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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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an Selbständigkeit in andern Geschmacksrichtungen hier mehr eine Übergangs¬
stufe zur Bildung neuer, eigner Formen, im Baustil ebenso, wie in der Mu¬
sik u. s. w. So urteilslos sich die geschilderten großen Massen, die "armen
Reichen," der Kunst gegenüber Verhalten, um so lebhafter zeigt sich wahres,
ernstes Kunststreben bei der Blüte des Geistes, unter der wir auch hier in
Kansas einige Deutschamerikaner treffen, allerdings weniger als in andern
amerikanischen Städten. Milwaukee, Chicago, Philadelphia, Se. Louis, New-
York sind viel deutschere Städte als Kansas City und die im übrigen Westen
und Südwesten.

So grundverschieden auch Inneres und Äußeres war, so oberflächlich und
gleißend vieles erschien, eines war gewiß: um abgethane Kleinigkeiten handelte
es sich hier nicht. Hier war Großes im Entstehen! Wenn ich auch mit dem amerika-
stvlzen Freunde Karl nicht in allein übereinstimmte, es handelte sich hier doch
um die ernstesten Gewissensfragen der Menschheit, die hier viel rascher der
Losung entgegenreifen als in der alten Welt. Eine Verschiebung des Schwer¬
punktes der Kultur nach Westen -- nichts geringeres als das geht hier vor sich,
und dein Deutschtum ist ein nicht geringer Teil an dieser Arbeit zugefallen! Sich
hier auf einige Zeit einzuleben, um lernen zu können, das lohnte sich Wohl,
besonders für den, der schon vor Jahren durch eigne Arbeit in Newyork ein¬
gewurzelt war und als er dann wiederkam, alles so verändert fand, daß es
kaum noch wieder zu erkennen war.

Nach achttägigen Suchen hatten wir endlich ein für uns passendes
Häuschen in der schattigen Cherrystraße an einem buschigen kleinen Rasen-
abHange gefunden, und nach einigen weitern Tagen der Hnuseinrichtuug saßen
wir fröhlich plaudernd auf der vorder" Veranda. Unser Gespräch drehte sich
um die Schwierigkeit,, über fremde Länder zu urteilen, und um die Leichtig¬
keit, mit der Touristen über Amerika Feuilletonartikel schreiben. Denen gegen¬
über hatte Wilhelm Murr ganz Recht, als er, um Nicaragua zu durchreisen
und zu beschreiben, mit Federmessern und Photographien haustrte, nachdem er
sein Reisegeld in Newyork erst in Sicherheit gebracht hatte. Denn nur durch
den Broterwerb lernen wir Land und Leute kennen.

Als wir so sprachen, erinnerte sich Freund Karl eines Berliner Blattes,
das ihm eben heute auf der Redaktion in die Hände gefallen war, und worin
das reichshauptstädtische Selbstgefühl wieder einmal seine schönsten Blüten
trieb. Ein Feuilletonist beschrieb Newyork. Eigentlich ist Pangani, Saadani,
Sansibar, Kiloa heutzutage viel beliebter, hieß es da, doch läßt man sich,
wenn es gewünscht wird, auch wohl einmal herab, Amerika zu besuchen. Der
von dem absprechendsteu Berliner Chauvinismus durchdrungne Gigerl, der
Amerika zuvor nie gesehen hatte, traf gerade heißes und ständiges Wetter in
Newyork an, so konnte ihm nichts imponiren, und als schließlich sogar einer
der Kaufherren in Hemdsärmeln mit ihm aus dem Komptoir über die Straße


Bilder aus dein Mester

an Selbständigkeit in andern Geschmacksrichtungen hier mehr eine Übergangs¬
stufe zur Bildung neuer, eigner Formen, im Baustil ebenso, wie in der Mu¬
sik u. s. w. So urteilslos sich die geschilderten großen Massen, die „armen
Reichen," der Kunst gegenüber Verhalten, um so lebhafter zeigt sich wahres,
ernstes Kunststreben bei der Blüte des Geistes, unter der wir auch hier in
Kansas einige Deutschamerikaner treffen, allerdings weniger als in andern
amerikanischen Städten. Milwaukee, Chicago, Philadelphia, Se. Louis, New-
York sind viel deutschere Städte als Kansas City und die im übrigen Westen
und Südwesten.

So grundverschieden auch Inneres und Äußeres war, so oberflächlich und
gleißend vieles erschien, eines war gewiß: um abgethane Kleinigkeiten handelte
es sich hier nicht. Hier war Großes im Entstehen! Wenn ich auch mit dem amerika-
stvlzen Freunde Karl nicht in allein übereinstimmte, es handelte sich hier doch
um die ernstesten Gewissensfragen der Menschheit, die hier viel rascher der
Losung entgegenreifen als in der alten Welt. Eine Verschiebung des Schwer¬
punktes der Kultur nach Westen — nichts geringeres als das geht hier vor sich,
und dein Deutschtum ist ein nicht geringer Teil an dieser Arbeit zugefallen! Sich
hier auf einige Zeit einzuleben, um lernen zu können, das lohnte sich Wohl,
besonders für den, der schon vor Jahren durch eigne Arbeit in Newyork ein¬
gewurzelt war und als er dann wiederkam, alles so verändert fand, daß es
kaum noch wieder zu erkennen war.

Nach achttägigen Suchen hatten wir endlich ein für uns passendes
Häuschen in der schattigen Cherrystraße an einem buschigen kleinen Rasen-
abHange gefunden, und nach einigen weitern Tagen der Hnuseinrichtuug saßen
wir fröhlich plaudernd auf der vorder« Veranda. Unser Gespräch drehte sich
um die Schwierigkeit,, über fremde Länder zu urteilen, und um die Leichtig¬
keit, mit der Touristen über Amerika Feuilletonartikel schreiben. Denen gegen¬
über hatte Wilhelm Murr ganz Recht, als er, um Nicaragua zu durchreisen
und zu beschreiben, mit Federmessern und Photographien haustrte, nachdem er
sein Reisegeld in Newyork erst in Sicherheit gebracht hatte. Denn nur durch
den Broterwerb lernen wir Land und Leute kennen.

Als wir so sprachen, erinnerte sich Freund Karl eines Berliner Blattes,
das ihm eben heute auf der Redaktion in die Hände gefallen war, und worin
das reichshauptstädtische Selbstgefühl wieder einmal seine schönsten Blüten
trieb. Ein Feuilletonist beschrieb Newyork. Eigentlich ist Pangani, Saadani,
Sansibar, Kiloa heutzutage viel beliebter, hieß es da, doch läßt man sich,
wenn es gewünscht wird, auch wohl einmal herab, Amerika zu besuchen. Der
von dem absprechendsteu Berliner Chauvinismus durchdrungne Gigerl, der
Amerika zuvor nie gesehen hatte, traf gerade heißes und ständiges Wetter in
Newyork an, so konnte ihm nichts imponiren, und als schließlich sogar einer
der Kaufherren in Hemdsärmeln mit ihm aus dem Komptoir über die Straße


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[0054] Bilder aus dein Mester an Selbständigkeit in andern Geschmacksrichtungen hier mehr eine Übergangs¬ stufe zur Bildung neuer, eigner Formen, im Baustil ebenso, wie in der Mu¬ sik u. s. w. So urteilslos sich die geschilderten großen Massen, die „armen Reichen," der Kunst gegenüber Verhalten, um so lebhafter zeigt sich wahres, ernstes Kunststreben bei der Blüte des Geistes, unter der wir auch hier in Kansas einige Deutschamerikaner treffen, allerdings weniger als in andern amerikanischen Städten. Milwaukee, Chicago, Philadelphia, Se. Louis, New- York sind viel deutschere Städte als Kansas City und die im übrigen Westen und Südwesten. So grundverschieden auch Inneres und Äußeres war, so oberflächlich und gleißend vieles erschien, eines war gewiß: um abgethane Kleinigkeiten handelte es sich hier nicht. Hier war Großes im Entstehen! Wenn ich auch mit dem amerika- stvlzen Freunde Karl nicht in allein übereinstimmte, es handelte sich hier doch um die ernstesten Gewissensfragen der Menschheit, die hier viel rascher der Losung entgegenreifen als in der alten Welt. Eine Verschiebung des Schwer¬ punktes der Kultur nach Westen — nichts geringeres als das geht hier vor sich, und dein Deutschtum ist ein nicht geringer Teil an dieser Arbeit zugefallen! Sich hier auf einige Zeit einzuleben, um lernen zu können, das lohnte sich Wohl, besonders für den, der schon vor Jahren durch eigne Arbeit in Newyork ein¬ gewurzelt war und als er dann wiederkam, alles so verändert fand, daß es kaum noch wieder zu erkennen war. Nach achttägigen Suchen hatten wir endlich ein für uns passendes Häuschen in der schattigen Cherrystraße an einem buschigen kleinen Rasen- abHange gefunden, und nach einigen weitern Tagen der Hnuseinrichtuug saßen wir fröhlich plaudernd auf der vorder« Veranda. Unser Gespräch drehte sich um die Schwierigkeit,, über fremde Länder zu urteilen, und um die Leichtig¬ keit, mit der Touristen über Amerika Feuilletonartikel schreiben. Denen gegen¬ über hatte Wilhelm Murr ganz Recht, als er, um Nicaragua zu durchreisen und zu beschreiben, mit Federmessern und Photographien haustrte, nachdem er sein Reisegeld in Newyork erst in Sicherheit gebracht hatte. Denn nur durch den Broterwerb lernen wir Land und Leute kennen. Als wir so sprachen, erinnerte sich Freund Karl eines Berliner Blattes, das ihm eben heute auf der Redaktion in die Hände gefallen war, und worin das reichshauptstädtische Selbstgefühl wieder einmal seine schönsten Blüten trieb. Ein Feuilletonist beschrieb Newyork. Eigentlich ist Pangani, Saadani, Sansibar, Kiloa heutzutage viel beliebter, hieß es da, doch läßt man sich, wenn es gewünscht wird, auch wohl einmal herab, Amerika zu besuchen. Der von dem absprechendsteu Berliner Chauvinismus durchdrungne Gigerl, der Amerika zuvor nie gesehen hatte, traf gerade heißes und ständiges Wetter in Newyork an, so konnte ihm nichts imponiren, und als schließlich sogar einer der Kaufherren in Hemdsärmeln mit ihm aus dem Komptoir über die Straße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/54>, abgerufen am 01.09.2024.