Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Beurtcililng der Bodciireforinbestrcbungen

wenn man in größerm Umfange die Lehren befolgen wollte, die sich aus den
kürzlich an dieser Stelle besprochnen Forschungen des Professors Max Gering
ergeben haben. Ich komme weiter unter ans diesen Punkt zurück.

Die deutscheu Fürsprecher der Reform sind selbst darauf gefaßt, daß durch
Bodenverschlechterungen, z. B, durch Versandung, ein örtliches Sinken der
Grundrente herbeigeführt werden kann. Ich füge hinzu, daß namentlich der
städtische Grund und Boden auch aus andern Ursachen einer unaufhaltsamen
Entwertung ausgesetzt ist. Ja bei der politischen Lage in Europa ist es leider
von Jahr zu Jahr weniger unwahrscheinlich geworden, daß dnrch einen künf¬
tigen Krieg die Grundrente gewisser Länder, wenn auch nur vorübergehend,
einen allgemeinen Niedergang erleiden wird, wobei die Verluste auf der einen
Seite nicht mehr durch Steigerungen an andern Punkten wettgemacht werden
können. Mit derartigen Zufällen würde man aber in der Ära der Bodenreform
umsomehr zu rechnen haben, als die Abschließung der Völker auf dem Gebiete
des Handels die Gefahr eines Krieges eher heraufbeschwören als zurückdrängen
müßte.

Da wir auf diese und ähnliche Fragen vergebens eine befriedigende, alle
Zweifel verscheuchende Antwort suchen, so fassen wir unser Urteil dahin zu¬
sammen, daß die Vorteile, die mau von der Durchführung der Reform er¬
wartet, fraglich erscheinen, da sie eine andauernde, die bisherige noch über¬
holende Steigerung der ländlichen Grundrente voraussetzen.

Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt die Sache ein völlig verändertes
Aussehen. Das Anerbieten der Reformer, deu Grund und Boden in die Hand
des Staats übergehen zu lassen, wird durch die Forderung, daß der Staat
den gegenwärtigen Besitzern den heute festgesetzten Wert verbürgen solle, zu
einem Danaergeschenk, das dem Empfänger eines Tages vielleicht unermeßliche
Verluste, in keinem Falle aber die erwarteten Vorteile bringen würde. Der
in seiner Rücksichtslosigkeit konsequentere Amerikaner hat dadurch, daß er jede
Entschädigung der augenblicklichen Besitzer ablehnt, abgesehen von dem Unrecht,
das in seiner allgemeine" Konfiskation liegen würde, sein System jedenfalls
lebensfähiger gemacht. Wenn dagegen die deutschen Reformer von der Durch¬
führung ihres Halbplaus die gleichen Wirkungen erwarten, wenn sie sich in
der Schilderung ihres Znknnftstaats derselben leuchtenden Farben bedienen,
so wird man von ihren Verheißungen von vornherein einen Abzug machen
müssen, der, in Zahlen ausgedrückt, deu Zinsen jener mehr als hundert Mil¬
liarden gleichkommen würde, ans die man den gegenwärtigen Bodenwert in
Deutschland geschätzt hat.

Welcher Art sind aber jene Verheißungen? Zunächst glaubt man, daß die
künftige Steigerung der Grundrente einmal ausreichen würde, die jährlichen
Ausgaben des Staats zu decken; so wenigstens verstehe ich den Satz: "Die
Gesellschaft wäre in ihre Gerechtsame eingesetzt, und die Privaten genössen den


Zur Beurtcililng der Bodciireforinbestrcbungen

wenn man in größerm Umfange die Lehren befolgen wollte, die sich aus den
kürzlich an dieser Stelle besprochnen Forschungen des Professors Max Gering
ergeben haben. Ich komme weiter unter ans diesen Punkt zurück.

Die deutscheu Fürsprecher der Reform sind selbst darauf gefaßt, daß durch
Bodenverschlechterungen, z. B, durch Versandung, ein örtliches Sinken der
Grundrente herbeigeführt werden kann. Ich füge hinzu, daß namentlich der
städtische Grund und Boden auch aus andern Ursachen einer unaufhaltsamen
Entwertung ausgesetzt ist. Ja bei der politischen Lage in Europa ist es leider
von Jahr zu Jahr weniger unwahrscheinlich geworden, daß dnrch einen künf¬
tigen Krieg die Grundrente gewisser Länder, wenn auch nur vorübergehend,
einen allgemeinen Niedergang erleiden wird, wobei die Verluste auf der einen
Seite nicht mehr durch Steigerungen an andern Punkten wettgemacht werden
können. Mit derartigen Zufällen würde man aber in der Ära der Bodenreform
umsomehr zu rechnen haben, als die Abschließung der Völker auf dem Gebiete
des Handels die Gefahr eines Krieges eher heraufbeschwören als zurückdrängen
müßte.

Da wir auf diese und ähnliche Fragen vergebens eine befriedigende, alle
Zweifel verscheuchende Antwort suchen, so fassen wir unser Urteil dahin zu¬
sammen, daß die Vorteile, die mau von der Durchführung der Reform er¬
wartet, fraglich erscheinen, da sie eine andauernde, die bisherige noch über¬
holende Steigerung der ländlichen Grundrente voraussetzen.

Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt die Sache ein völlig verändertes
Aussehen. Das Anerbieten der Reformer, deu Grund und Boden in die Hand
des Staats übergehen zu lassen, wird durch die Forderung, daß der Staat
den gegenwärtigen Besitzern den heute festgesetzten Wert verbürgen solle, zu
einem Danaergeschenk, das dem Empfänger eines Tages vielleicht unermeßliche
Verluste, in keinem Falle aber die erwarteten Vorteile bringen würde. Der
in seiner Rücksichtslosigkeit konsequentere Amerikaner hat dadurch, daß er jede
Entschädigung der augenblicklichen Besitzer ablehnt, abgesehen von dem Unrecht,
das in seiner allgemeine» Konfiskation liegen würde, sein System jedenfalls
lebensfähiger gemacht. Wenn dagegen die deutschen Reformer von der Durch¬
führung ihres Halbplaus die gleichen Wirkungen erwarten, wenn sie sich in
der Schilderung ihres Znknnftstaats derselben leuchtenden Farben bedienen,
so wird man von ihren Verheißungen von vornherein einen Abzug machen
müssen, der, in Zahlen ausgedrückt, deu Zinsen jener mehr als hundert Mil¬
liarden gleichkommen würde, ans die man den gegenwärtigen Bodenwert in
Deutschland geschätzt hat.

Welcher Art sind aber jene Verheißungen? Zunächst glaubt man, daß die
künftige Steigerung der Grundrente einmal ausreichen würde, die jährlichen
Ausgaben des Staats zu decken; so wenigstens verstehe ich den Satz: „Die
Gesellschaft wäre in ihre Gerechtsame eingesetzt, und die Privaten genössen den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215634"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Beurtcililng der Bodciireforinbestrcbungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1880" prev="#ID_1879"> wenn man in größerm Umfange die Lehren befolgen wollte, die sich aus den<lb/>
kürzlich an dieser Stelle besprochnen Forschungen des Professors Max Gering<lb/>
ergeben haben.  Ich komme weiter unter ans diesen Punkt zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1881"> Die deutscheu Fürsprecher der Reform sind selbst darauf gefaßt, daß durch<lb/>
Bodenverschlechterungen, z. B, durch Versandung, ein örtliches Sinken der<lb/>
Grundrente herbeigeführt werden kann. Ich füge hinzu, daß namentlich der<lb/>
städtische Grund und Boden auch aus andern Ursachen einer unaufhaltsamen<lb/>
Entwertung ausgesetzt ist. Ja bei der politischen Lage in Europa ist es leider<lb/>
von Jahr zu Jahr weniger unwahrscheinlich geworden, daß dnrch einen künf¬<lb/>
tigen Krieg die Grundrente gewisser Länder, wenn auch nur vorübergehend,<lb/>
einen allgemeinen Niedergang erleiden wird, wobei die Verluste auf der einen<lb/>
Seite nicht mehr durch Steigerungen an andern Punkten wettgemacht werden<lb/>
können. Mit derartigen Zufällen würde man aber in der Ära der Bodenreform<lb/>
umsomehr zu rechnen haben, als die Abschließung der Völker auf dem Gebiete<lb/>
des Handels die Gefahr eines Krieges eher heraufbeschwören als zurückdrängen<lb/>
müßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1882"> Da wir auf diese und ähnliche Fragen vergebens eine befriedigende, alle<lb/>
Zweifel verscheuchende Antwort suchen, so fassen wir unser Urteil dahin zu¬<lb/>
sammen, daß die Vorteile, die mau von der Durchführung der Reform er¬<lb/>
wartet, fraglich erscheinen, da sie eine andauernde, die bisherige noch über¬<lb/>
holende Steigerung der ländlichen Grundrente voraussetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1883"> Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt die Sache ein völlig verändertes<lb/>
Aussehen. Das Anerbieten der Reformer, deu Grund und Boden in die Hand<lb/>
des Staats übergehen zu lassen, wird durch die Forderung, daß der Staat<lb/>
den gegenwärtigen Besitzern den heute festgesetzten Wert verbürgen solle, zu<lb/>
einem Danaergeschenk, das dem Empfänger eines Tages vielleicht unermeßliche<lb/>
Verluste, in keinem Falle aber die erwarteten Vorteile bringen würde. Der<lb/>
in seiner Rücksichtslosigkeit konsequentere Amerikaner hat dadurch, daß er jede<lb/>
Entschädigung der augenblicklichen Besitzer ablehnt, abgesehen von dem Unrecht,<lb/>
das in seiner allgemeine» Konfiskation liegen würde, sein System jedenfalls<lb/>
lebensfähiger gemacht. Wenn dagegen die deutschen Reformer von der Durch¬<lb/>
führung ihres Halbplaus die gleichen Wirkungen erwarten, wenn sie sich in<lb/>
der Schilderung ihres Znknnftstaats derselben leuchtenden Farben bedienen,<lb/>
so wird man von ihren Verheißungen von vornherein einen Abzug machen<lb/>
müssen, der, in Zahlen ausgedrückt, deu Zinsen jener mehr als hundert Mil¬<lb/>
liarden gleichkommen würde, ans die man den gegenwärtigen Bodenwert in<lb/>
Deutschland geschätzt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1884" next="#ID_1885"> Welcher Art sind aber jene Verheißungen? Zunächst glaubt man, daß die<lb/>
künftige Steigerung der Grundrente einmal ausreichen würde, die jährlichen<lb/>
Ausgaben des Staats zu decken; so wenigstens verstehe ich den Satz: &#x201E;Die<lb/>
Gesellschaft wäre in ihre Gerechtsame eingesetzt, und die Privaten genössen den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0544] Zur Beurtcililng der Bodciireforinbestrcbungen wenn man in größerm Umfange die Lehren befolgen wollte, die sich aus den kürzlich an dieser Stelle besprochnen Forschungen des Professors Max Gering ergeben haben. Ich komme weiter unter ans diesen Punkt zurück. Die deutscheu Fürsprecher der Reform sind selbst darauf gefaßt, daß durch Bodenverschlechterungen, z. B, durch Versandung, ein örtliches Sinken der Grundrente herbeigeführt werden kann. Ich füge hinzu, daß namentlich der städtische Grund und Boden auch aus andern Ursachen einer unaufhaltsamen Entwertung ausgesetzt ist. Ja bei der politischen Lage in Europa ist es leider von Jahr zu Jahr weniger unwahrscheinlich geworden, daß dnrch einen künf¬ tigen Krieg die Grundrente gewisser Länder, wenn auch nur vorübergehend, einen allgemeinen Niedergang erleiden wird, wobei die Verluste auf der einen Seite nicht mehr durch Steigerungen an andern Punkten wettgemacht werden können. Mit derartigen Zufällen würde man aber in der Ära der Bodenreform umsomehr zu rechnen haben, als die Abschließung der Völker auf dem Gebiete des Handels die Gefahr eines Krieges eher heraufbeschwören als zurückdrängen müßte. Da wir auf diese und ähnliche Fragen vergebens eine befriedigende, alle Zweifel verscheuchende Antwort suchen, so fassen wir unser Urteil dahin zu¬ sammen, daß die Vorteile, die mau von der Durchführung der Reform er¬ wartet, fraglich erscheinen, da sie eine andauernde, die bisherige noch über¬ holende Steigerung der ländlichen Grundrente voraussetzen. Unter diesem Gesichtspunkte gewinnt die Sache ein völlig verändertes Aussehen. Das Anerbieten der Reformer, deu Grund und Boden in die Hand des Staats übergehen zu lassen, wird durch die Forderung, daß der Staat den gegenwärtigen Besitzern den heute festgesetzten Wert verbürgen solle, zu einem Danaergeschenk, das dem Empfänger eines Tages vielleicht unermeßliche Verluste, in keinem Falle aber die erwarteten Vorteile bringen würde. Der in seiner Rücksichtslosigkeit konsequentere Amerikaner hat dadurch, daß er jede Entschädigung der augenblicklichen Besitzer ablehnt, abgesehen von dem Unrecht, das in seiner allgemeine» Konfiskation liegen würde, sein System jedenfalls lebensfähiger gemacht. Wenn dagegen die deutschen Reformer von der Durch¬ führung ihres Halbplaus die gleichen Wirkungen erwarten, wenn sie sich in der Schilderung ihres Znknnftstaats derselben leuchtenden Farben bedienen, so wird man von ihren Verheißungen von vornherein einen Abzug machen müssen, der, in Zahlen ausgedrückt, deu Zinsen jener mehr als hundert Mil¬ liarden gleichkommen würde, ans die man den gegenwärtigen Bodenwert in Deutschland geschätzt hat. Welcher Art sind aber jene Verheißungen? Zunächst glaubt man, daß die künftige Steigerung der Grundrente einmal ausreichen würde, die jährlichen Ausgaben des Staats zu decken; so wenigstens verstehe ich den Satz: „Die Gesellschaft wäre in ihre Gerechtsame eingesetzt, und die Privaten genössen den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/544
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/544>, abgerufen am 24.11.2024.