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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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uire, so möchte ich auch wissen, wer dahinter steht, wer der Öffentlichkeit gegen¬
über die Verantwortlichkeit trügt; mit der strafrechtlichen ist mir nicht gedient.
Auch ein obskurer Schmierer, ein Zuchthäusler oder sonst ein Galgenstrick kann
einmal einen guten Leitartikel schreiben, er bleibt doch, was er ist, und wird,
wenn er den Artikel zeichnet, das Ansehen des Blattes nicht heben. Steht
aber, sei es als Eigentümer, Chefredakteur oder in irgend einer andern dem
Publikum bekannten Verbindung, eine in der Öffentlichkeit angesehene Persön¬
lichkeit hinter einer Zeitung, so wird ihr Ansehen gehoben, ohne daß das
Urteil über ihren jeweiligen Inhalt getrübt würde. Sollte es doch der Fall
sein, sollte den Leser auch bei der Beurteilung der einzelnen Aufsätze des
Blattes die Persönlichkeit beeinflussen, so sehe ich darin ein kleineres Übel
als in der ausschließlich papierener Existenz der Zeitung. Man sehe einmal
die englische, französische, schweizerische Presse an: bedeutende Parlamentarier
sind da mich meist die Eigentümer oder Leiter der bedeutenden Blätter, sie
vertreten mit ihrem Namen, ihrer Person offen die Haltung ihres Blattes.
Aber welche Stellung hat dafür auch die Presse dieser Länder! In Deutschland
gehören die Politiker zu den "verschämten Mitarbeitern" der Tagespresse, nur
wenige sind selbst Journalisten oder Redakteure, und auch die treten fast nie
mit ihrer Persönlichkeit für ihre Ansichten ein.

Das sind Zustände, die jede Presse auf ein niedriges Niveau Herabdrücken
müssen. Könnten sich unsre Politiker entschließen, nicht nur im Parlament
und in Versammlungen für ihre Überzeugungen einzutreten, sondern auch
uuter voller Namensnennung die Presse zu ihrem Sprachrohr zu wähle", sie
durch ihre Persönlichkeit zu heben, so erhielte diese ein ganz andres Gesicht,
auf diese Weise würde der Jonrnalistenstand durch wertvolle Elemente gestärkt
werden, die, einmal im Beruf, von selbst dafür sorgen würden, die zweideutige"
und anrüchigen Bestandteile abzustoßen. Es würde dann auch die traurige
Thatsache verschwinden, daß die deutsche Presse so gut wie gar nichts thut,
"in neue Entwicklungen, neue Bewegungen, neue Gedanken zu fördern. Es
ist eine brutale Heuchelei, daß die Presse eine Knlturträgeriu sei. Wo in aller
Welt hat jemals unsre Presse eine neue Bewegung gefördert, ja anch nur Ge¬
rechtigkeit walten lassen? Sie ist so ultrakvnservativ von rechts bis .links,
daß es ganz unerklärlich ist, wie sich das Märchen immer noch halten kann.

Ich will auf Einzelheiten hier nicht eingehen, aber ich bin überzeugt,
daß mit dem Aufhören der Unpersönlichkeit der Zeitungen unsre Zeitungs¬
schreiber von selbst gezwungen sein würden, positiv zu wirken, statt sich
jeder neuen Idee krittelnd entgegenzustemmen. Die Verantwortung für die
Publizistik würde von den Schultern litterarischer Dienstmänner auf die
Schultern übertragen werden, die dazu berufen sind. Vergleicht "ran das
kühne Vvranschreiten der Presse andrer Länder, selbst auf wissenschaft-
lichen Gebieten, z. B. in der Erforschung unbekannter Erdteile, mit der


uire, so möchte ich auch wissen, wer dahinter steht, wer der Öffentlichkeit gegen¬
über die Verantwortlichkeit trügt; mit der strafrechtlichen ist mir nicht gedient.
Auch ein obskurer Schmierer, ein Zuchthäusler oder sonst ein Galgenstrick kann
einmal einen guten Leitartikel schreiben, er bleibt doch, was er ist, und wird,
wenn er den Artikel zeichnet, das Ansehen des Blattes nicht heben. Steht
aber, sei es als Eigentümer, Chefredakteur oder in irgend einer andern dem
Publikum bekannten Verbindung, eine in der Öffentlichkeit angesehene Persön¬
lichkeit hinter einer Zeitung, so wird ihr Ansehen gehoben, ohne daß das
Urteil über ihren jeweiligen Inhalt getrübt würde. Sollte es doch der Fall
sein, sollte den Leser auch bei der Beurteilung der einzelnen Aufsätze des
Blattes die Persönlichkeit beeinflussen, so sehe ich darin ein kleineres Übel
als in der ausschließlich papierener Existenz der Zeitung. Man sehe einmal
die englische, französische, schweizerische Presse an: bedeutende Parlamentarier
sind da mich meist die Eigentümer oder Leiter der bedeutenden Blätter, sie
vertreten mit ihrem Namen, ihrer Person offen die Haltung ihres Blattes.
Aber welche Stellung hat dafür auch die Presse dieser Länder! In Deutschland
gehören die Politiker zu den „verschämten Mitarbeitern" der Tagespresse, nur
wenige sind selbst Journalisten oder Redakteure, und auch die treten fast nie
mit ihrer Persönlichkeit für ihre Ansichten ein.

Das sind Zustände, die jede Presse auf ein niedriges Niveau Herabdrücken
müssen. Könnten sich unsre Politiker entschließen, nicht nur im Parlament
und in Versammlungen für ihre Überzeugungen einzutreten, sondern auch
uuter voller Namensnennung die Presse zu ihrem Sprachrohr zu wähle», sie
durch ihre Persönlichkeit zu heben, so erhielte diese ein ganz andres Gesicht,
auf diese Weise würde der Jonrnalistenstand durch wertvolle Elemente gestärkt
werden, die, einmal im Beruf, von selbst dafür sorgen würden, die zweideutige»
und anrüchigen Bestandteile abzustoßen. Es würde dann auch die traurige
Thatsache verschwinden, daß die deutsche Presse so gut wie gar nichts thut,
»in neue Entwicklungen, neue Bewegungen, neue Gedanken zu fördern. Es
ist eine brutale Heuchelei, daß die Presse eine Knlturträgeriu sei. Wo in aller
Welt hat jemals unsre Presse eine neue Bewegung gefördert, ja anch nur Ge¬
rechtigkeit walten lassen? Sie ist so ultrakvnservativ von rechts bis .links,
daß es ganz unerklärlich ist, wie sich das Märchen immer noch halten kann.

Ich will auf Einzelheiten hier nicht eingehen, aber ich bin überzeugt,
daß mit dem Aufhören der Unpersönlichkeit der Zeitungen unsre Zeitungs¬
schreiber von selbst gezwungen sein würden, positiv zu wirken, statt sich
jeder neuen Idee krittelnd entgegenzustemmen. Die Verantwortung für die
Publizistik würde von den Schultern litterarischer Dienstmänner auf die
Schultern übertragen werden, die dazu berufen sind. Vergleicht »ran das
kühne Vvranschreiten der Presse andrer Länder, selbst auf wissenschaft-
lichen Gebieten, z. B. in der Erforschung unbekannter Erdteile, mit der


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[0567] uire, so möchte ich auch wissen, wer dahinter steht, wer der Öffentlichkeit gegen¬ über die Verantwortlichkeit trügt; mit der strafrechtlichen ist mir nicht gedient. Auch ein obskurer Schmierer, ein Zuchthäusler oder sonst ein Galgenstrick kann einmal einen guten Leitartikel schreiben, er bleibt doch, was er ist, und wird, wenn er den Artikel zeichnet, das Ansehen des Blattes nicht heben. Steht aber, sei es als Eigentümer, Chefredakteur oder in irgend einer andern dem Publikum bekannten Verbindung, eine in der Öffentlichkeit angesehene Persön¬ lichkeit hinter einer Zeitung, so wird ihr Ansehen gehoben, ohne daß das Urteil über ihren jeweiligen Inhalt getrübt würde. Sollte es doch der Fall sein, sollte den Leser auch bei der Beurteilung der einzelnen Aufsätze des Blattes die Persönlichkeit beeinflussen, so sehe ich darin ein kleineres Übel als in der ausschließlich papierener Existenz der Zeitung. Man sehe einmal die englische, französische, schweizerische Presse an: bedeutende Parlamentarier sind da mich meist die Eigentümer oder Leiter der bedeutenden Blätter, sie vertreten mit ihrem Namen, ihrer Person offen die Haltung ihres Blattes. Aber welche Stellung hat dafür auch die Presse dieser Länder! In Deutschland gehören die Politiker zu den „verschämten Mitarbeitern" der Tagespresse, nur wenige sind selbst Journalisten oder Redakteure, und auch die treten fast nie mit ihrer Persönlichkeit für ihre Ansichten ein. Das sind Zustände, die jede Presse auf ein niedriges Niveau Herabdrücken müssen. Könnten sich unsre Politiker entschließen, nicht nur im Parlament und in Versammlungen für ihre Überzeugungen einzutreten, sondern auch uuter voller Namensnennung die Presse zu ihrem Sprachrohr zu wähle», sie durch ihre Persönlichkeit zu heben, so erhielte diese ein ganz andres Gesicht, auf diese Weise würde der Jonrnalistenstand durch wertvolle Elemente gestärkt werden, die, einmal im Beruf, von selbst dafür sorgen würden, die zweideutige» und anrüchigen Bestandteile abzustoßen. Es würde dann auch die traurige Thatsache verschwinden, daß die deutsche Presse so gut wie gar nichts thut, »in neue Entwicklungen, neue Bewegungen, neue Gedanken zu fördern. Es ist eine brutale Heuchelei, daß die Presse eine Knlturträgeriu sei. Wo in aller Welt hat jemals unsre Presse eine neue Bewegung gefördert, ja anch nur Ge¬ rechtigkeit walten lassen? Sie ist so ultrakvnservativ von rechts bis .links, daß es ganz unerklärlich ist, wie sich das Märchen immer noch halten kann. Ich will auf Einzelheiten hier nicht eingehen, aber ich bin überzeugt, daß mit dem Aufhören der Unpersönlichkeit der Zeitungen unsre Zeitungs¬ schreiber von selbst gezwungen sein würden, positiv zu wirken, statt sich jeder neuen Idee krittelnd entgegenzustemmen. Die Verantwortung für die Publizistik würde von den Schultern litterarischer Dienstmänner auf die Schultern übertragen werden, die dazu berufen sind. Vergleicht »ran das kühne Vvranschreiten der Presse andrer Länder, selbst auf wissenschaft- lichen Gebieten, z. B. in der Erforschung unbekannter Erdteile, mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/567>, abgerufen am 01.09.2024.