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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Westen

Treppenläufer, die Teppiche sind, um in Färbung und Muster zur Anlage
des Ganzen zu passen, besonders gewebt, kurz, es ist alles aus einem Guß
und nach großartigem Zuschnitt hergestellt, wie es von dem schaffenden Geiste
des Baumeisters ersonnen war. Was aber gar nicht dazu paßt, das sind die
Menschen darin. Der Herr des Ganzen, ein Millionär, dessen Platz vor dem
prächtigen Nußbaumschreilüisch, im Bibliothekzimmer oder vor dem gewal¬
tigen Marmorkamin oder in dem prunkenden Eßzimmer im großen Ahn¬
herrnstuhl mit hoher gotischer Lehne gedacht war, er sitzt entweder oder
steht beim Frühstück in dem Stübchen unten neben der Küche, denn das
Eßzimmer ist ja nur zum Staate da, oder er hustete sich etwas in der Remise
oder im Garten zurecht, denn Gärtner und Kutscher sind gerade nicht vor¬
handen, oder er kommt höchstselbst mit einem Handkorb vom Markte nach
Hause, denn dein Mädchen kann man nicht trauen, oder er schaufelt eigen¬
händig im Winter den Schnee vor seiner Thür weg, statt ein Buch zu
lesen, denn Körpcrübung ist gesünder, Arbeit schändet nicht, und der Haus¬
knecht hat sich gerade wieder einmal seit einigen Tagen unsichtbar gemacht.
Dabei hat dieser Herr des Ganzen, früher vielleicht ein ehrsamer Handwerker,
nun Börsenspekulant und Politiker, jetzt eine wichtige politische Zeitung unter
sich, die er uicht liest, weil er sie nicht versteht, für die er nur Redakteure
u. s. w. besoldet. Was ihn aber beschäftigt, das ist das persönliche Eintreiben
des Mietzinses in seinen Miethäusern, das Eintreiben der versprvchnen Stimm¬
gelder von den in seiner Zeitung unterstützten Wahlkandidaten, das Lesen der
Kurslisten, das spekuliren in ?ropsrt^, in Grundstücken, denn das ist Ge¬
schäft, dafür lebt und stirbt er, "da liegt doch etwas drin" -- nämlich Geld.
Gilt es, so etwas zu thun, so ist er jederzeit bereit, alles stehen und liegen
zu lassen und sein Bnggh selbst anzuschirren.

Das Leben der Familie bewegt sich zwischen Küche, Eßstübchen und
Schlafzimmer und im Sommer auf der Veranda, wo man sich auf den
Schaukelstühlen wiegt. Die Prunkzimmer sind meist verschlossen, und da selten
oder nie Gesellschaft gegeben wird, weiß die Familie, wenn sie gefragt wird,
wozu denn das alles dn sei, nichts zu erwidern, als: "Das erfordert der Stil,
das muß bei seinen Leuten nun einmal so sein." Vernünftiger sind da doch
noch die Leute, die ihre hohlen Pianinos aufklappe" und Wäsche hineinlegen oder
ihre Prunkschränke und Klaviere auseinander falten und darin schlafen. Dann
kommen doch wenigstens die größern Räumlichkeiten noch zur Geltung. Es
giebt hier große Möbelfabriken, von denen nicht nur derartige Aufklappmöbel,
Pseudopiauos und Psendoschränke gefertigt, sondern auch ganze Bibliothek¬
zimmer nach der Elle mit Inhalt versehen, ja sogar Ahnenbilder ans Bestellung
geliefert werden; man nennt europäische Geschäfte, die mit solchen Bildern in
den letzten Jahrzehnten einen schwunghaften Handel betrieben haben sollen.

Außer dieser Shoddh-Aristokratie giebt es natürlich auch wahrhaft vor-


Bilder aus dem Westen

Treppenläufer, die Teppiche sind, um in Färbung und Muster zur Anlage
des Ganzen zu passen, besonders gewebt, kurz, es ist alles aus einem Guß
und nach großartigem Zuschnitt hergestellt, wie es von dem schaffenden Geiste
des Baumeisters ersonnen war. Was aber gar nicht dazu paßt, das sind die
Menschen darin. Der Herr des Ganzen, ein Millionär, dessen Platz vor dem
prächtigen Nußbaumschreilüisch, im Bibliothekzimmer oder vor dem gewal¬
tigen Marmorkamin oder in dem prunkenden Eßzimmer im großen Ahn¬
herrnstuhl mit hoher gotischer Lehne gedacht war, er sitzt entweder oder
steht beim Frühstück in dem Stübchen unten neben der Küche, denn das
Eßzimmer ist ja nur zum Staate da, oder er hustete sich etwas in der Remise
oder im Garten zurecht, denn Gärtner und Kutscher sind gerade nicht vor¬
handen, oder er kommt höchstselbst mit einem Handkorb vom Markte nach
Hause, denn dein Mädchen kann man nicht trauen, oder er schaufelt eigen¬
händig im Winter den Schnee vor seiner Thür weg, statt ein Buch zu
lesen, denn Körpcrübung ist gesünder, Arbeit schändet nicht, und der Haus¬
knecht hat sich gerade wieder einmal seit einigen Tagen unsichtbar gemacht.
Dabei hat dieser Herr des Ganzen, früher vielleicht ein ehrsamer Handwerker,
nun Börsenspekulant und Politiker, jetzt eine wichtige politische Zeitung unter
sich, die er uicht liest, weil er sie nicht versteht, für die er nur Redakteure
u. s. w. besoldet. Was ihn aber beschäftigt, das ist das persönliche Eintreiben
des Mietzinses in seinen Miethäusern, das Eintreiben der versprvchnen Stimm¬
gelder von den in seiner Zeitung unterstützten Wahlkandidaten, das Lesen der
Kurslisten, das spekuliren in ?ropsrt^, in Grundstücken, denn das ist Ge¬
schäft, dafür lebt und stirbt er, „da liegt doch etwas drin" — nämlich Geld.
Gilt es, so etwas zu thun, so ist er jederzeit bereit, alles stehen und liegen
zu lassen und sein Bnggh selbst anzuschirren.

Das Leben der Familie bewegt sich zwischen Küche, Eßstübchen und
Schlafzimmer und im Sommer auf der Veranda, wo man sich auf den
Schaukelstühlen wiegt. Die Prunkzimmer sind meist verschlossen, und da selten
oder nie Gesellschaft gegeben wird, weiß die Familie, wenn sie gefragt wird,
wozu denn das alles dn sei, nichts zu erwidern, als: „Das erfordert der Stil,
das muß bei seinen Leuten nun einmal so sein." Vernünftiger sind da doch
noch die Leute, die ihre hohlen Pianinos aufklappe» und Wäsche hineinlegen oder
ihre Prunkschränke und Klaviere auseinander falten und darin schlafen. Dann
kommen doch wenigstens die größern Räumlichkeiten noch zur Geltung. Es
giebt hier große Möbelfabriken, von denen nicht nur derartige Aufklappmöbel,
Pseudopiauos und Psendoschränke gefertigt, sondern auch ganze Bibliothek¬
zimmer nach der Elle mit Inhalt versehen, ja sogar Ahnenbilder ans Bestellung
geliefert werden; man nennt europäische Geschäfte, die mit solchen Bildern in
den letzten Jahrzehnten einen schwunghaften Handel betrieben haben sollen.

Außer dieser Shoddh-Aristokratie giebt es natürlich auch wahrhaft vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/51>, abgerufen am 23.11.2024.