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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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ckcharles Ringsloy als Dichter und Sozialreformer

Überreizung zu erholen, die er sich in einem heftigen Kampfe mit dem Bischof
Newman zugezogen hatte, ergriff ihn wieder die Lust zu schreiben.

Als Frucht seiner Geschichtsstudien ist der Roman zu betrachten: Hvrs-
tlls >Vicks, tluz I^se ok tbs LuAlisli. (^nuvkuiti^ lüäition. Übersetzt
von M. Giese. Berlin, Zanke, 1867.) Kiugsley hat hier den Ver-
zweiflungskampf schildern wollen, den die angelsächsischen Großen diele Jahre
lang gegen Wilhelm den Eroberer auszufechten hatten. Der historische Stoff
ist gewaltig und hat manchen Dichter gereizt; der hochherzige, ritterliche Harold
ist immer ein Lieblingsheld der englischen und auch der deutschen Schrift¬
steller gewesen. Der Zusammenbruch des altenglischen Staatswesens vor dem
Ansturm der normannisch-französischen Eroberer, der heftige Ringkampf der
germanischen und der romanischen Kultur auf englischem Boden, die selt¬
samen Erscheinungen in der Kirche, dem Rittertum und dem Bürgerleben
des elften Jahrhunderts bieten dem Dichter einen unerschöpflichen Stoff.
Aber ein wirkliches Kulturgemäldc des elften Jahrhunderts zu geben, dazu
scheint doch Kingsleys dichterische Kraft nicht ausgereicht zu haben. Er
kommt über den Rahmen und den Ton einer bessern Ritter- und Räuber¬
geschichte nicht hinaus. Ein Abenteuer reiht sich aus andre. Überfälle,
Räubereien, blutige Gemetzel, Klosterbrände, Hexengeschichten und andre auf¬
regende Stoffe ziehen sich ununterbrochen durch zwei Bände. Von Pshcho-
logischer Vertiefung ist nicht viel zu finden. Größere Landschaftsbilder fehlen
vollständig. Die Zeichnung der Figuren ist derb und oft verschwommen.

Der Held des Romans, Herewart, ist der Sohn der Lady Godiva, von
der die Sage geht, sie sei nackt durch die Straßen von Coventry geritten,
um die Stadt vor dem Verderben zu retten. Sie ist eine edle, fromme Frau,
eine Wohlthäterin der Klöster und der Mönche. Umso bitterer empfindet sie
das leichtsinnige Leben Herewards, der seinen Übermut so weit treibt, daß er
mit jungen Spießgesellen die Mönche überfüllt und ausplündert. Aber
Herewart wird verbannt und zieht, von seinem Diener begleitet, in fremde
Lande. Eine Zeit lang lebt er in Schottland, wo er viele Heldenthaten voll¬
bringt und das Leben der schönen Alftrude rettet. Dann zieht er nach Irland
und von dort nach Flandern. In Se. Omer gewinnt er das Herz der
minniglichen Torfrida und vermählt sich mit ihr. Währenddem hat Wilhelm
von der Normandie seinen Zug nach England unternommen, und die Schlacht
bei Hastings macht ihn zum Herrn des Landes. Da eilt Herewart, von
Vaterlandsliebe getrieben, nach England zurück. Eine große Schar sreiheit-
liebender Engländer schließt sich ihm an, und nun beginnen verzweifelte
Kämpfe der Helden, um das fremde Joch wieder abzuschütteln. Aber auch
Herewards letzte Zufluchtsstätte Ely wird schließlich von Wilhelm erobert.
Er führt dann im Bruncswald ein wüstes Räuberleben, verstößt seine Ge¬
mahlin Torfridn und tritt, vou Alftruda verleitet, auf die Seite Wilhelms


ckcharles Ringsloy als Dichter und Sozialreformer

Überreizung zu erholen, die er sich in einem heftigen Kampfe mit dem Bischof
Newman zugezogen hatte, ergriff ihn wieder die Lust zu schreiben.

Als Frucht seiner Geschichtsstudien ist der Roman zu betrachten: Hvrs-
tlls >Vicks, tluz I^se ok tbs LuAlisli. (^nuvkuiti^ lüäition. Übersetzt
von M. Giese. Berlin, Zanke, 1867.) Kiugsley hat hier den Ver-
zweiflungskampf schildern wollen, den die angelsächsischen Großen diele Jahre
lang gegen Wilhelm den Eroberer auszufechten hatten. Der historische Stoff
ist gewaltig und hat manchen Dichter gereizt; der hochherzige, ritterliche Harold
ist immer ein Lieblingsheld der englischen und auch der deutschen Schrift¬
steller gewesen. Der Zusammenbruch des altenglischen Staatswesens vor dem
Ansturm der normannisch-französischen Eroberer, der heftige Ringkampf der
germanischen und der romanischen Kultur auf englischem Boden, die selt¬
samen Erscheinungen in der Kirche, dem Rittertum und dem Bürgerleben
des elften Jahrhunderts bieten dem Dichter einen unerschöpflichen Stoff.
Aber ein wirkliches Kulturgemäldc des elften Jahrhunderts zu geben, dazu
scheint doch Kingsleys dichterische Kraft nicht ausgereicht zu haben. Er
kommt über den Rahmen und den Ton einer bessern Ritter- und Räuber¬
geschichte nicht hinaus. Ein Abenteuer reiht sich aus andre. Überfälle,
Räubereien, blutige Gemetzel, Klosterbrände, Hexengeschichten und andre auf¬
regende Stoffe ziehen sich ununterbrochen durch zwei Bände. Von Pshcho-
logischer Vertiefung ist nicht viel zu finden. Größere Landschaftsbilder fehlen
vollständig. Die Zeichnung der Figuren ist derb und oft verschwommen.

Der Held des Romans, Herewart, ist der Sohn der Lady Godiva, von
der die Sage geht, sie sei nackt durch die Straßen von Coventry geritten,
um die Stadt vor dem Verderben zu retten. Sie ist eine edle, fromme Frau,
eine Wohlthäterin der Klöster und der Mönche. Umso bitterer empfindet sie
das leichtsinnige Leben Herewards, der seinen Übermut so weit treibt, daß er
mit jungen Spießgesellen die Mönche überfüllt und ausplündert. Aber
Herewart wird verbannt und zieht, von seinem Diener begleitet, in fremde
Lande. Eine Zeit lang lebt er in Schottland, wo er viele Heldenthaten voll¬
bringt und das Leben der schönen Alftrude rettet. Dann zieht er nach Irland
und von dort nach Flandern. In Se. Omer gewinnt er das Herz der
minniglichen Torfrida und vermählt sich mit ihr. Währenddem hat Wilhelm
von der Normandie seinen Zug nach England unternommen, und die Schlacht
bei Hastings macht ihn zum Herrn des Landes. Da eilt Herewart, von
Vaterlandsliebe getrieben, nach England zurück. Eine große Schar sreiheit-
liebender Engländer schließt sich ihm an, und nun beginnen verzweifelte
Kämpfe der Helden, um das fremde Joch wieder abzuschütteln. Aber auch
Herewards letzte Zufluchtsstätte Ely wird schließlich von Wilhelm erobert.
Er führt dann im Bruncswald ein wüstes Räuberleben, verstößt seine Ge¬
mahlin Torfridn und tritt, vou Alftruda verleitet, auf die Seite Wilhelms


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/530>, abgerufen am 24.11.2024.