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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beurteilung der Bodeureforinbestrebuugeii

erschüttert: erstens, insofern die Anhänger der Reform zu einer zweckmäßigen
Aufteilung der Latifundien nicht entschlossen die Hand zu bieten, sondern die
Zusammenballung so lange gestatten, wie es den heutigen Besitzern beliebt;
zweitens, und das ist entscheidend, insofern sie anstatt eines selbständigen
Bauernstandes einen Stand von Pächtern ins Leben zu rufen gedenkein

Auch vermag ich nicht zu erkennen, wie im gewerblichen Betriebe der kleine
Mann den gewaltigen Vorsprung einholen soll, deu der Großbetrieb auf diesem
Gebiete einmal gewonnen hat und kraft seiner natürlichen Überlegenheit wohl
dauernd behaupten wird. Denn darin unterscheidet sich das Großgewerbe vom
Grundbesitz, daß es für diesen eine Grenze giebt, über die hinaus die Ertrag-
fähigkeit abnimmt, die Ausdehnung des industriellen Großbetriebs dagegen, wenn
überhaupt, so doch uicht in gleichem Maße begrenzt ist. Sich in dieser Hinsicht
Träumen hinzugeben, überlassen wir füglich jenen katholischen Sozialtheologen,
die als Vorläufer der Würzburger Generalversammlung die Höhe der in einem
Betriebe beschäftigten Arbeiter gesetzlich bestimmen und jedem Arbeiter von
Staats wegen einen Mindestlohn verbürgen wollen, Forderungen, die George
selbst in seinem Briefe an den Papst ins Land Utopia verwiesen hat.

Noch an einem andern Punkte erwartet die deutsche Bodenreform von der
Anwendung ihres halben Mittels die volle Wirkung der von George empfohlenen
Radikalkur: sie verspricht der Industrie in ihrem Zukunftsstaate die Beseitigung
der Absatzschwierigkeit, jener Hauptklippe im Geschäftsbetriebe der kapitalistischen
Periode. Auch ich betrachte es nicht als das Zeichen eines gesunden Zu¬
standes, wenn sich der Wettbewerb der Unternehmungen in blinder Selbstsucht
so weit versteigt, daß der Druck der Lohne die Kauffähigkeit der großen Massen
herabsetzt. Aber ich nehme diesen Zustand nicht als ein Kismet hin,
sondern glaube, daß die wirtschaftliche Hebung des vierten Standes gelingen
muß und gelingen wird, nicht nur im allgemeinen Interesse des menschlichen
Fortschritts, sondern nicht minder zu dem nähern Zwecke, die deutschen Erwerbs¬
stände in wirksamer Weise gegen die Chikanen des Auslandes zu sichern.

Ich wollte prüfen, ob der Weg, der "ach den Verheißungen der Boden¬
reformer ins gelobte Land führen soll, ohne Gefährdung wichtiger Interessen
betreten werden kann. Dabei habe ich mich bemüht, nicht in den Fehler derer
zu verfallen, die sich in der Bekämpfung ihrer Gegner gegen Nebendinge wenden
und über diese einen billigen Sieg erfechten. Ich erkenne rückhaltlos den guten
Willen der Reformer an, aber diese Anerkennung hindert mich nicht, ihre
Ideen in das Gebiet jener Wünsche zu verweisen, die man als "fromme Wünsche"
zu bezeichnen pflegt. Eins aber hat mir an ihren Ausführungen besonders
mißfallen, der Satz, daß der Menschen nicht zu viele werden könnten. Diesen
Satz hält man seit Jahrzehnte" bald in dieser, bald in jeuer Form denen ent¬
gegen, die den Versuch macheu, den Steinhaufen der Schmähungen, die ein
blindes Vorurteil und eine falsche Humanität auf Malthus Andenken geworfen


Zur Beurteilung der Bodeureforinbestrebuugeii

erschüttert: erstens, insofern die Anhänger der Reform zu einer zweckmäßigen
Aufteilung der Latifundien nicht entschlossen die Hand zu bieten, sondern die
Zusammenballung so lange gestatten, wie es den heutigen Besitzern beliebt;
zweitens, und das ist entscheidend, insofern sie anstatt eines selbständigen
Bauernstandes einen Stand von Pächtern ins Leben zu rufen gedenkein

Auch vermag ich nicht zu erkennen, wie im gewerblichen Betriebe der kleine
Mann den gewaltigen Vorsprung einholen soll, deu der Großbetrieb auf diesem
Gebiete einmal gewonnen hat und kraft seiner natürlichen Überlegenheit wohl
dauernd behaupten wird. Denn darin unterscheidet sich das Großgewerbe vom
Grundbesitz, daß es für diesen eine Grenze giebt, über die hinaus die Ertrag-
fähigkeit abnimmt, die Ausdehnung des industriellen Großbetriebs dagegen, wenn
überhaupt, so doch uicht in gleichem Maße begrenzt ist. Sich in dieser Hinsicht
Träumen hinzugeben, überlassen wir füglich jenen katholischen Sozialtheologen,
die als Vorläufer der Würzburger Generalversammlung die Höhe der in einem
Betriebe beschäftigten Arbeiter gesetzlich bestimmen und jedem Arbeiter von
Staats wegen einen Mindestlohn verbürgen wollen, Forderungen, die George
selbst in seinem Briefe an den Papst ins Land Utopia verwiesen hat.

Noch an einem andern Punkte erwartet die deutsche Bodenreform von der
Anwendung ihres halben Mittels die volle Wirkung der von George empfohlenen
Radikalkur: sie verspricht der Industrie in ihrem Zukunftsstaate die Beseitigung
der Absatzschwierigkeit, jener Hauptklippe im Geschäftsbetriebe der kapitalistischen
Periode. Auch ich betrachte es nicht als das Zeichen eines gesunden Zu¬
standes, wenn sich der Wettbewerb der Unternehmungen in blinder Selbstsucht
so weit versteigt, daß der Druck der Lohne die Kauffähigkeit der großen Massen
herabsetzt. Aber ich nehme diesen Zustand nicht als ein Kismet hin,
sondern glaube, daß die wirtschaftliche Hebung des vierten Standes gelingen
muß und gelingen wird, nicht nur im allgemeinen Interesse des menschlichen
Fortschritts, sondern nicht minder zu dem nähern Zwecke, die deutschen Erwerbs¬
stände in wirksamer Weise gegen die Chikanen des Auslandes zu sichern.

Ich wollte prüfen, ob der Weg, der »ach den Verheißungen der Boden¬
reformer ins gelobte Land führen soll, ohne Gefährdung wichtiger Interessen
betreten werden kann. Dabei habe ich mich bemüht, nicht in den Fehler derer
zu verfallen, die sich in der Bekämpfung ihrer Gegner gegen Nebendinge wenden
und über diese einen billigen Sieg erfechten. Ich erkenne rückhaltlos den guten
Willen der Reformer an, aber diese Anerkennung hindert mich nicht, ihre
Ideen in das Gebiet jener Wünsche zu verweisen, die man als „fromme Wünsche"
zu bezeichnen pflegt. Eins aber hat mir an ihren Ausführungen besonders
mißfallen, der Satz, daß der Menschen nicht zu viele werden könnten. Diesen
Satz hält man seit Jahrzehnte» bald in dieser, bald in jeuer Form denen ent¬
gegen, die den Versuch macheu, den Steinhaufen der Schmähungen, die ein
blindes Vorurteil und eine falsche Humanität auf Malthus Andenken geworfen


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[0548] Zur Beurteilung der Bodeureforinbestrebuugeii erschüttert: erstens, insofern die Anhänger der Reform zu einer zweckmäßigen Aufteilung der Latifundien nicht entschlossen die Hand zu bieten, sondern die Zusammenballung so lange gestatten, wie es den heutigen Besitzern beliebt; zweitens, und das ist entscheidend, insofern sie anstatt eines selbständigen Bauernstandes einen Stand von Pächtern ins Leben zu rufen gedenkein Auch vermag ich nicht zu erkennen, wie im gewerblichen Betriebe der kleine Mann den gewaltigen Vorsprung einholen soll, deu der Großbetrieb auf diesem Gebiete einmal gewonnen hat und kraft seiner natürlichen Überlegenheit wohl dauernd behaupten wird. Denn darin unterscheidet sich das Großgewerbe vom Grundbesitz, daß es für diesen eine Grenze giebt, über die hinaus die Ertrag- fähigkeit abnimmt, die Ausdehnung des industriellen Großbetriebs dagegen, wenn überhaupt, so doch uicht in gleichem Maße begrenzt ist. Sich in dieser Hinsicht Träumen hinzugeben, überlassen wir füglich jenen katholischen Sozialtheologen, die als Vorläufer der Würzburger Generalversammlung die Höhe der in einem Betriebe beschäftigten Arbeiter gesetzlich bestimmen und jedem Arbeiter von Staats wegen einen Mindestlohn verbürgen wollen, Forderungen, die George selbst in seinem Briefe an den Papst ins Land Utopia verwiesen hat. Noch an einem andern Punkte erwartet die deutsche Bodenreform von der Anwendung ihres halben Mittels die volle Wirkung der von George empfohlenen Radikalkur: sie verspricht der Industrie in ihrem Zukunftsstaate die Beseitigung der Absatzschwierigkeit, jener Hauptklippe im Geschäftsbetriebe der kapitalistischen Periode. Auch ich betrachte es nicht als das Zeichen eines gesunden Zu¬ standes, wenn sich der Wettbewerb der Unternehmungen in blinder Selbstsucht so weit versteigt, daß der Druck der Lohne die Kauffähigkeit der großen Massen herabsetzt. Aber ich nehme diesen Zustand nicht als ein Kismet hin, sondern glaube, daß die wirtschaftliche Hebung des vierten Standes gelingen muß und gelingen wird, nicht nur im allgemeinen Interesse des menschlichen Fortschritts, sondern nicht minder zu dem nähern Zwecke, die deutschen Erwerbs¬ stände in wirksamer Weise gegen die Chikanen des Auslandes zu sichern. Ich wollte prüfen, ob der Weg, der »ach den Verheißungen der Boden¬ reformer ins gelobte Land führen soll, ohne Gefährdung wichtiger Interessen betreten werden kann. Dabei habe ich mich bemüht, nicht in den Fehler derer zu verfallen, die sich in der Bekämpfung ihrer Gegner gegen Nebendinge wenden und über diese einen billigen Sieg erfechten. Ich erkenne rückhaltlos den guten Willen der Reformer an, aber diese Anerkennung hindert mich nicht, ihre Ideen in das Gebiet jener Wünsche zu verweisen, die man als „fromme Wünsche" zu bezeichnen pflegt. Eins aber hat mir an ihren Ausführungen besonders mißfallen, der Satz, daß der Menschen nicht zu viele werden könnten. Diesen Satz hält man seit Jahrzehnte» bald in dieser, bald in jeuer Form denen ent¬ gegen, die den Versuch macheu, den Steinhaufen der Schmähungen, die ein blindes Vorurteil und eine falsche Humanität auf Malthus Andenken geworfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/548>, abgerufen am 24.11.2024.