Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jüdische Zustände

Kaye, der Geschichtschreiber des Sepoykriegcs von 1857, berechnet die Zahl
der britischen Truppen zur Zeit des Ausbruchs des Aufstandes uns .'S9000
Mann, bei einer Gesamtstärke von 280000 Mann. Ungefähr dasselbe Ver¬
hältnis zeigen die Angaben Alisvus für das Jahr 1826. nämlich: 260000
Sepoys und !!1000 Engländer. Im Jahre 1808, also kurz nach dem ent¬
scheidenden Krieg mit den Marathen, zählte das Heer der Kompanie 155 000
Mann, darunter 25000 Briten. Auch 177,-! betrugen die Europäer weniger
als ein Fünftel der Gesamtstärke, während sich für 1775 in den uns vor¬
liegenden Listen nur 2500 Europäer gegenüber 16500 Sepvhs nachweisen
lassen. Also von ihren allerersten Anfängen an bestand die Militärmacht der
Kompanie zum größer" Teil aus einheimischen Truppen. Jene ersten Schlachten,
die den Ruf der britischen Waffen auf der indischen Halbinsel begründeten,
wurden in der Hauptsache von Sepohs geschlagen. An der Verteidigung von
Nrkot nahmen 5500 Sepoys und 200 Engländer teil; an der Schlacht von
Plasseh 2000 Sepoys und 1000 Engländer; an Clives Zug gegen Patna
2500 Sepohs und 450 Engländer, und an der Schlacht von Bnxar 2500
Sepoys und 1000 Engländer. Und man glaube nicht etwa, daß die Sepoys
nur gezählt und den Kampf den europäischen Truppen überlassen hätten. Bei
der Belagerung von Bhartpur pflanzte das zwölfte einheimische Regiment seine
Fahne auf den Wällen auf, gegen die zwei britische Regimenter vergebens zum
Sturm geführt worden waren. "Die Zahl der Europäer -- sagt Alison --,
die an den Feldzügen von Clive, Lawrence und Coote um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts teilnahmen, war so unbedeutend, daß fast der ganze
Ruhm ihrer wunderbaren Siege in Wirklichkeit den Sepoys gebührt." Man
thut gut, sich das zu vergegenwärtigen, wenn man bei den meisten englischen
Schriftstellern so viel von der Unwiderstehlichkeit der "britischen" Waffen und
den Heldenthaten ihrer Landsleute liest. Es mag ja den Söhnen Albions
schmeicheln, sich von Macaulay erzählen zu lassen, daß "Clive und seine Eng¬
länder ein Gegenstand des Schreckens für den ganzen Osten waren"; aber die
geschichtliche Genauigkeit kommt dabei zu kurz. Gewiß waren die Truppen
der Kompanie denen ihrer Gegner überlegen, aber diese Überlegenheit be¬
schränkte sich nicht aus ihre europäischen Regimenter. Ein Unterschied war
vorhanden, aber es war nicht so sehr ein Unterschied in der Rasse, als ein
Unterschied in der Disziplin, in der Kriegskunst und meistens anch in der
Führung. Man kann zugeben, daß die englischen Truppen einen verhältnis¬
mäßig größern Anteil an den kriegerischen Erfolgen der Kompanie hatten;
man kann auch zugeben, daß es die britischen Offiziere waren, die ihnen jene
Überlegenheit der Führung sicherten. Dennoch ist es unrichtig, zu behaupten,
daß die Engländer Indien erobert hätten. Indien ist erobert worden dnrch
eine Armee, von der durchschnittlich der fünfte Teil aus Engländern bestand.
Aber es genügt nicht, den Anteil der Engländer an dem Werke auf das rieb-


Jüdische Zustände

Kaye, der Geschichtschreiber des Sepoykriegcs von 1857, berechnet die Zahl
der britischen Truppen zur Zeit des Ausbruchs des Aufstandes uns .'S9000
Mann, bei einer Gesamtstärke von 280000 Mann. Ungefähr dasselbe Ver¬
hältnis zeigen die Angaben Alisvus für das Jahr 1826. nämlich: 260000
Sepoys und !!1000 Engländer. Im Jahre 1808, also kurz nach dem ent¬
scheidenden Krieg mit den Marathen, zählte das Heer der Kompanie 155 000
Mann, darunter 25000 Briten. Auch 177,-! betrugen die Europäer weniger
als ein Fünftel der Gesamtstärke, während sich für 1775 in den uns vor¬
liegenden Listen nur 2500 Europäer gegenüber 16500 Sepvhs nachweisen
lassen. Also von ihren allerersten Anfängen an bestand die Militärmacht der
Kompanie zum größer» Teil aus einheimischen Truppen. Jene ersten Schlachten,
die den Ruf der britischen Waffen auf der indischen Halbinsel begründeten,
wurden in der Hauptsache von Sepohs geschlagen. An der Verteidigung von
Nrkot nahmen 5500 Sepoys und 200 Engländer teil; an der Schlacht von
Plasseh 2000 Sepoys und 1000 Engländer; an Clives Zug gegen Patna
2500 Sepohs und 450 Engländer, und an der Schlacht von Bnxar 2500
Sepoys und 1000 Engländer. Und man glaube nicht etwa, daß die Sepoys
nur gezählt und den Kampf den europäischen Truppen überlassen hätten. Bei
der Belagerung von Bhartpur pflanzte das zwölfte einheimische Regiment seine
Fahne auf den Wällen auf, gegen die zwei britische Regimenter vergebens zum
Sturm geführt worden waren. „Die Zahl der Europäer — sagt Alison —,
die an den Feldzügen von Clive, Lawrence und Coote um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts teilnahmen, war so unbedeutend, daß fast der ganze
Ruhm ihrer wunderbaren Siege in Wirklichkeit den Sepoys gebührt." Man
thut gut, sich das zu vergegenwärtigen, wenn man bei den meisten englischen
Schriftstellern so viel von der Unwiderstehlichkeit der „britischen" Waffen und
den Heldenthaten ihrer Landsleute liest. Es mag ja den Söhnen Albions
schmeicheln, sich von Macaulay erzählen zu lassen, daß „Clive und seine Eng¬
länder ein Gegenstand des Schreckens für den ganzen Osten waren"; aber die
geschichtliche Genauigkeit kommt dabei zu kurz. Gewiß waren die Truppen
der Kompanie denen ihrer Gegner überlegen, aber diese Überlegenheit be¬
schränkte sich nicht aus ihre europäischen Regimenter. Ein Unterschied war
vorhanden, aber es war nicht so sehr ein Unterschied in der Rasse, als ein
Unterschied in der Disziplin, in der Kriegskunst und meistens anch in der
Führung. Man kann zugeben, daß die englischen Truppen einen verhältnis¬
mäßig größern Anteil an den kriegerischen Erfolgen der Kompanie hatten;
man kann auch zugeben, daß es die britischen Offiziere waren, die ihnen jene
Überlegenheit der Führung sicherten. Dennoch ist es unrichtig, zu behaupten,
daß die Engländer Indien erobert hätten. Indien ist erobert worden dnrch
eine Armee, von der durchschnittlich der fünfte Teil aus Engländern bestand.
Aber es genügt nicht, den Anteil der Engländer an dem Werke auf das rieb-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215645"/>
          <fw type="header" place="top"> Jüdische Zustände</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1918" prev="#ID_1917" next="#ID_1919"> Kaye, der Geschichtschreiber des Sepoykriegcs von 1857, berechnet die Zahl<lb/>
der britischen Truppen zur Zeit des Ausbruchs des Aufstandes uns .'S9000<lb/>
Mann, bei einer Gesamtstärke von 280000 Mann. Ungefähr dasselbe Ver¬<lb/>
hältnis zeigen die Angaben Alisvus für das Jahr 1826. nämlich: 260000<lb/>
Sepoys und !!1000 Engländer. Im Jahre 1808, also kurz nach dem ent¬<lb/>
scheidenden Krieg mit den Marathen, zählte das Heer der Kompanie 155 000<lb/>
Mann, darunter 25000 Briten. Auch 177,-! betrugen die Europäer weniger<lb/>
als ein Fünftel der Gesamtstärke, während sich für 1775 in den uns vor¬<lb/>
liegenden Listen nur 2500 Europäer gegenüber 16500 Sepvhs nachweisen<lb/>
lassen. Also von ihren allerersten Anfängen an bestand die Militärmacht der<lb/>
Kompanie zum größer» Teil aus einheimischen Truppen. Jene ersten Schlachten,<lb/>
die den Ruf der britischen Waffen auf der indischen Halbinsel begründeten,<lb/>
wurden in der Hauptsache von Sepohs geschlagen. An der Verteidigung von<lb/>
Nrkot nahmen 5500 Sepoys und 200 Engländer teil; an der Schlacht von<lb/>
Plasseh 2000 Sepoys und 1000 Engländer; an Clives Zug gegen Patna<lb/>
2500 Sepohs und 450 Engländer, und an der Schlacht von Bnxar 2500<lb/>
Sepoys und 1000 Engländer. Und man glaube nicht etwa, daß die Sepoys<lb/>
nur gezählt und den Kampf den europäischen Truppen überlassen hätten. Bei<lb/>
der Belagerung von Bhartpur pflanzte das zwölfte einheimische Regiment seine<lb/>
Fahne auf den Wällen auf, gegen die zwei britische Regimenter vergebens zum<lb/>
Sturm geführt worden waren. &#x201E;Die Zahl der Europäer &#x2014; sagt Alison &#x2014;,<lb/>
die an den Feldzügen von Clive, Lawrence und Coote um die Mitte des<lb/>
vorigen Jahrhunderts teilnahmen, war so unbedeutend, daß fast der ganze<lb/>
Ruhm ihrer wunderbaren Siege in Wirklichkeit den Sepoys gebührt." Man<lb/>
thut gut, sich das zu vergegenwärtigen, wenn man bei den meisten englischen<lb/>
Schriftstellern so viel von der Unwiderstehlichkeit der &#x201E;britischen" Waffen und<lb/>
den Heldenthaten ihrer Landsleute liest. Es mag ja den Söhnen Albions<lb/>
schmeicheln, sich von Macaulay erzählen zu lassen, daß &#x201E;Clive und seine Eng¬<lb/>
länder ein Gegenstand des Schreckens für den ganzen Osten waren"; aber die<lb/>
geschichtliche Genauigkeit kommt dabei zu kurz. Gewiß waren die Truppen<lb/>
der Kompanie denen ihrer Gegner überlegen, aber diese Überlegenheit be¬<lb/>
schränkte sich nicht aus ihre europäischen Regimenter. Ein Unterschied war<lb/>
vorhanden, aber es war nicht so sehr ein Unterschied in der Rasse, als ein<lb/>
Unterschied in der Disziplin, in der Kriegskunst und meistens anch in der<lb/>
Führung. Man kann zugeben, daß die englischen Truppen einen verhältnis¬<lb/>
mäßig größern Anteil an den kriegerischen Erfolgen der Kompanie hatten;<lb/>
man kann auch zugeben, daß es die britischen Offiziere waren, die ihnen jene<lb/>
Überlegenheit der Führung sicherten. Dennoch ist es unrichtig, zu behaupten,<lb/>
daß die Engländer Indien erobert hätten. Indien ist erobert worden dnrch<lb/>
eine Armee, von der durchschnittlich der fünfte Teil aus Engländern bestand.<lb/>
Aber es genügt nicht, den Anteil der Engländer an dem Werke auf das rieb-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Jüdische Zustände Kaye, der Geschichtschreiber des Sepoykriegcs von 1857, berechnet die Zahl der britischen Truppen zur Zeit des Ausbruchs des Aufstandes uns .'S9000 Mann, bei einer Gesamtstärke von 280000 Mann. Ungefähr dasselbe Ver¬ hältnis zeigen die Angaben Alisvus für das Jahr 1826. nämlich: 260000 Sepoys und !!1000 Engländer. Im Jahre 1808, also kurz nach dem ent¬ scheidenden Krieg mit den Marathen, zählte das Heer der Kompanie 155 000 Mann, darunter 25000 Briten. Auch 177,-! betrugen die Europäer weniger als ein Fünftel der Gesamtstärke, während sich für 1775 in den uns vor¬ liegenden Listen nur 2500 Europäer gegenüber 16500 Sepvhs nachweisen lassen. Also von ihren allerersten Anfängen an bestand die Militärmacht der Kompanie zum größer» Teil aus einheimischen Truppen. Jene ersten Schlachten, die den Ruf der britischen Waffen auf der indischen Halbinsel begründeten, wurden in der Hauptsache von Sepohs geschlagen. An der Verteidigung von Nrkot nahmen 5500 Sepoys und 200 Engländer teil; an der Schlacht von Plasseh 2000 Sepoys und 1000 Engländer; an Clives Zug gegen Patna 2500 Sepohs und 450 Engländer, und an der Schlacht von Bnxar 2500 Sepoys und 1000 Engländer. Und man glaube nicht etwa, daß die Sepoys nur gezählt und den Kampf den europäischen Truppen überlassen hätten. Bei der Belagerung von Bhartpur pflanzte das zwölfte einheimische Regiment seine Fahne auf den Wällen auf, gegen die zwei britische Regimenter vergebens zum Sturm geführt worden waren. „Die Zahl der Europäer — sagt Alison —, die an den Feldzügen von Clive, Lawrence und Coote um die Mitte des vorigen Jahrhunderts teilnahmen, war so unbedeutend, daß fast der ganze Ruhm ihrer wunderbaren Siege in Wirklichkeit den Sepoys gebührt." Man thut gut, sich das zu vergegenwärtigen, wenn man bei den meisten englischen Schriftstellern so viel von der Unwiderstehlichkeit der „britischen" Waffen und den Heldenthaten ihrer Landsleute liest. Es mag ja den Söhnen Albions schmeicheln, sich von Macaulay erzählen zu lassen, daß „Clive und seine Eng¬ länder ein Gegenstand des Schreckens für den ganzen Osten waren"; aber die geschichtliche Genauigkeit kommt dabei zu kurz. Gewiß waren die Truppen der Kompanie denen ihrer Gegner überlegen, aber diese Überlegenheit be¬ schränkte sich nicht aus ihre europäischen Regimenter. Ein Unterschied war vorhanden, aber es war nicht so sehr ein Unterschied in der Rasse, als ein Unterschied in der Disziplin, in der Kriegskunst und meistens anch in der Führung. Man kann zugeben, daß die englischen Truppen einen verhältnis¬ mäßig größern Anteil an den kriegerischen Erfolgen der Kompanie hatten; man kann auch zugeben, daß es die britischen Offiziere waren, die ihnen jene Überlegenheit der Führung sicherten. Dennoch ist es unrichtig, zu behaupten, daß die Engländer Indien erobert hätten. Indien ist erobert worden dnrch eine Armee, von der durchschnittlich der fünfte Teil aus Engländern bestand. Aber es genügt nicht, den Anteil der Engländer an dem Werke auf das rieb-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/555>, abgerufen am 01.09.2024.