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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

rechter zwischen Industrie und Fischerei verteilten/' etwa wie es in Baden längst
geschehen sei, oder in dem von seelig mitgeteilten Artikel 6 des schweizerisch-
sranzösischen Vertrags von 1830 über die Fischerei im Genfer See vorgesehen
werde. Dieser bestimmt nämlich- "Es ist den Fabriken, Werkstätten und irgend
andern in der Nähe des Sees befindlichen Unternehmungen verboten, ihre Rück¬
stände oder den Fischen schädliche Stoffe in das Wasser abzulassen. Diese Etablisse¬
ments sind gehalten, auf ihre Kosten die Ableitung in den Boden zu regeln."

Wie schwer es wird, gegenüber der verhätschelten Industrie auch nur die
Gleichberechtigung in dem Bereiche der Volkswirtschaft zu erringen, das zeigten u. a.
auch die Schwierigkeiten, die achselzuckende Verurteilung und die Gehässigkeit, mit
denen der uenentstandne "Bund der Landwirte" so vielfach zu kämpfen hat. Mag
man über ihn und seine Ziele denken, wie man will, sogar das Entstehen einer
neuen Kampfvereinigung wirtschaftlicher, aber stark ins Politische hinüberspielenden
Richtung bedauern, das wird sich nicht bestreikn lassen, daß die Landwirte nur
nach dem berühmten Vorbilde andrer wirtschaftlicher Ringe vorgehen und sich
nicht mit dem "Ja, Bauer, das ist ganz ein anders" einschüchtern lassen möchten.

Aber die Industrie ist nun einmal das Schoßkind unsrer Zeit, und dem ver¬
zeiht man bekanntlich viele Unart und Sünde, ehe mau zur scharfen Rute greift.
Es geht mit dem naiven Glauben an sie nicht besser, als früher mit dem Aber¬
glauben an die alleinige Nichtigkeit des Merkantilsystems. Sie hat das Handwerk
untergraben dürfen und sogar das Kunsthandwerk durch ihre billigen Flitter- und
Schundwaren gefährde" dürfen, das platte Land entvölkern, die Lust verpesten, die
Gewässer für Menschen und Tiere widerlich machen, ihre Arbeiter ohne Gnadenbrod
in alten und kranken Tagen auf die Straße setzen, den billigen Verkauf ins Aus¬
land im Znlande durch Monopolpreise wiedereinbringen, die Bevölkerung der arbei¬
tenden Klassen, Kinder, Frauen und Männer, phhsisch und moralisch verderben und
sie dem Irrwahn verfallen lassen, als ob unsre ganze Rechtsordnung in dem ver¬
haßten neuen Jndnstrierechte nufgeh, die öffentliche Sicherheit dnrch Streiks und
Umsturzbestrebung in Zweifel stellen. Sie hat die Armenlasten ius Ungemessene
steigern dürfen, um nur recht billig produziren zu können und einige, nicht einmal
viele, reich werden zu lassen.

Das Sündenregister der Industrie könnte noch vergrößert werden. Dennoch
soll mit Entwerfung dieses Negativbildes nicht etwa einer einseitigen, der Industrie
feindlichen Anschauung das Wort geredet sein. Will man sich aber einmal recht
klar macheu, daß auch wirtschaftlich die Lösung sein muß, was das römische Recht
dem Teiluugsrichter vorschrieb: (iuvat cmmibns utilissimnm v8t, ssaui vouveuit, so
darf man um den dunkeln Seiten der Judustrieentwicklung uicht leichten Herzens
vorübergehen und immer nnr ans die Reichtümer hinweisen, die sie ins Land ge¬
bracht hat. Sie sind nicht nur mit Schweiß, sondern auch mit Blut erkauft, und
neben dem Arbeiterschutz- und Versicheruugsrecht stehen noch andre Aufgaben der
ausgleichenden Gerechtigkeit!


Zur Frauenfrage.

Unter den in der letzten Zeit über den Gegenstaud
erschienenen Schriften scheinen uns besonders drei beachtenswert. Die eine ist
gegen Bebels Buch gerichtet, dessen Vorzüge aber anerkannt werden: Der christ¬
liche Standpunkt in der Frauenfrage. Von Hermann Kötzschke. (Leipzig,
Reinhold Werther, 1"93.) Auf dem Wege eiues geschichtlichen Überblicks gelangt
der Verfasser zu dem Ergebnis: "Nicht eine Lockerung, sondern nur eine immer
reinere Her(!)ausbildung, eine Kräftigung und Stärkung der Einzelehc kann das


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Maßgebliches und Unmaßgebliches

rechter zwischen Industrie und Fischerei verteilten/' etwa wie es in Baden längst
geschehen sei, oder in dem von seelig mitgeteilten Artikel 6 des schweizerisch-
sranzösischen Vertrags von 1830 über die Fischerei im Genfer See vorgesehen
werde. Dieser bestimmt nämlich- „Es ist den Fabriken, Werkstätten und irgend
andern in der Nähe des Sees befindlichen Unternehmungen verboten, ihre Rück¬
stände oder den Fischen schädliche Stoffe in das Wasser abzulassen. Diese Etablisse¬
ments sind gehalten, auf ihre Kosten die Ableitung in den Boden zu regeln."

Wie schwer es wird, gegenüber der verhätschelten Industrie auch nur die
Gleichberechtigung in dem Bereiche der Volkswirtschaft zu erringen, das zeigten u. a.
auch die Schwierigkeiten, die achselzuckende Verurteilung und die Gehässigkeit, mit
denen der uenentstandne „Bund der Landwirte" so vielfach zu kämpfen hat. Mag
man über ihn und seine Ziele denken, wie man will, sogar das Entstehen einer
neuen Kampfvereinigung wirtschaftlicher, aber stark ins Politische hinüberspielenden
Richtung bedauern, das wird sich nicht bestreikn lassen, daß die Landwirte nur
nach dem berühmten Vorbilde andrer wirtschaftlicher Ringe vorgehen und sich
nicht mit dem „Ja, Bauer, das ist ganz ein anders" einschüchtern lassen möchten.

Aber die Industrie ist nun einmal das Schoßkind unsrer Zeit, und dem ver¬
zeiht man bekanntlich viele Unart und Sünde, ehe mau zur scharfen Rute greift.
Es geht mit dem naiven Glauben an sie nicht besser, als früher mit dem Aber¬
glauben an die alleinige Nichtigkeit des Merkantilsystems. Sie hat das Handwerk
untergraben dürfen und sogar das Kunsthandwerk durch ihre billigen Flitter- und
Schundwaren gefährde» dürfen, das platte Land entvölkern, die Lust verpesten, die
Gewässer für Menschen und Tiere widerlich machen, ihre Arbeiter ohne Gnadenbrod
in alten und kranken Tagen auf die Straße setzen, den billigen Verkauf ins Aus¬
land im Znlande durch Monopolpreise wiedereinbringen, die Bevölkerung der arbei¬
tenden Klassen, Kinder, Frauen und Männer, phhsisch und moralisch verderben und
sie dem Irrwahn verfallen lassen, als ob unsre ganze Rechtsordnung in dem ver¬
haßten neuen Jndnstrierechte nufgeh, die öffentliche Sicherheit dnrch Streiks und
Umsturzbestrebung in Zweifel stellen. Sie hat die Armenlasten ius Ungemessene
steigern dürfen, um nur recht billig produziren zu können und einige, nicht einmal
viele, reich werden zu lassen.

Das Sündenregister der Industrie könnte noch vergrößert werden. Dennoch
soll mit Entwerfung dieses Negativbildes nicht etwa einer einseitigen, der Industrie
feindlichen Anschauung das Wort geredet sein. Will man sich aber einmal recht
klar macheu, daß auch wirtschaftlich die Lösung sein muß, was das römische Recht
dem Teiluugsrichter vorschrieb: (iuvat cmmibns utilissimnm v8t, ssaui vouveuit, so
darf man um den dunkeln Seiten der Judustrieentwicklung uicht leichten Herzens
vorübergehen und immer nnr ans die Reichtümer hinweisen, die sie ins Land ge¬
bracht hat. Sie sind nicht nur mit Schweiß, sondern auch mit Blut erkauft, und
neben dem Arbeiterschutz- und Versicheruugsrecht stehen noch andre Aufgaben der
ausgleichenden Gerechtigkeit!


Zur Frauenfrage.

Unter den in der letzten Zeit über den Gegenstaud
erschienenen Schriften scheinen uns besonders drei beachtenswert. Die eine ist
gegen Bebels Buch gerichtet, dessen Vorzüge aber anerkannt werden: Der christ¬
liche Standpunkt in der Frauenfrage. Von Hermann Kötzschke. (Leipzig,
Reinhold Werther, 1»93.) Auf dem Wege eiues geschichtlichen Überblicks gelangt
der Verfasser zu dem Ergebnis: „Nicht eine Lockerung, sondern nur eine immer
reinere Her(!)ausbildung, eine Kräftigung und Stärkung der Einzelehc kann das


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[0481] Maßgebliches und Unmaßgebliches rechter zwischen Industrie und Fischerei verteilten/' etwa wie es in Baden längst geschehen sei, oder in dem von seelig mitgeteilten Artikel 6 des schweizerisch- sranzösischen Vertrags von 1830 über die Fischerei im Genfer See vorgesehen werde. Dieser bestimmt nämlich- „Es ist den Fabriken, Werkstätten und irgend andern in der Nähe des Sees befindlichen Unternehmungen verboten, ihre Rück¬ stände oder den Fischen schädliche Stoffe in das Wasser abzulassen. Diese Etablisse¬ ments sind gehalten, auf ihre Kosten die Ableitung in den Boden zu regeln." Wie schwer es wird, gegenüber der verhätschelten Industrie auch nur die Gleichberechtigung in dem Bereiche der Volkswirtschaft zu erringen, das zeigten u. a. auch die Schwierigkeiten, die achselzuckende Verurteilung und die Gehässigkeit, mit denen der uenentstandne „Bund der Landwirte" so vielfach zu kämpfen hat. Mag man über ihn und seine Ziele denken, wie man will, sogar das Entstehen einer neuen Kampfvereinigung wirtschaftlicher, aber stark ins Politische hinüberspielenden Richtung bedauern, das wird sich nicht bestreikn lassen, daß die Landwirte nur nach dem berühmten Vorbilde andrer wirtschaftlicher Ringe vorgehen und sich nicht mit dem „Ja, Bauer, das ist ganz ein anders" einschüchtern lassen möchten. Aber die Industrie ist nun einmal das Schoßkind unsrer Zeit, und dem ver¬ zeiht man bekanntlich viele Unart und Sünde, ehe mau zur scharfen Rute greift. Es geht mit dem naiven Glauben an sie nicht besser, als früher mit dem Aber¬ glauben an die alleinige Nichtigkeit des Merkantilsystems. Sie hat das Handwerk untergraben dürfen und sogar das Kunsthandwerk durch ihre billigen Flitter- und Schundwaren gefährde» dürfen, das platte Land entvölkern, die Lust verpesten, die Gewässer für Menschen und Tiere widerlich machen, ihre Arbeiter ohne Gnadenbrod in alten und kranken Tagen auf die Straße setzen, den billigen Verkauf ins Aus¬ land im Znlande durch Monopolpreise wiedereinbringen, die Bevölkerung der arbei¬ tenden Klassen, Kinder, Frauen und Männer, phhsisch und moralisch verderben und sie dem Irrwahn verfallen lassen, als ob unsre ganze Rechtsordnung in dem ver¬ haßten neuen Jndnstrierechte nufgeh, die öffentliche Sicherheit dnrch Streiks und Umsturzbestrebung in Zweifel stellen. Sie hat die Armenlasten ius Ungemessene steigern dürfen, um nur recht billig produziren zu können und einige, nicht einmal viele, reich werden zu lassen. Das Sündenregister der Industrie könnte noch vergrößert werden. Dennoch soll mit Entwerfung dieses Negativbildes nicht etwa einer einseitigen, der Industrie feindlichen Anschauung das Wort geredet sein. Will man sich aber einmal recht klar macheu, daß auch wirtschaftlich die Lösung sein muß, was das römische Recht dem Teiluugsrichter vorschrieb: (iuvat cmmibns utilissimnm v8t, ssaui vouveuit, so darf man um den dunkeln Seiten der Judustrieentwicklung uicht leichten Herzens vorübergehen und immer nnr ans die Reichtümer hinweisen, die sie ins Land ge¬ bracht hat. Sie sind nicht nur mit Schweiß, sondern auch mit Blut erkauft, und neben dem Arbeiterschutz- und Versicheruugsrecht stehen noch andre Aufgaben der ausgleichenden Gerechtigkeit! Zur Frauenfrage. Unter den in der letzten Zeit über den Gegenstaud erschienenen Schriften scheinen uns besonders drei beachtenswert. Die eine ist gegen Bebels Buch gerichtet, dessen Vorzüge aber anerkannt werden: Der christ¬ liche Standpunkt in der Frauenfrage. Von Hermann Kötzschke. (Leipzig, Reinhold Werther, 1»93.) Auf dem Wege eiues geschichtlichen Überblicks gelangt der Verfasser zu dem Ergebnis: „Nicht eine Lockerung, sondern nur eine immer reinere Her(!)ausbildung, eine Kräftigung und Stärkung der Einzelehc kann das Grsuzboien til >M?> 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/481>, abgerufen am 27.11.2024.