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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Wir Journalisten

Leben hohe Aufgaben gestellt sind, muß mich denen, die mit der Lösung dieser
Aufgaben beschäftigt sind, eine entsprechende Stellung einräumen.

Zwei Ursachen aber wirken zusammen, den Stand herunterzudrücken und
damit auch die Presse: seine Zusammensetzung und seine wirtschaftliche Lage.

Das geflügelte Wort von den Leuten, die "ihren Beruf verfehlt haben,"
ist Vollaus berechtigt; ein großer Teil der Journalisten rekrutirt sich aus ab¬
gehenden Studenten, die entweder keine Aussichten auf Anstellung oder keine
Lust und Fähigkeit zu geregeltem, methodischem Arbeiten haben; auch andre
Stände, z. B. der Lehrerstand, geben ansehnliche Bestandteile ab, selbst Offi¬
ziere und pensionirte Beamte verschmähen es nicht, Preßmenschen zu werden.
Alle diese Leute lockt die fast unbeschränkte Freiheit des Berufs; keine Vor¬
bildung, kein Examen, kein Befähigungsnachweis wird verlangt, man braucht
nnr etwas Glück, einen Redakteur als Vetter, ein gutes Anpassungsvermögen
und die nötige Dosis Gewissenlosigkeit, über alles zu schreiben, um unver¬
frorensten über das, was man am wenigsten versteht. Hat der neubacknc
Publizist etwas Glück, so kann er nach kurzer Zeit eine ganz einträgliche Stel¬
lung haben. Erhält er gar eine feste Stelle als Redakteur u. dergl. an einer
verbreiteten, gutgehenden Zeitung, so wird er sehr bald merken, wie weit
sein "Ansehen" reicht, und wie treffend der Name "Presse" dem inserirenden
oder vielmehr dem nichtinserireuden Publikum gegenüber paßt; ist er besonders
gut geschäftlich beanlagt, so wird ihm sein Blatt auch noch privatim als Melt-
knh dienen, die Gewerbetreibenden lassen ja für ein bischen Reklame gern mit
sich reden.

Ist aber der Mann einmal so weit mit seinem Gewissen, dann wird nie¬
mand mehr von ihm eine ideale Auffassung seines Berufs verlangen, er ist
die verbesserte Auflage des frühern Nevvlverjournalisten, nur nicht mehr so
roh, so dreist wie dieser, er macht sein Geschäft in koulantern Formen.

Aber auch die, die sich von solchen Blutsaugergeschäften fern zu halten
wissen, machen doch mit wenigen Ausnahmen eine Abschwüchung ihres mora¬
lischen Feingefühls durch, wenn auch in andern Formen. Der journalistische
Beruf schließt im allgemeinen eine ernste, gründliche Vertiefung in die zu be¬
handelnde Materie aus. Was das Publikum von einer Tageszeitung verlangt,
ist schnelle und in der Form ansprechende Orientirung über die verschiedensten
Fragen; der Journalist muß umfassende Kenntnisse haben, er muß vielseitig,
gewandt im Denken und im Ausdruck sein; sobald er sich einer Frage mit
methodischer Gewissenhaftigkeit widmet, verliert er zu viel Zeit und riskirt
seine Stellung. Schon Lothar Bücher hat diesen Umstand beklagt. Gerade
in dieser Unmöglichkeit der Vertiefung in Einzelfrngen liegt aber ein Haupt¬
reiz für unreife Elemente. Sie haben nicht nötig, sich erst mit langen Studien
abzugeben, sie schreiben ja für den Tag, morgen schon ist das Geschriebne ver¬
gessen, da wird denn ein unglaublicher Unsinn über die wichtigsten Dinge zu-


Wir Journalisten

Leben hohe Aufgaben gestellt sind, muß mich denen, die mit der Lösung dieser
Aufgaben beschäftigt sind, eine entsprechende Stellung einräumen.

Zwei Ursachen aber wirken zusammen, den Stand herunterzudrücken und
damit auch die Presse: seine Zusammensetzung und seine wirtschaftliche Lage.

Das geflügelte Wort von den Leuten, die „ihren Beruf verfehlt haben,"
ist Vollaus berechtigt; ein großer Teil der Journalisten rekrutirt sich aus ab¬
gehenden Studenten, die entweder keine Aussichten auf Anstellung oder keine
Lust und Fähigkeit zu geregeltem, methodischem Arbeiten haben; auch andre
Stände, z. B. der Lehrerstand, geben ansehnliche Bestandteile ab, selbst Offi¬
ziere und pensionirte Beamte verschmähen es nicht, Preßmenschen zu werden.
Alle diese Leute lockt die fast unbeschränkte Freiheit des Berufs; keine Vor¬
bildung, kein Examen, kein Befähigungsnachweis wird verlangt, man braucht
nnr etwas Glück, einen Redakteur als Vetter, ein gutes Anpassungsvermögen
und die nötige Dosis Gewissenlosigkeit, über alles zu schreiben, um unver¬
frorensten über das, was man am wenigsten versteht. Hat der neubacknc
Publizist etwas Glück, so kann er nach kurzer Zeit eine ganz einträgliche Stel¬
lung haben. Erhält er gar eine feste Stelle als Redakteur u. dergl. an einer
verbreiteten, gutgehenden Zeitung, so wird er sehr bald merken, wie weit
sein „Ansehen" reicht, und wie treffend der Name „Presse" dem inserirenden
oder vielmehr dem nichtinserireuden Publikum gegenüber paßt; ist er besonders
gut geschäftlich beanlagt, so wird ihm sein Blatt auch noch privatim als Melt-
knh dienen, die Gewerbetreibenden lassen ja für ein bischen Reklame gern mit
sich reden.

Ist aber der Mann einmal so weit mit seinem Gewissen, dann wird nie¬
mand mehr von ihm eine ideale Auffassung seines Berufs verlangen, er ist
die verbesserte Auflage des frühern Nevvlverjournalisten, nur nicht mehr so
roh, so dreist wie dieser, er macht sein Geschäft in koulantern Formen.

Aber auch die, die sich von solchen Blutsaugergeschäften fern zu halten
wissen, machen doch mit wenigen Ausnahmen eine Abschwüchung ihres mora¬
lischen Feingefühls durch, wenn auch in andern Formen. Der journalistische
Beruf schließt im allgemeinen eine ernste, gründliche Vertiefung in die zu be¬
handelnde Materie aus. Was das Publikum von einer Tageszeitung verlangt,
ist schnelle und in der Form ansprechende Orientirung über die verschiedensten
Fragen; der Journalist muß umfassende Kenntnisse haben, er muß vielseitig,
gewandt im Denken und im Ausdruck sein; sobald er sich einer Frage mit
methodischer Gewissenhaftigkeit widmet, verliert er zu viel Zeit und riskirt
seine Stellung. Schon Lothar Bücher hat diesen Umstand beklagt. Gerade
in dieser Unmöglichkeit der Vertiefung in Einzelfrngen liegt aber ein Haupt¬
reiz für unreife Elemente. Sie haben nicht nötig, sich erst mit langen Studien
abzugeben, sie schreiben ja für den Tag, morgen schon ist das Geschriebne ver¬
gessen, da wird denn ein unglaublicher Unsinn über die wichtigsten Dinge zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/563>, abgerufen am 24.11.2024.