Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aur Beurteilung der Bodeureformbestrebunge"

den unwiderleglicher Beweis geliefert, daß die wirtschaftliche und soziale Wieder¬
geburt des schwer daniederliegenden deutschen Ostens nur durch eine planmäßige
Weiterführung der glücklich begonnenen Banernkvlvnisation erreicht werden kann.
Das ans verschiednen Gründe", namentlich aber dnrch das Hhpvthekenrecht
und die Fideikommisse geförderte Anwachsen der großen Güter hat jene sozialen
Gegensätze heraufbeschworen, die in den Jahren 1885 bis 1890 nicht weniger
als 873000 Einwohner der östlichen Provinzen zur Landflucht veranlaßt haben
Die Ausbreitung des Bauernbetriebes auf den bisherige" Latifundien erscheint
Gering nicht nur aus politisch-soziale", sondern auch ans volkswirtschaftlichen Er¬
wägungen geboten, weil "ach seineu Beobachtungen eine geeignete Parzellirnng
die Ertragsfähigkeit des Bodens in ungeahnter Weise erhöht. Eine allgemeine
Verwirklichung des Gedankens, der den Nentengutsgesetzen vom 27. Juni 1890
und vom 7. Juli 1891 zu Grunde liegt, eröffnet mich nach unsrer Ansicht den
Ausblick in eine glückliche Zukunft: für Generationen freier Männer ein ge¬
sichertes Heim und für den Staat ein Schutzwall gegen den äußern und innern
Feind. Selbst auf die Gefahr hin, einem Teil der Leser bekanntes zu wieder¬
holen, will ich eine besonders wichtige Stelle aus Seriugs Buch über die innere
Kolonisation hier anführen.

"Das Zusammendrängen großer Vvlksmnssen in den Städten und Industrie-
bezirken, die Eingliederung von Hunderten und Tausende" in de" starre" Mecha¬
nismus der Fabrikarbeit gefährdet im höchsten Maße deren körperliche und
geistige Entwicklung. Das rapide Anwachsen der Großstädte öedentet eine fort¬
schreitende Verschlechterung unsers Volkstums. Wie sich immer die gewerbliche
Verfassung in Zukunft gestalten vermag, die Zusammenhäufung als solche ist
geeignet, schablonenhafte Menschen von verkümmerter Individualität hervor¬
zubringen. Es stünde trainig um die Zukunft des Menschengeschlechts, wenn
ähnliche Formen des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande Platz griffen.
Nun ist aber gewiß, daß sich die ländliche Entwicklung nicht in der Richtung
einer zunehmenden Ausbildung großer Arbeitsgemeinschaften mehr oder weniger
sozialistischer Natur bewegt, sondern in der Richtung einer fortschreitenden Ver-
selbständigung des einzeln arbeitenden Wirtes und der Einzelfamilie. Gegen¬
über der wachsenden Sozialisiruug in den Städte" mache" die technische Ent¬
wicklung und der Selbstäudigkeitsdraug der Bevölkerung das platte Land zur
Heimstätte eines gesunden Individualismus. In dem Maße, als es gelingen
wird, den Bauernstand zu mehren und die Landarbeiter in Grundbesitzer zu
verwandeln, wird sich die Lage der handarbeitenden Klassen überhanptIheben,
der Zuzug vom Lande in die Städte wird geringer werden und aufhören die
Lebenshaltung der dortigen Bevölkerung herabzudrücken."

Nur auf dem hier gezeigten Wege vermag sich unsre Landwirtschaft aus der
gegenwärtigen Not herauszuarbeiten. Die Pläne der deutscheu Bodeureformpartei
aber werden an zwei Punkten dnrch die Ergebnisse der Seringschen Forschungen


Aur Beurteilung der Bodeureformbestrebunge»

den unwiderleglicher Beweis geliefert, daß die wirtschaftliche und soziale Wieder¬
geburt des schwer daniederliegenden deutschen Ostens nur durch eine planmäßige
Weiterführung der glücklich begonnenen Banernkvlvnisation erreicht werden kann.
Das ans verschiednen Gründe», namentlich aber dnrch das Hhpvthekenrecht
und die Fideikommisse geförderte Anwachsen der großen Güter hat jene sozialen
Gegensätze heraufbeschworen, die in den Jahren 1885 bis 1890 nicht weniger
als 873000 Einwohner der östlichen Provinzen zur Landflucht veranlaßt haben
Die Ausbreitung des Bauernbetriebes auf den bisherige» Latifundien erscheint
Gering nicht nur aus politisch-soziale», sondern auch ans volkswirtschaftlichen Er¬
wägungen geboten, weil »ach seineu Beobachtungen eine geeignete Parzellirnng
die Ertragsfähigkeit des Bodens in ungeahnter Weise erhöht. Eine allgemeine
Verwirklichung des Gedankens, der den Nentengutsgesetzen vom 27. Juni 1890
und vom 7. Juli 1891 zu Grunde liegt, eröffnet mich nach unsrer Ansicht den
Ausblick in eine glückliche Zukunft: für Generationen freier Männer ein ge¬
sichertes Heim und für den Staat ein Schutzwall gegen den äußern und innern
Feind. Selbst auf die Gefahr hin, einem Teil der Leser bekanntes zu wieder¬
holen, will ich eine besonders wichtige Stelle aus Seriugs Buch über die innere
Kolonisation hier anführen.

„Das Zusammendrängen großer Vvlksmnssen in den Städten und Industrie-
bezirken, die Eingliederung von Hunderten und Tausende» in de» starre» Mecha¬
nismus der Fabrikarbeit gefährdet im höchsten Maße deren körperliche und
geistige Entwicklung. Das rapide Anwachsen der Großstädte öedentet eine fort¬
schreitende Verschlechterung unsers Volkstums. Wie sich immer die gewerbliche
Verfassung in Zukunft gestalten vermag, die Zusammenhäufung als solche ist
geeignet, schablonenhafte Menschen von verkümmerter Individualität hervor¬
zubringen. Es stünde trainig um die Zukunft des Menschengeschlechts, wenn
ähnliche Formen des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande Platz griffen.
Nun ist aber gewiß, daß sich die ländliche Entwicklung nicht in der Richtung
einer zunehmenden Ausbildung großer Arbeitsgemeinschaften mehr oder weniger
sozialistischer Natur bewegt, sondern in der Richtung einer fortschreitenden Ver-
selbständigung des einzeln arbeitenden Wirtes und der Einzelfamilie. Gegen¬
über der wachsenden Sozialisiruug in den Städte» mache» die technische Ent¬
wicklung und der Selbstäudigkeitsdraug der Bevölkerung das platte Land zur
Heimstätte eines gesunden Individualismus. In dem Maße, als es gelingen
wird, den Bauernstand zu mehren und die Landarbeiter in Grundbesitzer zu
verwandeln, wird sich die Lage der handarbeitenden Klassen überhanptIheben,
der Zuzug vom Lande in die Städte wird geringer werden und aufhören die
Lebenshaltung der dortigen Bevölkerung herabzudrücken."

Nur auf dem hier gezeigten Wege vermag sich unsre Landwirtschaft aus der
gegenwärtigen Not herauszuarbeiten. Die Pläne der deutscheu Bodeureformpartei
aber werden an zwei Punkten dnrch die Ergebnisse der Seringschen Forschungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0547" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215637"/>
          <fw type="header" place="top"> Aur Beurteilung der Bodeureformbestrebunge»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1892" prev="#ID_1891"> den unwiderleglicher Beweis geliefert, daß die wirtschaftliche und soziale Wieder¬<lb/>
geburt des schwer daniederliegenden deutschen Ostens nur durch eine planmäßige<lb/>
Weiterführung der glücklich begonnenen Banernkvlvnisation erreicht werden kann.<lb/>
Das ans verschiednen Gründe», namentlich aber dnrch das Hhpvthekenrecht<lb/>
und die Fideikommisse geförderte Anwachsen der großen Güter hat jene sozialen<lb/>
Gegensätze heraufbeschworen, die in den Jahren 1885 bis 1890 nicht weniger<lb/>
als 873000 Einwohner der östlichen Provinzen zur Landflucht veranlaßt haben<lb/>
Die Ausbreitung des Bauernbetriebes auf den bisherige» Latifundien erscheint<lb/>
Gering nicht nur aus politisch-soziale», sondern auch ans volkswirtschaftlichen Er¬<lb/>
wägungen geboten, weil »ach seineu Beobachtungen eine geeignete Parzellirnng<lb/>
die Ertragsfähigkeit des Bodens in ungeahnter Weise erhöht. Eine allgemeine<lb/>
Verwirklichung des Gedankens, der den Nentengutsgesetzen vom 27. Juni 1890<lb/>
und vom 7. Juli 1891 zu Grunde liegt, eröffnet mich nach unsrer Ansicht den<lb/>
Ausblick in eine glückliche Zukunft: für Generationen freier Männer ein ge¬<lb/>
sichertes Heim und für den Staat ein Schutzwall gegen den äußern und innern<lb/>
Feind. Selbst auf die Gefahr hin, einem Teil der Leser bekanntes zu wieder¬<lb/>
holen, will ich eine besonders wichtige Stelle aus Seriugs Buch über die innere<lb/>
Kolonisation hier anführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1893"> &#x201E;Das Zusammendrängen großer Vvlksmnssen in den Städten und Industrie-<lb/>
bezirken, die Eingliederung von Hunderten und Tausende» in de» starre» Mecha¬<lb/>
nismus der Fabrikarbeit gefährdet im höchsten Maße deren körperliche und<lb/>
geistige Entwicklung. Das rapide Anwachsen der Großstädte öedentet eine fort¬<lb/>
schreitende Verschlechterung unsers Volkstums. Wie sich immer die gewerbliche<lb/>
Verfassung in Zukunft gestalten vermag, die Zusammenhäufung als solche ist<lb/>
geeignet, schablonenhafte Menschen von verkümmerter Individualität hervor¬<lb/>
zubringen. Es stünde trainig um die Zukunft des Menschengeschlechts, wenn<lb/>
ähnliche Formen des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande Platz griffen.<lb/>
Nun ist aber gewiß, daß sich die ländliche Entwicklung nicht in der Richtung<lb/>
einer zunehmenden Ausbildung großer Arbeitsgemeinschaften mehr oder weniger<lb/>
sozialistischer Natur bewegt, sondern in der Richtung einer fortschreitenden Ver-<lb/>
selbständigung des einzeln arbeitenden Wirtes und der Einzelfamilie. Gegen¬<lb/>
über der wachsenden Sozialisiruug in den Städte» mache» die technische Ent¬<lb/>
wicklung und der Selbstäudigkeitsdraug der Bevölkerung das platte Land zur<lb/>
Heimstätte eines gesunden Individualismus. In dem Maße, als es gelingen<lb/>
wird, den Bauernstand zu mehren und die Landarbeiter in Grundbesitzer zu<lb/>
verwandeln, wird sich die Lage der handarbeitenden Klassen überhanptIheben,<lb/>
der Zuzug vom Lande in die Städte wird geringer werden und aufhören die<lb/>
Lebenshaltung der dortigen Bevölkerung herabzudrücken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1894" next="#ID_1895"> Nur auf dem hier gezeigten Wege vermag sich unsre Landwirtschaft aus der<lb/>
gegenwärtigen Not herauszuarbeiten. Die Pläne der deutscheu Bodeureformpartei<lb/>
aber werden an zwei Punkten dnrch die Ergebnisse der Seringschen Forschungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0547] Aur Beurteilung der Bodeureformbestrebunge» den unwiderleglicher Beweis geliefert, daß die wirtschaftliche und soziale Wieder¬ geburt des schwer daniederliegenden deutschen Ostens nur durch eine planmäßige Weiterführung der glücklich begonnenen Banernkvlvnisation erreicht werden kann. Das ans verschiednen Gründe», namentlich aber dnrch das Hhpvthekenrecht und die Fideikommisse geförderte Anwachsen der großen Güter hat jene sozialen Gegensätze heraufbeschworen, die in den Jahren 1885 bis 1890 nicht weniger als 873000 Einwohner der östlichen Provinzen zur Landflucht veranlaßt haben Die Ausbreitung des Bauernbetriebes auf den bisherige» Latifundien erscheint Gering nicht nur aus politisch-soziale», sondern auch ans volkswirtschaftlichen Er¬ wägungen geboten, weil »ach seineu Beobachtungen eine geeignete Parzellirnng die Ertragsfähigkeit des Bodens in ungeahnter Weise erhöht. Eine allgemeine Verwirklichung des Gedankens, der den Nentengutsgesetzen vom 27. Juni 1890 und vom 7. Juli 1891 zu Grunde liegt, eröffnet mich nach unsrer Ansicht den Ausblick in eine glückliche Zukunft: für Generationen freier Männer ein ge¬ sichertes Heim und für den Staat ein Schutzwall gegen den äußern und innern Feind. Selbst auf die Gefahr hin, einem Teil der Leser bekanntes zu wieder¬ holen, will ich eine besonders wichtige Stelle aus Seriugs Buch über die innere Kolonisation hier anführen. „Das Zusammendrängen großer Vvlksmnssen in den Städten und Industrie- bezirken, die Eingliederung von Hunderten und Tausende» in de» starre» Mecha¬ nismus der Fabrikarbeit gefährdet im höchsten Maße deren körperliche und geistige Entwicklung. Das rapide Anwachsen der Großstädte öedentet eine fort¬ schreitende Verschlechterung unsers Volkstums. Wie sich immer die gewerbliche Verfassung in Zukunft gestalten vermag, die Zusammenhäufung als solche ist geeignet, schablonenhafte Menschen von verkümmerter Individualität hervor¬ zubringen. Es stünde trainig um die Zukunft des Menschengeschlechts, wenn ähnliche Formen des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande Platz griffen. Nun ist aber gewiß, daß sich die ländliche Entwicklung nicht in der Richtung einer zunehmenden Ausbildung großer Arbeitsgemeinschaften mehr oder weniger sozialistischer Natur bewegt, sondern in der Richtung einer fortschreitenden Ver- selbständigung des einzeln arbeitenden Wirtes und der Einzelfamilie. Gegen¬ über der wachsenden Sozialisiruug in den Städte» mache» die technische Ent¬ wicklung und der Selbstäudigkeitsdraug der Bevölkerung das platte Land zur Heimstätte eines gesunden Individualismus. In dem Maße, als es gelingen wird, den Bauernstand zu mehren und die Landarbeiter in Grundbesitzer zu verwandeln, wird sich die Lage der handarbeitenden Klassen überhanptIheben, der Zuzug vom Lande in die Städte wird geringer werden und aufhören die Lebenshaltung der dortigen Bevölkerung herabzudrücken." Nur auf dem hier gezeigten Wege vermag sich unsre Landwirtschaft aus der gegenwärtigen Not herauszuarbeiten. Die Pläne der deutscheu Bodeureformpartei aber werden an zwei Punkten dnrch die Ergebnisse der Seringschen Forschungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/547
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/547>, abgerufen am 24.11.2024.