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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Klasscnboweguiig und Nationalitätenpolitik in Österreich

Gerichtsbezirke Österreichs zusammen mit ihren 6 764000 Einwohnern, die un¬
gemischt nordslawischcn (tschechischen) Gebiete mit 4885000 Einwohnern, die
gemischtsprachigen deutsch-tschechischen Bezirke mit 1333000, ferner die slo¬
wenischen mit 930000, die deutsch-slowenischen mit 135 000, die italienischen
Bezirke in Tirol mit 354000 und als siebentes Glied die südslawisch-italienischen
Bezirke mit 610000 Einwohnern. Dann legt er die Sonde an die statistischen
Daten dieser Volksteile und untersucht sie nach dem Überschuß der Ge¬
burten, nach der Häufigkeit der Eheschließungen und nach allen übrigen
Arten der Bevölkerungsbewegung. Dabei muß aber gleich erwähnt werden,
daß Hainisch gut gethan hätte, die deutscheu Gebiete von vornherein in die
zwei Gruppen zu teile": Sudcteulüuder und Donaualpengebiete. Denn volks¬
wirtschaftlich besteht zwischen diesen Gebieten ein Unterschied, der mindestens
ebenso scharf ist, wie der zwischen Tschechen und Slowenen. Nur denn
ist der Vergleich zwischen den Deutschen und den Slawen Österreichs voll¬
ständig, wenn er von der besondern Gegenüberstellung der Dentschböhmen
und der Tschechen ausgeht. Man darf, um die Lebenskraft der Deutschen
richtig zu bemessen, nur die Bevölkerungsbewegung in Deutschböhmen und
Dentschmähren mit der der Tschechen vergleichen. Die dünner bevölkerten
Alpenthäler unterliegen eignen Gesetzen. Hainisch giebt zwar überall mit dankens¬
werter Gewissenhaftigkeit dem Leser das Material auch zur Betrachtung dieser
Dinge, er stellt diese Scheidung in den spätern Kapiteln seines Buches oft in
den Vordergrund, er baut auf ihr eine Reihe seiner einleuchtendsten Sätze auf,
aber er stellt sie doch in dem Abschnitt über die Bevölkerungsbeiveguug etwas
zurück. Ein Beispiel für viele: es ist eine oft beklagte Thatsache, daß sich die
Tschechen stärker vermehren als die Deutschen Österreichs, und man ist geneigt,
daraus den Schluß zu ziehen, daß die Deutschen notwendigerweise zurückgedrängt
werden müssen. Aber die letzte Volkszählung von 1890 hat im Vergleich zu
der vou 1880 gezeigt, daß in Böhmen von einer solchen Zurückdrängung gar
nicht die Rede ist, da sich die deutsche Bevölkerung dieses Landes doch um
den Bruchteil eines Prozents stärker vermehrt hat als die tschechische. Hainischs
Buch wäre ganz vollständig, wenn es diese Unterscheidungen vorgenommen hätte.
Wer nicht die Dentschböhmen und die Dcutschmährcn mit den Tschechen, sondern
alle Deutsche" Österreichs mit den Slawen vergleicht, muß notwendigerweise
zu pessimistischer!! Schlüssen kommen, als gerechtfertigt ist. Denn gerade die
Deutschböhmen sind das Rückgrat ihres Volksstammes in Österreich; auf ihre
geistige, politische und volkswirtschaftliche Gesundheit ist die Zukunft Öster¬
reichs gestellt. Eine Slawisirnng des Douauthals ist nicht zu befürchten, trotz
des Einbruchs tschechischer Handwerker- und Arbeitermassen in Wien. Aber
der Kampf der zwei Millionen Dentschböhmen in ihrem langgestreckten Volks¬
gebiete könnte mit ihrer Zerreißung und Knechtung endigen, wenn sie nicht
mutig und wachsam bleiben, und wenn sich nicht, wie sich der ehemalige jung-


Klasscnboweguiig und Nationalitätenpolitik in Österreich

Gerichtsbezirke Österreichs zusammen mit ihren 6 764000 Einwohnern, die un¬
gemischt nordslawischcn (tschechischen) Gebiete mit 4885000 Einwohnern, die
gemischtsprachigen deutsch-tschechischen Bezirke mit 1333000, ferner die slo¬
wenischen mit 930000, die deutsch-slowenischen mit 135 000, die italienischen
Bezirke in Tirol mit 354000 und als siebentes Glied die südslawisch-italienischen
Bezirke mit 610000 Einwohnern. Dann legt er die Sonde an die statistischen
Daten dieser Volksteile und untersucht sie nach dem Überschuß der Ge¬
burten, nach der Häufigkeit der Eheschließungen und nach allen übrigen
Arten der Bevölkerungsbewegung. Dabei muß aber gleich erwähnt werden,
daß Hainisch gut gethan hätte, die deutscheu Gebiete von vornherein in die
zwei Gruppen zu teile«: Sudcteulüuder und Donaualpengebiete. Denn volks¬
wirtschaftlich besteht zwischen diesen Gebieten ein Unterschied, der mindestens
ebenso scharf ist, wie der zwischen Tschechen und Slowenen. Nur denn
ist der Vergleich zwischen den Deutschen und den Slawen Österreichs voll¬
ständig, wenn er von der besondern Gegenüberstellung der Dentschböhmen
und der Tschechen ausgeht. Man darf, um die Lebenskraft der Deutschen
richtig zu bemessen, nur die Bevölkerungsbewegung in Deutschböhmen und
Dentschmähren mit der der Tschechen vergleichen. Die dünner bevölkerten
Alpenthäler unterliegen eignen Gesetzen. Hainisch giebt zwar überall mit dankens¬
werter Gewissenhaftigkeit dem Leser das Material auch zur Betrachtung dieser
Dinge, er stellt diese Scheidung in den spätern Kapiteln seines Buches oft in
den Vordergrund, er baut auf ihr eine Reihe seiner einleuchtendsten Sätze auf,
aber er stellt sie doch in dem Abschnitt über die Bevölkerungsbeiveguug etwas
zurück. Ein Beispiel für viele: es ist eine oft beklagte Thatsache, daß sich die
Tschechen stärker vermehren als die Deutschen Österreichs, und man ist geneigt,
daraus den Schluß zu ziehen, daß die Deutschen notwendigerweise zurückgedrängt
werden müssen. Aber die letzte Volkszählung von 1890 hat im Vergleich zu
der vou 1880 gezeigt, daß in Böhmen von einer solchen Zurückdrängung gar
nicht die Rede ist, da sich die deutsche Bevölkerung dieses Landes doch um
den Bruchteil eines Prozents stärker vermehrt hat als die tschechische. Hainischs
Buch wäre ganz vollständig, wenn es diese Unterscheidungen vorgenommen hätte.
Wer nicht die Dentschböhmen und die Dcutschmährcn mit den Tschechen, sondern
alle Deutsche» Österreichs mit den Slawen vergleicht, muß notwendigerweise
zu pessimistischer!! Schlüssen kommen, als gerechtfertigt ist. Denn gerade die
Deutschböhmen sind das Rückgrat ihres Volksstammes in Österreich; auf ihre
geistige, politische und volkswirtschaftliche Gesundheit ist die Zukunft Öster¬
reichs gestellt. Eine Slawisirnng des Douauthals ist nicht zu befürchten, trotz
des Einbruchs tschechischer Handwerker- und Arbeitermassen in Wien. Aber
der Kampf der zwei Millionen Dentschböhmen in ihrem langgestreckten Volks¬
gebiete könnte mit ihrer Zerreißung und Knechtung endigen, wenn sie nicht
mutig und wachsam bleiben, und wenn sich nicht, wie sich der ehemalige jung-


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[0502] Klasscnboweguiig und Nationalitätenpolitik in Österreich Gerichtsbezirke Österreichs zusammen mit ihren 6 764000 Einwohnern, die un¬ gemischt nordslawischcn (tschechischen) Gebiete mit 4885000 Einwohnern, die gemischtsprachigen deutsch-tschechischen Bezirke mit 1333000, ferner die slo¬ wenischen mit 930000, die deutsch-slowenischen mit 135 000, die italienischen Bezirke in Tirol mit 354000 und als siebentes Glied die südslawisch-italienischen Bezirke mit 610000 Einwohnern. Dann legt er die Sonde an die statistischen Daten dieser Volksteile und untersucht sie nach dem Überschuß der Ge¬ burten, nach der Häufigkeit der Eheschließungen und nach allen übrigen Arten der Bevölkerungsbewegung. Dabei muß aber gleich erwähnt werden, daß Hainisch gut gethan hätte, die deutscheu Gebiete von vornherein in die zwei Gruppen zu teile«: Sudcteulüuder und Donaualpengebiete. Denn volks¬ wirtschaftlich besteht zwischen diesen Gebieten ein Unterschied, der mindestens ebenso scharf ist, wie der zwischen Tschechen und Slowenen. Nur denn ist der Vergleich zwischen den Deutschen und den Slawen Österreichs voll¬ ständig, wenn er von der besondern Gegenüberstellung der Dentschböhmen und der Tschechen ausgeht. Man darf, um die Lebenskraft der Deutschen richtig zu bemessen, nur die Bevölkerungsbewegung in Deutschböhmen und Dentschmähren mit der der Tschechen vergleichen. Die dünner bevölkerten Alpenthäler unterliegen eignen Gesetzen. Hainisch giebt zwar überall mit dankens¬ werter Gewissenhaftigkeit dem Leser das Material auch zur Betrachtung dieser Dinge, er stellt diese Scheidung in den spätern Kapiteln seines Buches oft in den Vordergrund, er baut auf ihr eine Reihe seiner einleuchtendsten Sätze auf, aber er stellt sie doch in dem Abschnitt über die Bevölkerungsbeiveguug etwas zurück. Ein Beispiel für viele: es ist eine oft beklagte Thatsache, daß sich die Tschechen stärker vermehren als die Deutschen Österreichs, und man ist geneigt, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Deutschen notwendigerweise zurückgedrängt werden müssen. Aber die letzte Volkszählung von 1890 hat im Vergleich zu der vou 1880 gezeigt, daß in Böhmen von einer solchen Zurückdrängung gar nicht die Rede ist, da sich die deutsche Bevölkerung dieses Landes doch um den Bruchteil eines Prozents stärker vermehrt hat als die tschechische. Hainischs Buch wäre ganz vollständig, wenn es diese Unterscheidungen vorgenommen hätte. Wer nicht die Dentschböhmen und die Dcutschmährcn mit den Tschechen, sondern alle Deutsche» Österreichs mit den Slawen vergleicht, muß notwendigerweise zu pessimistischer!! Schlüssen kommen, als gerechtfertigt ist. Denn gerade die Deutschböhmen sind das Rückgrat ihres Volksstammes in Österreich; auf ihre geistige, politische und volkswirtschaftliche Gesundheit ist die Zukunft Öster¬ reichs gestellt. Eine Slawisirnng des Douauthals ist nicht zu befürchten, trotz des Einbruchs tschechischer Handwerker- und Arbeitermassen in Wien. Aber der Kampf der zwei Millionen Dentschböhmen in ihrem langgestreckten Volks¬ gebiete könnte mit ihrer Zerreißung und Knechtung endigen, wenn sie nicht mutig und wachsam bleiben, und wenn sich nicht, wie sich der ehemalige jung-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/502>, abgerufen am 25.11.2024.