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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beurteilung der Bodenreformbestrebungen

halb nur wenig belästigt, weil sie an den Spruch denkt, daß es nicht immer
dasselbe ist, wenn zwei dasselbe thun. Ich gebe die Wahrheit dieses Spruches
im subjektive" Sinne, d, h. soweit die Absicht der Bodenreformer in Betracht
kommt, zu, bezweifle aber, ob sich der Spruch auch im objektiven Sinne als
stichhaltig erweisen wird. Die Wirkungen wirtschaftlicher Maßregeln gleichen
in dieser Hinsicht dem Pfeil, über den der Schütze, sobald er die Sehne los¬
gedrückt hat, keine Gewalt mehr hat. Du giebst einem Menschen, den du in
Not siehst, von Zeit zu Zeit eine Unterstützung; gewöhnst du ihn daran, so
wird er in neunzig Fällen von hundert, ungeachtet deiner guten Meinung, in
seiner Arbeitsfreude erlahmen. Denn das ist das eine Gesetz, das der wirt¬
schaftlichen Entwicklung der Menschheit zu Grunde liegt, daß der Drang, die
vorhandnen Bedürfnisse zu stillen, die Menschen zur Bethätigung und Ent¬
faltung ihrer körperliche" und geistigen Kräfte bewegen soll, daß sie, wie es
in der kernigen Sprache der Bibel heißt, ihr Brot in: Schweiße ihres Ange¬
sichts essen sollen. Das andre aber ist das, daß der Mensch die Befriedigung
seiner Bedürfnisse mit dem geringsten Aufwand von Kraft zu erreichen fucht.
In diesen beiden Gesetzen, die eine weise und gütige Vorsehung gegeben hat,
liegt der Schlüssel für die vielen Rätsel, die uns die soziale und wirtschaft¬
liche Entwicklung der Völker aufgiebt. Wer diese Rätsel ohne jenen Schlüssel
zu lösen sucht, dem wird sich das Thor der Erkenntnis nicht öffnen.

Die Bvdenbesitzresormer sagen mit Recht, daß vou der Sozialdemokratie
deshalb kein Heil zu erwarte" sei, weil sie die wirtschaftliche Freiheit ersticke.
Ob aber diese Freiheit bei der Durchführung ihrer eignen Pläne nicht gleich¬
falls gefährdet ist? Wo der Boden thatsächlich noch ein Arbeitsmittel be¬
deutet, also vor allem in der Landwirtschaft, da mird sein Wert zwar von
den Fortschritte" der Gesamtheit i" die Höhe geschraubt, aber es liegt auf
der Hand, daß der Bebauer durch seine persönlichen Eigenschaften den
Wert eines Grundstücks anch unabhängig vou der Gesamtheit beeinflussen
lau". Das Streben, diese persönliche Einwirkung auf den Wert des
Bodens geltend zu macheu, erleidet durch die Verstaatlichung des Grund¬
besitzes wenn auch keinen tötlichen, so doch einen gefährlichen Stoß, insofern
der Behälter von einer erhöhten Ertragfähigkeit eine Steigerung der Pacht¬
summe zu erwarten hätte. Hat er so als Pächter auf der einen Seite weniger
zu hoffen, so hat er auf der andern auch weniger zu fürchten, wenn er sein
Grundstück herunterwirtschaftet. Was immer aber geeignet ist, dem Menschen
Hoffnung nud Furcht zu dämpfe" und ihm das Bewußtsein der Verantwort¬
lichkeit abzustumpfen, das hängt sich wie ein schweres Gewicht an die Trieb¬
feder seiner Thätigkeit. Der Gedanke, daß die Gesamtheit für das wirtschaft¬
liche Gebcchren der einzelnem verantwortlich sei, hat für die Schwachen eine
große Verlockung, aber zur allgemeinen Geltung erhoben, wird er ihnen
schwerlich einen Zuschuß von jeuer Kraft des trotzigen Selbstbewußtseins


Zur Beurteilung der Bodenreformbestrebungen

halb nur wenig belästigt, weil sie an den Spruch denkt, daß es nicht immer
dasselbe ist, wenn zwei dasselbe thun. Ich gebe die Wahrheit dieses Spruches
im subjektive» Sinne, d, h. soweit die Absicht der Bodenreformer in Betracht
kommt, zu, bezweifle aber, ob sich der Spruch auch im objektiven Sinne als
stichhaltig erweisen wird. Die Wirkungen wirtschaftlicher Maßregeln gleichen
in dieser Hinsicht dem Pfeil, über den der Schütze, sobald er die Sehne los¬
gedrückt hat, keine Gewalt mehr hat. Du giebst einem Menschen, den du in
Not siehst, von Zeit zu Zeit eine Unterstützung; gewöhnst du ihn daran, so
wird er in neunzig Fällen von hundert, ungeachtet deiner guten Meinung, in
seiner Arbeitsfreude erlahmen. Denn das ist das eine Gesetz, das der wirt¬
schaftlichen Entwicklung der Menschheit zu Grunde liegt, daß der Drang, die
vorhandnen Bedürfnisse zu stillen, die Menschen zur Bethätigung und Ent¬
faltung ihrer körperliche» und geistigen Kräfte bewegen soll, daß sie, wie es
in der kernigen Sprache der Bibel heißt, ihr Brot in: Schweiße ihres Ange¬
sichts essen sollen. Das andre aber ist das, daß der Mensch die Befriedigung
seiner Bedürfnisse mit dem geringsten Aufwand von Kraft zu erreichen fucht.
In diesen beiden Gesetzen, die eine weise und gütige Vorsehung gegeben hat,
liegt der Schlüssel für die vielen Rätsel, die uns die soziale und wirtschaft¬
liche Entwicklung der Völker aufgiebt. Wer diese Rätsel ohne jenen Schlüssel
zu lösen sucht, dem wird sich das Thor der Erkenntnis nicht öffnen.

Die Bvdenbesitzresormer sagen mit Recht, daß vou der Sozialdemokratie
deshalb kein Heil zu erwarte» sei, weil sie die wirtschaftliche Freiheit ersticke.
Ob aber diese Freiheit bei der Durchführung ihrer eignen Pläne nicht gleich¬
falls gefährdet ist? Wo der Boden thatsächlich noch ein Arbeitsmittel be¬
deutet, also vor allem in der Landwirtschaft, da mird sein Wert zwar von
den Fortschritte» der Gesamtheit i» die Höhe geschraubt, aber es liegt auf
der Hand, daß der Bebauer durch seine persönlichen Eigenschaften den
Wert eines Grundstücks anch unabhängig vou der Gesamtheit beeinflussen
lau». Das Streben, diese persönliche Einwirkung auf den Wert des
Bodens geltend zu macheu, erleidet durch die Verstaatlichung des Grund¬
besitzes wenn auch keinen tötlichen, so doch einen gefährlichen Stoß, insofern
der Behälter von einer erhöhten Ertragfähigkeit eine Steigerung der Pacht¬
summe zu erwarten hätte. Hat er so als Pächter auf der einen Seite weniger
zu hoffen, so hat er auf der andern auch weniger zu fürchten, wenn er sein
Grundstück herunterwirtschaftet. Was immer aber geeignet ist, dem Menschen
Hoffnung nud Furcht zu dämpfe» und ihm das Bewußtsein der Verantwort¬
lichkeit abzustumpfen, das hängt sich wie ein schweres Gewicht an die Trieb¬
feder seiner Thätigkeit. Der Gedanke, daß die Gesamtheit für das wirtschaft¬
liche Gebcchren der einzelnem verantwortlich sei, hat für die Schwachen eine
große Verlockung, aber zur allgemeinen Geltung erhoben, wird er ihnen
schwerlich einen Zuschuß von jeuer Kraft des trotzigen Selbstbewußtseins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/550>, abgerufen am 23.11.2024.