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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

daß seine Gemahlin gestorben ist, weil er den Gast sonst abweisen müßte, und
läßt ihn ins Hans führen. Herakles trinkt dort tüchtig, singt und jubelt dabei.
Der ihn bedienende Sklave, betrübt über den Tod der Herrin und außer sich
über die Roheit des Fremden, macht ein finsteres Gesicht. Herakles schilt ihn
einen mürrischen Thoren und belehrt ihn, der Weise nütze den Tag und genieße
das Leben bei Wein und Liebe. Als er dann aber die Wahrheit erfährt, ist
er betrübt über sein unpassendes Benehmen. Die Alten wollten jede Stimmung
rein haben, sich weder die Heiterkeit durch eingemischte ernste Betrachtungen
trüben, noch eine weihevolle und erhabne Stimmung durch Scherz und Ver¬
lockung zum Sinnengenuß entweihen lasse". Shakespeares Art, der seine Trauer¬
spiele mit zotenhaften Späßen durchsetzt, würden sie nicht gebilligt haben.

Dafür verlangte aber der gesunde Sinn der Hellenen Lösung der Span¬
nung, in die das Trauerspiel versetzt, nach dessen Schluß, damit sich weder
lähmende Traurigkeit noch lebensfeindlicher Fanatismus im Gemüte einniste.
Daher folgte auf die tragische Trilogie das Satyrspiel, und wechselten Lust¬
spiele mit Trauerspielen. Nun wieder gescherzt und getanzt! heißes in einem
Chorliede der Frosche, fromm waren wir genug. So denken ja auch unsre
Bauern, wenns nach der Predigt zum Kirmesschinans und Kirmestanz geht,
und unsre "Honoratioren," wenn sie an des Königs oder Großherzogs Ge¬
burtstage die ungewohnte Anstrengung des Festgvttesdienstcs hinter sich und
das Diner vor sich haben. Droysen führt in der Inhaltsangabe des Satyr¬
spiels Amymone (dieses zeigt, wie eine der keuschen Danaiden nachträglich mit
einem Gotte zu Falle kommt) das Wort des Dichters Ion von Chios an,
mit der Tugend verhalte es sich wie mit der Tragödie: das Satyrspiel komme
unvermeidlich hinterdrein. Man wird an diese griechische Art, die eigentlich
die Art des vollkommnen und gesunden Meuscheu ist, erinnert, wenn man die
Schilderung liest, die E. M. Arndt vom alten Blücher entwirft: "Am meisten
machte sein Gesicht erstaunen. Es hatte zwei verschiedne Welten, die selbst bei
Scherz und Spaß, welchem er sich ganz frisch und soldatisch mit jedem ergab,
ihre Farbe nicht wechselten: auf Stiru, Nase und in den Augen konnten Götter,
wohnen; um Kinn und Mund trieben die gewöhnlichen Sterblichen ihr Wesen."

Fanden sich schon die Hellenen bewogen,' Kinder und Jungfrauen vom
Genusse der erotischen Komik auszuschließen, so hat dann später die Reflexion,
namentlich unter dem Einflüsse des Christentums, diese Art Scherz überhaupt
bedenklich gefunden, weil dadurch doch auch der Mann und die Frau zur
Sünde gereizt werden könnten, und weil dergleichen, sobald es überhaupt er¬
laubt wird, doch gewöhnlich auch vor Kindern und Jungfrauen nicht verborgen
bleibt. Wenn der Nerfasfer des Ephesierbricfes (Kapitel 5 Vers 4) nicht allein
die unzüchtige Rede (""//^ri^-), sondern auch die das alberne
Geschwätz, und den witzigen Scherz (co^"??.'e/t,t") verpönt, so müssen wir be¬
denken, daß die Apostel, ganz und gar mit ihrer heiligen Aufgabe erfüllt, ein


Die ätherische Volksmoral im Drama

daß seine Gemahlin gestorben ist, weil er den Gast sonst abweisen müßte, und
läßt ihn ins Hans führen. Herakles trinkt dort tüchtig, singt und jubelt dabei.
Der ihn bedienende Sklave, betrübt über den Tod der Herrin und außer sich
über die Roheit des Fremden, macht ein finsteres Gesicht. Herakles schilt ihn
einen mürrischen Thoren und belehrt ihn, der Weise nütze den Tag und genieße
das Leben bei Wein und Liebe. Als er dann aber die Wahrheit erfährt, ist
er betrübt über sein unpassendes Benehmen. Die Alten wollten jede Stimmung
rein haben, sich weder die Heiterkeit durch eingemischte ernste Betrachtungen
trüben, noch eine weihevolle und erhabne Stimmung durch Scherz und Ver¬
lockung zum Sinnengenuß entweihen lasse». Shakespeares Art, der seine Trauer¬
spiele mit zotenhaften Späßen durchsetzt, würden sie nicht gebilligt haben.

Dafür verlangte aber der gesunde Sinn der Hellenen Lösung der Span¬
nung, in die das Trauerspiel versetzt, nach dessen Schluß, damit sich weder
lähmende Traurigkeit noch lebensfeindlicher Fanatismus im Gemüte einniste.
Daher folgte auf die tragische Trilogie das Satyrspiel, und wechselten Lust¬
spiele mit Trauerspielen. Nun wieder gescherzt und getanzt! heißes in einem
Chorliede der Frosche, fromm waren wir genug. So denken ja auch unsre
Bauern, wenns nach der Predigt zum Kirmesschinans und Kirmestanz geht,
und unsre „Honoratioren," wenn sie an des Königs oder Großherzogs Ge¬
burtstage die ungewohnte Anstrengung des Festgvttesdienstcs hinter sich und
das Diner vor sich haben. Droysen führt in der Inhaltsangabe des Satyr¬
spiels Amymone (dieses zeigt, wie eine der keuschen Danaiden nachträglich mit
einem Gotte zu Falle kommt) das Wort des Dichters Ion von Chios an,
mit der Tugend verhalte es sich wie mit der Tragödie: das Satyrspiel komme
unvermeidlich hinterdrein. Man wird an diese griechische Art, die eigentlich
die Art des vollkommnen und gesunden Meuscheu ist, erinnert, wenn man die
Schilderung liest, die E. M. Arndt vom alten Blücher entwirft: „Am meisten
machte sein Gesicht erstaunen. Es hatte zwei verschiedne Welten, die selbst bei
Scherz und Spaß, welchem er sich ganz frisch und soldatisch mit jedem ergab,
ihre Farbe nicht wechselten: auf Stiru, Nase und in den Augen konnten Götter,
wohnen; um Kinn und Mund trieben die gewöhnlichen Sterblichen ihr Wesen."

Fanden sich schon die Hellenen bewogen,' Kinder und Jungfrauen vom
Genusse der erotischen Komik auszuschließen, so hat dann später die Reflexion,
namentlich unter dem Einflüsse des Christentums, diese Art Scherz überhaupt
bedenklich gefunden, weil dadurch doch auch der Mann und die Frau zur
Sünde gereizt werden könnten, und weil dergleichen, sobald es überhaupt er¬
laubt wird, doch gewöhnlich auch vor Kindern und Jungfrauen nicht verborgen
bleibt. Wenn der Nerfasfer des Ephesierbricfes (Kapitel 5 Vers 4) nicht allein
die unzüchtige Rede (««//^ri^-), sondern auch die das alberne
Geschwätz, und den witzigen Scherz (co^«??.'e/t,t«) verpönt, so müssen wir be¬
denken, daß die Apostel, ganz und gar mit ihrer heiligen Aufgabe erfüllt, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/512>, abgerufen am 28.07.2024.