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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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gedrückt hat, daß er auch heute noch in blühenden Ländern niedriger steht als
dort, wohin die Kultur erst schüchtern ihren Fuß gesetzt hat, daß er in Zeiten
einer ruhigen Entwicklung fallt, mu bei der ersten Wolke einer Gefahr zu steigen,
mit einem Worte, daß man in gewissem Sinne imstande ist, an der Höhe des
Zinsfußes die wirtschaftliche und soziale Lage eines Landes in ähnlicher Weise
zu erkennen, wie an der Quecksilbersäule das Fallen und Steigen der Wärme.

Zwischen Lohnhöhe und Zinsfuß besteht ein Zusammenhang, den niemand
wegzuleugnen vermag, und wenn auch beide nur Anzeichen des wirtschaftlichen
Lebens sind, sich also nicht zu einander verhalten wie Ursache und Wirkung,
so erscheint es doch ausgeschlossen, daß irgend ein Vorgang auf wirtschaftlichem
Gebiete auf die Dauer eine einseitige Beeinflussung des Lohnes oder des Zinses
hervorrufen könnte. Wenn der Markt mit beschäftigungsuchendem Kapital über¬
schwemmt wird, so schafft der fallende Zins vorderhand freilich die Lust nach
neuen Unternehmungen und eine erhöhte Nachfrage nach Arbeit; mit der Zeit
aber muß ein Rückschlag eintreten, weil sich die Vermehrung der Unter¬
nehmungen bis zu einem Punkte steigert, wo der Unternehmer auch gegen
seinen Willen gezwungen wird, die Einbuße, die ihm die erhöhte Konkurrenz
verursacht, aus der Elastizität des Arbeitslohns wieder einzubringen. Dazu
ist er in der Lage, denn wenn auch Kapital und Arbeit gegenüber dem Unter¬
nehmer ein gemeinsames Interesse haben, so steht ihre Sache doch nicht gleich:
wo das Kapital feiern will, wird es nicht, wie die Arbeit, durch den Hunger
gezwungen, sich den Bedingungen des Unternehmers zu unterwerfen.

Diese Erwägung wirft auf die im übrigen beachtenswerten Ausführungen,
die George über die gemeinsamen Interessen von Kapital und Arbeit gegeben
hat, die richtige Beleuchtung. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Ame¬
rikaner, denen es vor allem darauf ankommt, den Privatbesitz an Grund und
Boden als eine Rechtsverletzung darzustellen, die Sache so auffassen, als ob die
Grundrente den von Rechts wegen der Arbeit und dem Kapital gebührenden
Ertrag zum größten Teil verschlinge. Dem gegenüber wird es genügen, daran
zu erinnern, daß der Bodenbesitzer doch uur selten imstande ist, den Weg zu
verfolge", deu das Erzeugnis des Bodens, der Rohstoff, bis zur Herstellung
der Ware zurücklegt, daß vielmehr ein andrer ihm mit der Sorge für die weitere
Bearbeitung oder Verwertung seiner Erzeugnisse zugleich einen großen Anteil
an dem vollen Prvduktionsertrag abnimmt. Für George und seine Anhänger
giebt es freilich in der Theorie keinen Unternehmer, und auch die deutschen
Reformer stellen die Sache so dar, als ob in ihrem Zukunftsstaat Arbeiter nud
Unternehmer in der Regel dieselbe Person sein würden, weil ja der niedrige
Zinsfuß dem Arbeiter die Möglichkeit gewähre, selbst als Unternehmer auf¬
zutreten.

Damit sind wir an einem Punkte angekommen, wo Nur ans die schon
erwähnten Seringschen Forschungen einen Blick werfen müssen. Sering hat


gedrückt hat, daß er auch heute noch in blühenden Ländern niedriger steht als
dort, wohin die Kultur erst schüchtern ihren Fuß gesetzt hat, daß er in Zeiten
einer ruhigen Entwicklung fallt, mu bei der ersten Wolke einer Gefahr zu steigen,
mit einem Worte, daß man in gewissem Sinne imstande ist, an der Höhe des
Zinsfußes die wirtschaftliche und soziale Lage eines Landes in ähnlicher Weise
zu erkennen, wie an der Quecksilbersäule das Fallen und Steigen der Wärme.

Zwischen Lohnhöhe und Zinsfuß besteht ein Zusammenhang, den niemand
wegzuleugnen vermag, und wenn auch beide nur Anzeichen des wirtschaftlichen
Lebens sind, sich also nicht zu einander verhalten wie Ursache und Wirkung,
so erscheint es doch ausgeschlossen, daß irgend ein Vorgang auf wirtschaftlichem
Gebiete auf die Dauer eine einseitige Beeinflussung des Lohnes oder des Zinses
hervorrufen könnte. Wenn der Markt mit beschäftigungsuchendem Kapital über¬
schwemmt wird, so schafft der fallende Zins vorderhand freilich die Lust nach
neuen Unternehmungen und eine erhöhte Nachfrage nach Arbeit; mit der Zeit
aber muß ein Rückschlag eintreten, weil sich die Vermehrung der Unter¬
nehmungen bis zu einem Punkte steigert, wo der Unternehmer auch gegen
seinen Willen gezwungen wird, die Einbuße, die ihm die erhöhte Konkurrenz
verursacht, aus der Elastizität des Arbeitslohns wieder einzubringen. Dazu
ist er in der Lage, denn wenn auch Kapital und Arbeit gegenüber dem Unter¬
nehmer ein gemeinsames Interesse haben, so steht ihre Sache doch nicht gleich:
wo das Kapital feiern will, wird es nicht, wie die Arbeit, durch den Hunger
gezwungen, sich den Bedingungen des Unternehmers zu unterwerfen.

Diese Erwägung wirft auf die im übrigen beachtenswerten Ausführungen,
die George über die gemeinsamen Interessen von Kapital und Arbeit gegeben
hat, die richtige Beleuchtung. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Ame¬
rikaner, denen es vor allem darauf ankommt, den Privatbesitz an Grund und
Boden als eine Rechtsverletzung darzustellen, die Sache so auffassen, als ob die
Grundrente den von Rechts wegen der Arbeit und dem Kapital gebührenden
Ertrag zum größten Teil verschlinge. Dem gegenüber wird es genügen, daran
zu erinnern, daß der Bodenbesitzer doch uur selten imstande ist, den Weg zu
verfolge», deu das Erzeugnis des Bodens, der Rohstoff, bis zur Herstellung
der Ware zurücklegt, daß vielmehr ein andrer ihm mit der Sorge für die weitere
Bearbeitung oder Verwertung seiner Erzeugnisse zugleich einen großen Anteil
an dem vollen Prvduktionsertrag abnimmt. Für George und seine Anhänger
giebt es freilich in der Theorie keinen Unternehmer, und auch die deutschen
Reformer stellen die Sache so dar, als ob in ihrem Zukunftsstaat Arbeiter nud
Unternehmer in der Regel dieselbe Person sein würden, weil ja der niedrige
Zinsfuß dem Arbeiter die Möglichkeit gewähre, selbst als Unternehmer auf¬
zutreten.

Damit sind wir an einem Punkte angekommen, wo Nur ans die schon
erwähnten Seringschen Forschungen einen Blick werfen müssen. Sering hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/546>, abgerufen am 27.11.2024.