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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Beurteilung der Bodenreforuibestrebungeu

Erdteilen eine Grundrente zu bilden beginn. Aber das ist auf der andern
Seite doch wieder ein Glück, den" ohne diese Gestaltung der Dinge wäre für
einen großen Teil unsrer Bevölkerung kein Raum mehr im Lande, weil wir,
um nur einiges herauszugreifen, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre auf
eine jährliche Zufuhr von 769581 Tonnen Roggen und 652016 Tonnen
Weizen angewiesen waren'") und allein im Jahre 1892 an Getreide und
sonstigen Erzeugnissen des Ackerbaus nach Abzug der verhältnismäßig geringen
Ausfuhr im ganzen 4121626 Tonnen im Werte von 608 Millionen Mark
bei uns einführen mußten.

Diese Zahlen reden eine deutliche Sprache. Noch giebt es auf der Erde
unermeßliche Flächen, die anbaufähig sind, aber bis jetzt nur eine ganz ge¬
ringe oder gar keine Grundrente haben. Das Vorhandensein dieser Gebiete
hängt sich bei dem von Jahr zu Jahr erleichterte" Verkehr wie ein Blei¬
gewicht an die einheimische Grundrente und wird ihr weiteres Steigen so
lange erschweren, bis einst die Zeit gekommen ist, wo Ackerland in West¬
europa nicht wesentlich teurer sein dürfte als an der Wolga oder dort, wo
im fernen Westen auf ihren unheimlich schnell znsammenschrnmpfcnden Jagd¬
gründen die letzten Stämme der Rothäute vor den Segnungen der weiße"
Zivilisation dahinsterben. Gewiß liegt diese Entwicklung noch fern, aber
kommen wird sie mit Notwendigkeit. Was das für eine Rückwirkung ans den
Wert des heimischen Bodens äußern wird, sehen wir aus einem Vergleich.
Wahrend Deutschland auf dem Quadratkilometer 91,5 Einwohner zu ernähre"
hat, und während sei" Ackerboden, der etwa 40 Prozent der Gesamtfläche
einnimmt, im Jahre 1891 annähernd 35 Millionen Hektoliter Weizen und
Spelz, 65 Millionen Hektoliter Roggen und 40 Millionen Hektoliter Gerste
erzeugte, wurden in demselben Jahre im europäische" Nußland, wo ans dem
Quadratkilonieter uur 18 Menschen leben, und wo erst 26 Prozent des
Ganzen in Ackerland verwandelt sind, 68 Millionen Hektoliter Weizen und
Spelz, 189 Millionen Hektoliter Roggen und 53 Millionen Hektoliter Gerste
hervorgebracht. Und nun erst die Vereinigten Staaten, die auf mehr als 9 Mil¬
lionen Quadratkilometer", d. i. auf der sechzehn- bis siebzehnfachen Fläche
des deutschen Reiches, auf einem Boden, wovon nur ein verschwindender Bruch¬
teil, etwa 3,3 Prozent, als unproduktiv bezeichnet wird, augenblicklich nicht
mehr als 63 Millionen Menschen zu ernähren haben! Nur dann ließe sich der
hemmciide Emflilß, den diese und andre Länder ans das Steigen der deutscheu
Grundrente ausüben müssen, verhüten, wenn es möglich wäre, unbekümmert
um die nach Brot schreienden Einwohner der Städte unsre Grenzen gegen
die auswärtige Zufuhr vollständig abzuschließen. Die Folgen einer derartigen



*) Bei einer einheimischen Erzeugung von durchschnittlich 5 bis 6 Millionen Tonnen
Roggen und 2 bis ö Millionen Tonnen Weizen.
Zur Beurteilung der Bodenreforuibestrebungeu

Erdteilen eine Grundrente zu bilden beginn. Aber das ist auf der andern
Seite doch wieder ein Glück, den» ohne diese Gestaltung der Dinge wäre für
einen großen Teil unsrer Bevölkerung kein Raum mehr im Lande, weil wir,
um nur einiges herauszugreifen, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre auf
eine jährliche Zufuhr von 769581 Tonnen Roggen und 652016 Tonnen
Weizen angewiesen waren'") und allein im Jahre 1892 an Getreide und
sonstigen Erzeugnissen des Ackerbaus nach Abzug der verhältnismäßig geringen
Ausfuhr im ganzen 4121626 Tonnen im Werte von 608 Millionen Mark
bei uns einführen mußten.

Diese Zahlen reden eine deutliche Sprache. Noch giebt es auf der Erde
unermeßliche Flächen, die anbaufähig sind, aber bis jetzt nur eine ganz ge¬
ringe oder gar keine Grundrente haben. Das Vorhandensein dieser Gebiete
hängt sich bei dem von Jahr zu Jahr erleichterte» Verkehr wie ein Blei¬
gewicht an die einheimische Grundrente und wird ihr weiteres Steigen so
lange erschweren, bis einst die Zeit gekommen ist, wo Ackerland in West¬
europa nicht wesentlich teurer sein dürfte als an der Wolga oder dort, wo
im fernen Westen auf ihren unheimlich schnell znsammenschrnmpfcnden Jagd¬
gründen die letzten Stämme der Rothäute vor den Segnungen der weiße»
Zivilisation dahinsterben. Gewiß liegt diese Entwicklung noch fern, aber
kommen wird sie mit Notwendigkeit. Was das für eine Rückwirkung ans den
Wert des heimischen Bodens äußern wird, sehen wir aus einem Vergleich.
Wahrend Deutschland auf dem Quadratkilometer 91,5 Einwohner zu ernähre»
hat, und während sei» Ackerboden, der etwa 40 Prozent der Gesamtfläche
einnimmt, im Jahre 1891 annähernd 35 Millionen Hektoliter Weizen und
Spelz, 65 Millionen Hektoliter Roggen und 40 Millionen Hektoliter Gerste
erzeugte, wurden in demselben Jahre im europäische» Nußland, wo ans dem
Quadratkilonieter uur 18 Menschen leben, und wo erst 26 Prozent des
Ganzen in Ackerland verwandelt sind, 68 Millionen Hektoliter Weizen und
Spelz, 189 Millionen Hektoliter Roggen und 53 Millionen Hektoliter Gerste
hervorgebracht. Und nun erst die Vereinigten Staaten, die auf mehr als 9 Mil¬
lionen Quadratkilometer», d. i. auf der sechzehn- bis siebzehnfachen Fläche
des deutschen Reiches, auf einem Boden, wovon nur ein verschwindender Bruch¬
teil, etwa 3,3 Prozent, als unproduktiv bezeichnet wird, augenblicklich nicht
mehr als 63 Millionen Menschen zu ernähren haben! Nur dann ließe sich der
hemmciide Emflilß, den diese und andre Länder ans das Steigen der deutscheu
Grundrente ausüben müssen, verhüten, wenn es möglich wäre, unbekümmert
um die nach Brot schreienden Einwohner der Städte unsre Grenzen gegen
die auswärtige Zufuhr vollständig abzuschließen. Die Folgen einer derartigen



*) Bei einer einheimischen Erzeugung von durchschnittlich 5 bis 6 Millionen Tonnen
Roggen und 2 bis ö Millionen Tonnen Weizen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/542>, abgerufen am 01.09.2024.