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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Reisegedanken und Reisebilder

Wirklichkeit nicht so schlimm aussieht wie in der Zeitung. Auf der Fahrt nach
Prag kam ich mit einen tschechischen Kaplan zusammen. Es war nicht ein
junger Kopfhänger oder Fanatiker, sondern ein alter lustiger Bruder. Meine
Lufahkappe, die sein Erstaunen erregte, bildete den Anknüpfungspunkt für die
Unterhaltung. Ich bat ihn, mir in Prag ein nicht zu teures deutsches Gast¬
haus zu nennen. "Daitsches Gasthaus? Wozu daitsches? Alle Gasthaiser bei
uns sind danses und bemmisch." Ich dachte, auch in diesem Gebiet herrsche
streng nationale Scheidung, und der Deutsche, der in eine tschechische Herberge ge¬
rate, werde dort verhauen oder mindestens hinausgeworfen. "Jesses, was
haben doch die Herren für komische Aansichten!" rief er laut lachend. "Kommen
Sie bien, wo Sie wollen, in ein bemmisches Theater (das Wort "tschechisch"
sprach er nicht ein einziges mal aus) oder in einen Laden -- wenn Sie die Lane
danses aansprcchen. werten sie Ihnen auf das hefflichste danses "antworten,
und wenn Sie sie bemmisch aansprechen, werten sie Ihnen beinmisch "antworten,
und wenn Sie sie franzessisch oder italiennisch aansprechen, werten sie Ihnen
sranzessisch oder italiennisch aantwvrten. Die ganze Feindschaft ist alles Zeitungs¬
schwindel, das Volk weiß nichts davon. Freilich, in eine Zeituugsredciktion
der Gegenpartei darf man nicht gehen." Aber man liest doch ab und zu von
großartigen Schlägereien? "Na, was wollen Sie? Wenn Studenten besoffen
sind, dann wollen sie sich priegeln, und da brauchen sie einen Vorwand. Aber
im Grunde genommen ists ihnen gleich, ob sie sich mit Beanen oder mit
Daitschen priegeln. Unsre Lane fürchten sich anch, ins Daitsche zu reisen, aber
ich lache sie aus, wie ich die Daitschen auslache, die sich vor uns fürchten.
Ich spreche zwar danses, aber jedder heert mir sogleich aan, daß ich ein Bemme
bien; trotzdem bien ich ieberzaigt, wenn ich einmal zu Ihnen nach Braißen
komme, werte ich ieberaal aufs fraindlichste und hefflichste aufgeuohmen werten."
Er bemühte sich dann nach der Ankunft uoch viel um meine gute Unterbringung.
Es wird an sich nicht die ganze Wahrheit sein, was der gemütliche Mann
sprach, aber ein gut Stück Wahrheit, und soviel ans ihn ankommt, wohl auch
die ganze. Jedenfalls bekommt der fremde Deutsche in Prag nirgends, weder
auf der Straße, noch im Gasthaus, noch in Kaufläden, noch in öffentlichen
Gärten etwas vou Deutschenhaß zu spüren; kein Gedanke daran, daß man
Unannehmlichkeiten zu fürchten hätte!

Auch im Eisenbahnwagen begegneten uns, wir waren unser zwei Dents che,
die Mitreisenden, durchweg Tschechen, höflich und freundlich. Es ging sehr
lebhaft zu. Wir befanden uns in einem "Abteil," das vom benachbarten nur
durch die niedrige Sitzlehne geschieden war. Nicht weniger als drei Säug¬
linge erfreuten die Gesellschaft durch ihren Gesang, der meine vorteilhafte
Meinung von der musikalischen Begabung des Böhmeuvolks aufs erfreulichste
bestätigte. Kleinkindergeschrei ist nicht nnter allen Umständen unangenehm.
Peinlich wirkt es nur, wenn es durch irgend eine Pein verursacht wird. Da-


Grenzboten 111 1893 72
Reisegedanken und Reisebilder

Wirklichkeit nicht so schlimm aussieht wie in der Zeitung. Auf der Fahrt nach
Prag kam ich mit einen tschechischen Kaplan zusammen. Es war nicht ein
junger Kopfhänger oder Fanatiker, sondern ein alter lustiger Bruder. Meine
Lufahkappe, die sein Erstaunen erregte, bildete den Anknüpfungspunkt für die
Unterhaltung. Ich bat ihn, mir in Prag ein nicht zu teures deutsches Gast¬
haus zu nennen. „Daitsches Gasthaus? Wozu daitsches? Alle Gasthaiser bei
uns sind danses und bemmisch." Ich dachte, auch in diesem Gebiet herrsche
streng nationale Scheidung, und der Deutsche, der in eine tschechische Herberge ge¬
rate, werde dort verhauen oder mindestens hinausgeworfen. „Jesses, was
haben doch die Herren für komische Aansichten!" rief er laut lachend. „Kommen
Sie bien, wo Sie wollen, in ein bemmisches Theater (das Wort „tschechisch"
sprach er nicht ein einziges mal aus) oder in einen Laden — wenn Sie die Lane
danses aansprcchen. werten sie Ihnen auf das hefflichste danses «antworten,
und wenn Sie sie bemmisch aansprechen, werten sie Ihnen beinmisch »antworten,
und wenn Sie sie franzessisch oder italiennisch aansprechen, werten sie Ihnen
sranzessisch oder italiennisch aantwvrten. Die ganze Feindschaft ist alles Zeitungs¬
schwindel, das Volk weiß nichts davon. Freilich, in eine Zeituugsredciktion
der Gegenpartei darf man nicht gehen." Aber man liest doch ab und zu von
großartigen Schlägereien? „Na, was wollen Sie? Wenn Studenten besoffen
sind, dann wollen sie sich priegeln, und da brauchen sie einen Vorwand. Aber
im Grunde genommen ists ihnen gleich, ob sie sich mit Beanen oder mit
Daitschen priegeln. Unsre Lane fürchten sich anch, ins Daitsche zu reisen, aber
ich lache sie aus, wie ich die Daitschen auslache, die sich vor uns fürchten.
Ich spreche zwar danses, aber jedder heert mir sogleich aan, daß ich ein Bemme
bien; trotzdem bien ich ieberzaigt, wenn ich einmal zu Ihnen nach Braißen
komme, werte ich ieberaal aufs fraindlichste und hefflichste aufgeuohmen werten."
Er bemühte sich dann nach der Ankunft uoch viel um meine gute Unterbringung.
Es wird an sich nicht die ganze Wahrheit sein, was der gemütliche Mann
sprach, aber ein gut Stück Wahrheit, und soviel ans ihn ankommt, wohl auch
die ganze. Jedenfalls bekommt der fremde Deutsche in Prag nirgends, weder
auf der Straße, noch im Gasthaus, noch in Kaufläden, noch in öffentlichen
Gärten etwas vou Deutschenhaß zu spüren; kein Gedanke daran, daß man
Unannehmlichkeiten zu fürchten hätte!

Auch im Eisenbahnwagen begegneten uns, wir waren unser zwei Dents che,
die Mitreisenden, durchweg Tschechen, höflich und freundlich. Es ging sehr
lebhaft zu. Wir befanden uns in einem „Abteil," das vom benachbarten nur
durch die niedrige Sitzlehne geschieden war. Nicht weniger als drei Säug¬
linge erfreuten die Gesellschaft durch ihren Gesang, der meine vorteilhafte
Meinung von der musikalischen Begabung des Böhmeuvolks aufs erfreulichste
bestätigte. Kleinkindergeschrei ist nicht nnter allen Umständen unangenehm.
Peinlich wirkt es nur, wenn es durch irgend eine Pein verursacht wird. Da-


Grenzboten 111 1893 72
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[0577] Reisegedanken und Reisebilder Wirklichkeit nicht so schlimm aussieht wie in der Zeitung. Auf der Fahrt nach Prag kam ich mit einen tschechischen Kaplan zusammen. Es war nicht ein junger Kopfhänger oder Fanatiker, sondern ein alter lustiger Bruder. Meine Lufahkappe, die sein Erstaunen erregte, bildete den Anknüpfungspunkt für die Unterhaltung. Ich bat ihn, mir in Prag ein nicht zu teures deutsches Gast¬ haus zu nennen. „Daitsches Gasthaus? Wozu daitsches? Alle Gasthaiser bei uns sind danses und bemmisch." Ich dachte, auch in diesem Gebiet herrsche streng nationale Scheidung, und der Deutsche, der in eine tschechische Herberge ge¬ rate, werde dort verhauen oder mindestens hinausgeworfen. „Jesses, was haben doch die Herren für komische Aansichten!" rief er laut lachend. „Kommen Sie bien, wo Sie wollen, in ein bemmisches Theater (das Wort „tschechisch" sprach er nicht ein einziges mal aus) oder in einen Laden — wenn Sie die Lane danses aansprcchen. werten sie Ihnen auf das hefflichste danses «antworten, und wenn Sie sie bemmisch aansprechen, werten sie Ihnen beinmisch »antworten, und wenn Sie sie franzessisch oder italiennisch aansprechen, werten sie Ihnen sranzessisch oder italiennisch aantwvrten. Die ganze Feindschaft ist alles Zeitungs¬ schwindel, das Volk weiß nichts davon. Freilich, in eine Zeituugsredciktion der Gegenpartei darf man nicht gehen." Aber man liest doch ab und zu von großartigen Schlägereien? „Na, was wollen Sie? Wenn Studenten besoffen sind, dann wollen sie sich priegeln, und da brauchen sie einen Vorwand. Aber im Grunde genommen ists ihnen gleich, ob sie sich mit Beanen oder mit Daitschen priegeln. Unsre Lane fürchten sich anch, ins Daitsche zu reisen, aber ich lache sie aus, wie ich die Daitschen auslache, die sich vor uns fürchten. Ich spreche zwar danses, aber jedder heert mir sogleich aan, daß ich ein Bemme bien; trotzdem bien ich ieberzaigt, wenn ich einmal zu Ihnen nach Braißen komme, werte ich ieberaal aufs fraindlichste und hefflichste aufgeuohmen werten." Er bemühte sich dann nach der Ankunft uoch viel um meine gute Unterbringung. Es wird an sich nicht die ganze Wahrheit sein, was der gemütliche Mann sprach, aber ein gut Stück Wahrheit, und soviel ans ihn ankommt, wohl auch die ganze. Jedenfalls bekommt der fremde Deutsche in Prag nirgends, weder auf der Straße, noch im Gasthaus, noch in Kaufläden, noch in öffentlichen Gärten etwas vou Deutschenhaß zu spüren; kein Gedanke daran, daß man Unannehmlichkeiten zu fürchten hätte! Auch im Eisenbahnwagen begegneten uns, wir waren unser zwei Dents che, die Mitreisenden, durchweg Tschechen, höflich und freundlich. Es ging sehr lebhaft zu. Wir befanden uns in einem „Abteil," das vom benachbarten nur durch die niedrige Sitzlehne geschieden war. Nicht weniger als drei Säug¬ linge erfreuten die Gesellschaft durch ihren Gesang, der meine vorteilhafte Meinung von der musikalischen Begabung des Böhmeuvolks aufs erfreulichste bestätigte. Kleinkindergeschrei ist nicht nnter allen Umständen unangenehm. Peinlich wirkt es nur, wenn es durch irgend eine Pein verursacht wird. Da- Grenzboten 111 1893 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/577>, abgerufen am 01.09.2024.