteil wären, wie sich der sympathische Ver¬
treter dieser Richtung, der Jude Leopold Caro, in seinen Artikeln in den Grenz¬
boten gezeigt hat. Als den Chorführer der Gegenpartei, die die Juden durch
eine dicke Mauer von Sondergesetzen abschließen will, kann man, soweit sie
ans anständigen Leuten besteht, Eugen Dühring ansehen, schon deshalb, weil
er diese Frage ausführlich und im Zusammenhang erörtert hat. Freilich, den
Ruhm, den deutschesten Mann unsrer Litteratur in einer Weise mit Schmutz
beworfen zu haben, daß es der schäbigste Preßjude nicht besser gemacht Hütte,
den hätte sich Herr Dühring gut und gern sparen können. Auch darf man
nicht verkennen, daß der Satz: „Die Juden sind eine an sich schädliche Rasse"
von ihm nicht nachgewiesen wird, sondern als Axiom allen seinen Ausfüh¬
rungen vorangeht- Darum kann er sich auch die beneidenswerte Schlußfolge
erlauben: die Juden Hütten von Rechts wegen längst vertilgt werden müssen;
Lessing hat die Juden in Schutz genommen, folglich war er ein charakterloser
Mensch, Voltaire hat auf die Juden geschimpft, folglich war er ein welt¬
umfassender Geist. Ein weniger verbissener Fanatiker Hütte sich doch gehütet,
auf derselben Seite einen so zweifelhaften oder vielmehr über allen Zweifel
erhabnen Charakter wie Voltaire in den siebenten Himmel zu heben, auf der
er den Charakter Lessings in den Staub zu zerren versucht. Es ist überhaupt
nicht t-ur xlu./, seine Leser dadurch irre zu führen, daß man Geist gegen
Charakter ausspielt.

Allerdings hat die Forderung von Svndergesetzen gegen die Juden zahl¬
reiche Anhänger. Das ist aber nicht im geringsten wunderbar. Nachdem in
Rußland die Leibeigenschaft aufgehoben, nachdem in den Vereinigten Staaten
das Verbot der Sklaverei siegreich durchgedrungen war, ließen sich alsbald
Stimmen vernehmen, daß man diese Neuerungen eines unpraktischen Idea¬
lismus nicht werde beibehalten können. Heute wird Wohl niemand im Ernst
die Forderung zu erheben wagen, Leibeigenschaft und Sklaverei müßten wieder
eingeführt werden, obgleich sich die „freien" Neger in manchen Gegenden der
Vereinigten Staaten oft recht unangenehm bemerkbar machen. Es ist doch auch
ein ganz natürlicher Verlauf: wenn Menschen, die jahrhundertelang nnter einem
gesellschaftlichen Zwange gelebt haben, plötzlich losgelassen werden, so verfallen
sie in Zügellosigkeit, weil sie für die Freiheit noch nicht reif sind. Wie weit
sind nicht die deutschen Arbeiter, seitdem sie sich auf ihre bürgerlichen Rechte
besonnen haben, über jedes erreichbare Ziel hinausgeschwärint! So weit, daß
man glaubte, sie durch ein besondres Gesetz im Zaum halten zu müssen. Man
hat sich aber inzwischen überzeugt, daß mau damit einen verkehrten Weg ein¬
geschlagen hatte, und hat den Fehler in der einfachsten Weise gut gemacht,
indem man das seinerzeit viel gepriesene Gesetz wieder aufhob. Nun wollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/586>, abgerufen am 23.11.2024.