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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Hauptheld des Romans ist der junge, begabte und lebensfrische Arzt
Tau Thurnall, eine liebenswürdige Gestalt, der Kingsley manche Züge seines
eignen Wesens verliehen hat. Von einem heißen Verlangen getrieben, Welt
und Menschen kennen zu lernen, von keinem andern Glauben erfüllt, als dem
an seine Kraft und sein Glück, ist er fünfzehn Jahre lang in fremden Erd¬
teilen umhergestreift, in Asien, Amerika und Australien. Auf seinen abenteuer¬
lichen Wanderungen hat er die menschliche Natur in jeder Gestalt beobachtet,
von dem Prunk und Pomp des Fürsten herab bis zur Tätowirung der Wilden,
und er hat sich darüber ein klares und praktisches Urteil gebildet. Er hat
alle Gefahren kennen gelernt, die dem Menschen im Kampfe mit der Natur
und seinesgleichen entgegentreten. "Gefahr -- sagt er -- ist ein besserer Schul¬
meister als alle modernen Musteranstalten mit ihren Instrumenten und wissen¬
schaftlichen Apparaten, Nur durch die Gefahr wurden unsre Vorfahren die
Herrscher des Meeres, obgleich sie niemals etwas von populärer Wissenschaft
gehört hatten, und obgleich -- ich darf es wohl behaupten -- kaum einer von
zehn seinen Namen schreiben konnte." Ans seiner Rückreise nach England scheitert
das Schiff. Tom wird ans Land geworfen und von Grace Harveh, der Dorf¬
lehrern" in Aberalva, gerettet. Zwischen Tom und Grace entsteht bald innige
Freundschaft, obgleich beide von ganz Verschiednem Charakter sind. Tom bleibt
als Arzt in Aberalva und tritt, von Grace unterstützt, entschieden für eine
Gesundheitsrefvrm in dem verpesteten Orte auf. Aber er stößt unter den
Fischern auf heftigen Widerstand, bis die gefürchtete Cholera wirklich herein¬
bricht und über die Eigensinnigen und Dummen ein Strafgericht abhält.

In demselben Orte wohnt der Dichter Elseleh Vavasvur, der in lächer¬
licher Eitelkeit seinen wirklichen, nur Tom bekannten Namen John Briggs
abgelegt hat. Er hat sich mit einer Schwester des Lord Skoutbush, des
Besitzers einiger Grundstücke in Aberalva, verheiratet, thraiinisirt aber in
seiner Launenhaftigkeit und krankhaften Eifersucht seine Frau Lucia auf schmäh¬
liche Weise. Lucici ist umso unglücklicher, als sie bemerkt, daß Elseleh ihrer
Schwester Valencia alle die Aufmerksamkeiten zu teil werden läßt, die sie ver¬
gebens von ihm erwartet. Kingsley macht zu diesem Verhältnis die feine
Bemerkung: "Nichts ärgert eine Frau mehr, als wenn ihr Mann Straßen-
cngel und Hausteufel ist; wenn sie sehen muß, wie er gegen jedes Weib, sie
ausgenommen, ein Engel ist, wie er in Gesellschaften immer lächelt und hübsche
Geschichten erzählt und der liebenswürdigste und bescheidenste Mensch ist, dem
man vielleicht gar wegen seiner Liebenswürdigkeit Lobeserhebungen macht;
und wenn sie dabei immer ganz genan weiß, daß er alle schlechte Laune des
Tages aufspart, um sie daheim an ihr auszulasten, vielleicht schon im Wagen,
sobald sie die Thür im Rücken haben. Ihr Heuchler, die ihr seid, wenigstens
einige von euch, meine Herren!"

Das dritte Paar, das in dem Roman eine größere Rolle spielt, ist der


Der Hauptheld des Romans ist der junge, begabte und lebensfrische Arzt
Tau Thurnall, eine liebenswürdige Gestalt, der Kingsley manche Züge seines
eignen Wesens verliehen hat. Von einem heißen Verlangen getrieben, Welt
und Menschen kennen zu lernen, von keinem andern Glauben erfüllt, als dem
an seine Kraft und sein Glück, ist er fünfzehn Jahre lang in fremden Erd¬
teilen umhergestreift, in Asien, Amerika und Australien. Auf seinen abenteuer¬
lichen Wanderungen hat er die menschliche Natur in jeder Gestalt beobachtet,
von dem Prunk und Pomp des Fürsten herab bis zur Tätowirung der Wilden,
und er hat sich darüber ein klares und praktisches Urteil gebildet. Er hat
alle Gefahren kennen gelernt, die dem Menschen im Kampfe mit der Natur
und seinesgleichen entgegentreten. „Gefahr — sagt er — ist ein besserer Schul¬
meister als alle modernen Musteranstalten mit ihren Instrumenten und wissen¬
schaftlichen Apparaten, Nur durch die Gefahr wurden unsre Vorfahren die
Herrscher des Meeres, obgleich sie niemals etwas von populärer Wissenschaft
gehört hatten, und obgleich — ich darf es wohl behaupten — kaum einer von
zehn seinen Namen schreiben konnte." Ans seiner Rückreise nach England scheitert
das Schiff. Tom wird ans Land geworfen und von Grace Harveh, der Dorf¬
lehrern« in Aberalva, gerettet. Zwischen Tom und Grace entsteht bald innige
Freundschaft, obgleich beide von ganz Verschiednem Charakter sind. Tom bleibt
als Arzt in Aberalva und tritt, von Grace unterstützt, entschieden für eine
Gesundheitsrefvrm in dem verpesteten Orte auf. Aber er stößt unter den
Fischern auf heftigen Widerstand, bis die gefürchtete Cholera wirklich herein¬
bricht und über die Eigensinnigen und Dummen ein Strafgericht abhält.

In demselben Orte wohnt der Dichter Elseleh Vavasvur, der in lächer¬
licher Eitelkeit seinen wirklichen, nur Tom bekannten Namen John Briggs
abgelegt hat. Er hat sich mit einer Schwester des Lord Skoutbush, des
Besitzers einiger Grundstücke in Aberalva, verheiratet, thraiinisirt aber in
seiner Launenhaftigkeit und krankhaften Eifersucht seine Frau Lucia auf schmäh¬
liche Weise. Lucici ist umso unglücklicher, als sie bemerkt, daß Elseleh ihrer
Schwester Valencia alle die Aufmerksamkeiten zu teil werden läßt, die sie ver¬
gebens von ihm erwartet. Kingsley macht zu diesem Verhältnis die feine
Bemerkung: „Nichts ärgert eine Frau mehr, als wenn ihr Mann Straßen-
cngel und Hausteufel ist; wenn sie sehen muß, wie er gegen jedes Weib, sie
ausgenommen, ein Engel ist, wie er in Gesellschaften immer lächelt und hübsche
Geschichten erzählt und der liebenswürdigste und bescheidenste Mensch ist, dem
man vielleicht gar wegen seiner Liebenswürdigkeit Lobeserhebungen macht;
und wenn sie dabei immer ganz genan weiß, daß er alle schlechte Laune des
Tages aufspart, um sie daheim an ihr auszulasten, vielleicht schon im Wagen,
sobald sie die Thür im Rücken haben. Ihr Heuchler, die ihr seid, wenigstens
einige von euch, meine Herren!"

Das dritte Paar, das in dem Roman eine größere Rolle spielt, ist der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/528>, abgerufen am 24.11.2024.