Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.!vir Journalisten klug ist, die geistige Persönlichkeit auf Kosten der körperlichen zu erhaltein Trotzdem hätte sich vielleicht längst ein Weg gefunden, den Stand von Diese wirtschaftliche Abhängigkeit trägt die Hauptschuld an den unhaltbaren Das Publikum kennt heute in den meisten Fällen nur den Namen des !vir Journalisten klug ist, die geistige Persönlichkeit auf Kosten der körperlichen zu erhaltein Trotzdem hätte sich vielleicht längst ein Weg gefunden, den Stand von Diese wirtschaftliche Abhängigkeit trägt die Hauptschuld an den unhaltbaren Das Publikum kennt heute in den meisten Fällen nur den Namen des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215656"/> <fw type="header" place="top"> !vir Journalisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1950" prev="#ID_1949"> klug ist, die geistige Persönlichkeit auf Kosten der körperlichen zu erhaltein<lb/> Eine schöne Seele und ein knurrender Magen sind böse Gegensätze. Wir haben<lb/> hier dieselbe Erscheinung, wie bei den unglücklichen Geschöpfen, die der Hunger<lb/> zum Feilbieten ihrer körperlichen Reize zwingt. Hier wird der Leib prostituirt,<lb/> dort der Geist — ich weiß uicht, was von beiden schlimmer ist. Es lockt<lb/> dem ehrlichen Journalisten selbst ein bitteres Lächeln ab, wenn -)r die Jour¬<lb/> nalisten „Volkserzieher" nennen hört; wie wenige sind unter ihnen, die nicht<lb/> fortgesetzt sich selbst belügen und andre betrügen, die einen, weil der Hunger<lb/> hinter ihnen seine Peitsche schwingt, die andern aus moralischer Unreife.</p><lb/> <p xml:id="ID_1951"> Trotzdem hätte sich vielleicht längst ein Weg gefunden, den Stand von<lb/> seinen zweifelhaften Elementen zu säubern, wenn sich nicht ein zweiter Um¬<lb/> stand wie Blei um jeden solchen Versuch hinge: die Abhängigkeit den Ver¬<lb/> legern gegenüber. Die Journalisten sind wirtschaftlich völlig von ihren Ver¬<lb/> legern abhängig. Mögen diese auch noch so ungebildete Mensche» sein, mag<lb/> ihr gesamtes Nedaktionspersonal geistig über ihnen stehen: sie schreiben dem<lb/> Blatt und damit den Leitern die Gesinnung vor. Das geht so weit, daß in<lb/> einem großen Berliner Blatt der Verleger sogar die Leitartikel korrigirt! Nur<lb/> wenige Chefredakteure sind selbständig genug, ihr Blatt nach ihrer Ueberzeugung<lb/> leiten zu können, meist gehören solche Blätter Aktiengesellschaften. Ein Verleger<lb/> stellt niemals einen Redakteur seiner Überzeugung wegen um — die kann bei<lb/> wechselndem politischen Wind dem Geschäft leicht gefährlich werden; er kauft<lb/> sich lediglich den „Stilisten."</p><lb/> <p xml:id="ID_1952"> Diese wirtschaftliche Abhängigkeit trägt die Hauptschuld an den unhaltbaren<lb/> Verhältnissen der Zeitungsschreiber, sie bildet die Quelle stetig sich erneuernder<lb/> Unzuträglichkeiten und zwingt zu immer neuen Kompromissen mit der eignen<lb/> und der öffentlichen Moral. Es ist lange her, daß einmal der Vorschlag gemacht<lb/> wurde, die Schriftsteller sollten sich selber ihre Zeitungen gründen und zu diesem<lb/> Zweck Berufsassoziativnen bilden. Der Gedanke ist vortrefflich, aber es sehlt —<lb/> das Geld und die Solidarität. Kein preußischer Feldwebel kann seine Soldaten<lb/> anmaßlicher behandeln, als mancher Redakteur, der vor kurzem vielleicht noch<lb/> in Kyritz an der Kuatter Lokalreporter war, seine Mitarbeiter. Das Ärgste<lb/> leisten darin die Leiter der gesinnungslosesten Blätter; je charakterloser eine<lb/> Zeitung ist, desto anmaßender sind ihre Leiter. Ich glaube deshalb kaum, daß<lb/> jener Gedanke in absehbarer Zeit greifbare Gestalt annehmen wird, aber in<lb/> andrer Weise könnte man ihm nahe kommen, die Gesinnungssklaverei dem Ver¬<lb/> leger gegenüber mildern und gleichzeitig den Stand heben und etwas —<lb/> säubern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1953" next="#ID_1954"> Das Publikum kennt heute in den meisten Fällen nur den Namen des<lb/> verantwortlichen Redakteurs einer Zeitung. Daß das oft ein Strohmann ist,<lb/> weiß jeder; ich halte es für überflüssig, auf diese unwürdige, oft genug ge¬<lb/> brandmarkte Einrichtung einzugehen. Wenn ich aber auf eine Zeitung abon-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0566]
!vir Journalisten
klug ist, die geistige Persönlichkeit auf Kosten der körperlichen zu erhaltein
Eine schöne Seele und ein knurrender Magen sind böse Gegensätze. Wir haben
hier dieselbe Erscheinung, wie bei den unglücklichen Geschöpfen, die der Hunger
zum Feilbieten ihrer körperlichen Reize zwingt. Hier wird der Leib prostituirt,
dort der Geist — ich weiß uicht, was von beiden schlimmer ist. Es lockt
dem ehrlichen Journalisten selbst ein bitteres Lächeln ab, wenn -)r die Jour¬
nalisten „Volkserzieher" nennen hört; wie wenige sind unter ihnen, die nicht
fortgesetzt sich selbst belügen und andre betrügen, die einen, weil der Hunger
hinter ihnen seine Peitsche schwingt, die andern aus moralischer Unreife.
Trotzdem hätte sich vielleicht längst ein Weg gefunden, den Stand von
seinen zweifelhaften Elementen zu säubern, wenn sich nicht ein zweiter Um¬
stand wie Blei um jeden solchen Versuch hinge: die Abhängigkeit den Ver¬
legern gegenüber. Die Journalisten sind wirtschaftlich völlig von ihren Ver¬
legern abhängig. Mögen diese auch noch so ungebildete Mensche» sein, mag
ihr gesamtes Nedaktionspersonal geistig über ihnen stehen: sie schreiben dem
Blatt und damit den Leitern die Gesinnung vor. Das geht so weit, daß in
einem großen Berliner Blatt der Verleger sogar die Leitartikel korrigirt! Nur
wenige Chefredakteure sind selbständig genug, ihr Blatt nach ihrer Ueberzeugung
leiten zu können, meist gehören solche Blätter Aktiengesellschaften. Ein Verleger
stellt niemals einen Redakteur seiner Überzeugung wegen um — die kann bei
wechselndem politischen Wind dem Geschäft leicht gefährlich werden; er kauft
sich lediglich den „Stilisten."
Diese wirtschaftliche Abhängigkeit trägt die Hauptschuld an den unhaltbaren
Verhältnissen der Zeitungsschreiber, sie bildet die Quelle stetig sich erneuernder
Unzuträglichkeiten und zwingt zu immer neuen Kompromissen mit der eignen
und der öffentlichen Moral. Es ist lange her, daß einmal der Vorschlag gemacht
wurde, die Schriftsteller sollten sich selber ihre Zeitungen gründen und zu diesem
Zweck Berufsassoziativnen bilden. Der Gedanke ist vortrefflich, aber es sehlt —
das Geld und die Solidarität. Kein preußischer Feldwebel kann seine Soldaten
anmaßlicher behandeln, als mancher Redakteur, der vor kurzem vielleicht noch
in Kyritz an der Kuatter Lokalreporter war, seine Mitarbeiter. Das Ärgste
leisten darin die Leiter der gesinnungslosesten Blätter; je charakterloser eine
Zeitung ist, desto anmaßender sind ihre Leiter. Ich glaube deshalb kaum, daß
jener Gedanke in absehbarer Zeit greifbare Gestalt annehmen wird, aber in
andrer Weise könnte man ihm nahe kommen, die Gesinnungssklaverei dem Ver¬
leger gegenüber mildern und gleichzeitig den Stand heben und etwas —
säubern.
Das Publikum kennt heute in den meisten Fällen nur den Namen des
verantwortlichen Redakteurs einer Zeitung. Daß das oft ein Strohmann ist,
weiß jeder; ich halte es für überflüssig, auf diese unwürdige, oft genug ge¬
brandmarkte Einrichtung einzugehen. Wenn ich aber auf eine Zeitung abon-
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