Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Walten der göttlichen Ordnung bezwecken. Die Überhandnähme der Ehelosigkeit Maßgebliches und Unmaßgebliches Walten der göttlichen Ordnung bezwecken. Die Überhandnähme der Ehelosigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215572"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1686" prev="#ID_1685" next="#ID_1687"> Walten der göttlichen Ordnung bezwecken. Die Überhandnähme der Ehelosigkeit<lb/> und der Ehescheidungen beweist nicht, daß sich die Ehe überlebt but, sondern daß<lb/> sich die Verhältnisse verschlechtert haben, die die Führung einer Ehe begünstigen,<lb/> und die Kraft, der Verhältnisse Herr zu werden, augenblicklich gering geworden ist.<lb/> Ein andres festes Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung ist die Her(!)ansbildnng<lb/> einer gleichberechtigten weiblichen Individualität. Individualisirung und Arbeits¬<lb/> teilung ist ja überhaupt das Geheimnis des Weltfortschritts. Es wäre demnach<lb/> ein Rückschritt, wollten wir die Frauen wieder zu Männern machen, wollten wir<lb/> ihnen dieselbe Erziehung und dieselben Thätigkeitsgebiete wie den Männern geben."<lb/> Aus dieser Anschauung darf man aber nicht etwa folgern, daß der Verfasser zu<lb/> denen gehöre, die beide Geschlechter in der Geselligkeit von einander absondern<lb/> und den Beruf des Weibes auf die Hauswirtschaft beschränken wollen. Im Gegen¬<lb/> teil wünscht er, daß das Spiel von Kindheit um, edle Geselligkeit Jünglinge und<lb/> Jungfrauen, Männer und Frauen vereinige, und daß eine gediegne Ausbildung<lb/> das Weib sowohl zur würdigen Gefährtin des Mannes, wie in dem Falle, daß<lb/> sie ledig bleibt, zur Behauptung ihrer Selbständigkeit geschickt mache. Von der<lb/> Gesetzgebung fordert er kräftige Eingriffe in die bestehenden Rechtsverhältnisse zu<lb/> Gunsten der Frauen. Z. B. müßte bestimmt werden, „daß dem Weibe rechtlich<lb/> die Hälfte von dem Verdienste des Mannes gehört"; das Altersversorgungsgesetz<lb/> sei dahin zu verbessern, „daß im Falle frühern Todes des Gatten die hinterlassene<lb/> Witwe eine im Verhältnis zu den gezählten Beiträgen stehende Rente erhalt" u. s. w.<lb/> Da Kvtzschke uicht bloß dem Optimismus im christlichen Sinne, sondern auch dem<lb/> — wie er heute heißt — evolutionistischen Optimismus huldigt, daher an einen<lb/> stetigen Fortschritt der Sittlichkeit glaubt, so hält er auch die Ausrottung der Pro¬<lb/> stitution für möglich und fordert, daß sowohl die Ausübung dieses Gewerbes als<lb/> auch der Besuch von Prostituirten verboten und bestraft werde, gleichzeitig aber<lb/> verlangt er auch, daß der Staat wenigstens die von ihm selbst geschaffnen Hinder¬<lb/> nisse rechtzeitiger Verehelichung beseitige. — Die andre Schrift: Frauenerwerb<lb/> von Paul Dobert (Leipzig, Adalbert Fischer) läßt sich auf grundsätzliche Erwä¬<lb/> gungen und Zukunftspläne nicht ein, sondern dient lediglich den Bedürfnissen des<lb/> Augenblicks, indem sie die beiden Fragen beantwortet: Was können unsre Töchter<lb/> werden? Wo und wie erwerben sie die notwendigen Kenntnisse? Der Verfasser<lb/> geht alle weiblichen Berufsarten durch, bespricht die Aussichten, die jede eröffnet,<lb/> beschreibt den Gang der Ausbildung, zählt die Lehranstalten auf, giebt die Be-<lb/> dingungen der Aufnahme an, die Kosten und was sonst dazu gehört. Darin<lb/> scheinen heute die Theoretiker der verschiedensten Richtungen unter einander und<lb/> mit deu verständigen Familienvätern übereinzukommen, daß es ratsam sei, jedes<lb/> Mädchen ohne Rücksicht ans die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer spätern<lb/> Verehelichung für einen bestimmten Erwerbszweig auszubilden, und daß diese Aus¬<lb/> bildung die Tüchtigkeit für deu Hausfrauenberuf nicht vermindere, sondern ver¬<lb/> mehre. — Diesen Standpunkt nimmt auch der Verfasser der dritten Schrift ein:<lb/> Nils Hertzberg, Der Beruf der Frau und ihre Stellung in der modernen<lb/> Gesellschaft. Nach or, O. Reyhers deutscher Übersetzung bearbeitet von Julius<lb/> Werner, evangelischer (scher!) Pfarrer (Leipzig, Peter Hobbing, 1892), der sich<lb/> aber trotzdem sehr entschieden gegen die Emanzipationsbewegung ausspricht. „Ihre<lb/> Grundsätze — sagt er von deren Anhängern — sind verkehrt, ihre Kritik über¬<lb/> trieben, ihre weitgehendsten Forderungen unausführbar, utopisch." Gleichwohl<lb/> dürfe matt die Berechtigung eines Teiles ihrer Forderungen nicht verkennen. Aber<lb/> daran hält er fest, daß die Eigentümlichkeit der weiblichen Natur den Frauen den</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Walten der göttlichen Ordnung bezwecken. Die Überhandnähme der Ehelosigkeit
und der Ehescheidungen beweist nicht, daß sich die Ehe überlebt but, sondern daß
sich die Verhältnisse verschlechtert haben, die die Führung einer Ehe begünstigen,
und die Kraft, der Verhältnisse Herr zu werden, augenblicklich gering geworden ist.
Ein andres festes Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung ist die Her(!)ansbildnng
einer gleichberechtigten weiblichen Individualität. Individualisirung und Arbeits¬
teilung ist ja überhaupt das Geheimnis des Weltfortschritts. Es wäre demnach
ein Rückschritt, wollten wir die Frauen wieder zu Männern machen, wollten wir
ihnen dieselbe Erziehung und dieselben Thätigkeitsgebiete wie den Männern geben."
Aus dieser Anschauung darf man aber nicht etwa folgern, daß der Verfasser zu
denen gehöre, die beide Geschlechter in der Geselligkeit von einander absondern
und den Beruf des Weibes auf die Hauswirtschaft beschränken wollen. Im Gegen¬
teil wünscht er, daß das Spiel von Kindheit um, edle Geselligkeit Jünglinge und
Jungfrauen, Männer und Frauen vereinige, und daß eine gediegne Ausbildung
das Weib sowohl zur würdigen Gefährtin des Mannes, wie in dem Falle, daß
sie ledig bleibt, zur Behauptung ihrer Selbständigkeit geschickt mache. Von der
Gesetzgebung fordert er kräftige Eingriffe in die bestehenden Rechtsverhältnisse zu
Gunsten der Frauen. Z. B. müßte bestimmt werden, „daß dem Weibe rechtlich
die Hälfte von dem Verdienste des Mannes gehört"; das Altersversorgungsgesetz
sei dahin zu verbessern, „daß im Falle frühern Todes des Gatten die hinterlassene
Witwe eine im Verhältnis zu den gezählten Beiträgen stehende Rente erhalt" u. s. w.
Da Kvtzschke uicht bloß dem Optimismus im christlichen Sinne, sondern auch dem
— wie er heute heißt — evolutionistischen Optimismus huldigt, daher an einen
stetigen Fortschritt der Sittlichkeit glaubt, so hält er auch die Ausrottung der Pro¬
stitution für möglich und fordert, daß sowohl die Ausübung dieses Gewerbes als
auch der Besuch von Prostituirten verboten und bestraft werde, gleichzeitig aber
verlangt er auch, daß der Staat wenigstens die von ihm selbst geschaffnen Hinder¬
nisse rechtzeitiger Verehelichung beseitige. — Die andre Schrift: Frauenerwerb
von Paul Dobert (Leipzig, Adalbert Fischer) läßt sich auf grundsätzliche Erwä¬
gungen und Zukunftspläne nicht ein, sondern dient lediglich den Bedürfnissen des
Augenblicks, indem sie die beiden Fragen beantwortet: Was können unsre Töchter
werden? Wo und wie erwerben sie die notwendigen Kenntnisse? Der Verfasser
geht alle weiblichen Berufsarten durch, bespricht die Aussichten, die jede eröffnet,
beschreibt den Gang der Ausbildung, zählt die Lehranstalten auf, giebt die Be-
dingungen der Aufnahme an, die Kosten und was sonst dazu gehört. Darin
scheinen heute die Theoretiker der verschiedensten Richtungen unter einander und
mit deu verständigen Familienvätern übereinzukommen, daß es ratsam sei, jedes
Mädchen ohne Rücksicht ans die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer spätern
Verehelichung für einen bestimmten Erwerbszweig auszubilden, und daß diese Aus¬
bildung die Tüchtigkeit für deu Hausfrauenberuf nicht vermindere, sondern ver¬
mehre. — Diesen Standpunkt nimmt auch der Verfasser der dritten Schrift ein:
Nils Hertzberg, Der Beruf der Frau und ihre Stellung in der modernen
Gesellschaft. Nach or, O. Reyhers deutscher Übersetzung bearbeitet von Julius
Werner, evangelischer (scher!) Pfarrer (Leipzig, Peter Hobbing, 1892), der sich
aber trotzdem sehr entschieden gegen die Emanzipationsbewegung ausspricht. „Ihre
Grundsätze — sagt er von deren Anhängern — sind verkehrt, ihre Kritik über¬
trieben, ihre weitgehendsten Forderungen unausführbar, utopisch." Gleichwohl
dürfe matt die Berechtigung eines Teiles ihrer Forderungen nicht verkennen. Aber
daran hält er fest, daß die Eigentümlichkeit der weiblichen Natur den Frauen den
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