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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

bildung, und das läßt ihnen für eine Zeit der Revolution die genügende Un¬
befangenheit; aber um der allgemeinen geistigen Höhe ihrer Zeit müssen sie
fühlen, wie weit sie gehen können, und sobald auf den Sturmlauf der Sieg
gefolgt ist, müssen sie wieder umkehren in feste und gesicherte Bahnen. Sie
müssen das Falsche vom Wahren, das Echte vom Unechten scheiden lernen.
Eine Kunst kann auf die Dauer nicht ungebildet bleiben.

Ein Bild in der Sezessionistenansstellung zeigt, welcher Leistungen die
neue Richtung fähig fein wird, wenn sie sich zur Reife ausgebildet haben wird.
Es ist das kleine Bild von Max von Schnabel: "Sein Alles." In einer
ärmlichen aber saubern Hütte sitzt ein Mädchen, eifrig beschäftigt, einen kupfernen
Kessel zu putzen, ein alter Mann, auf seinen Stock gestützt, schaut ihr liebevoll
zu. Durch das hoch angebrachte Fenster fällt ein spärliches Licht in den Raum,
von der andern Seite wird das Mädchen durch das Herdfeuer beschienen. Da
ist nichts angedeutet, nichts unverarbeitet, alles bis zur vollen Gegenständlich¬
keit durchgeführt, kein Fleckchen des ganzen Bildes, das nicht in die Gesamt¬
wirkung mit hineingezogen und von dem Künstler durchgeistigt wäre. Eine
ruhige, friedliche und beschauliche Stimmung liegt über der Szene. Es ist
ein Genrebild im Sinne der Holländer des siebzehnten Jahrhunderts, aber mit
Augen vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts gesehen.

Die Stillvsigkeit, mit der die neue Richtung eingesetzt hat, beginnt sich
denn auch bereits zu wandeln. Ein kapriziöser Stil herrscht in den Arbeiten
von Stuck, ein aus der Natur des Gegenstandes abgeleiteter beginnt sich be¬
merkbar zu machen in den Bildern von Höcker und Dettmann, bei Schmüdel
ist er schon ausgebildet. In jeder wirklichen Kunst ist etwas Konventionelles.
Dieses Konventionelle im guten Sinne ist der Stil. Der Stil erhebt ein
Kunstwerk nicht nur über die Natur, sondern auch über das Birtuoseutum,
und das Virtuosentum haftet der neuen Richtung noch viel zu sehr an, auch
Höcker und Dettmann werden es erst noch überwinden müssen, um Kunstwerke
ersten Ranges zu schaffe".


M. G. Zimmermann


Grenzboten III 189359
Die Münchner Ausstellungen

bildung, und das läßt ihnen für eine Zeit der Revolution die genügende Un¬
befangenheit; aber um der allgemeinen geistigen Höhe ihrer Zeit müssen sie
fühlen, wie weit sie gehen können, und sobald auf den Sturmlauf der Sieg
gefolgt ist, müssen sie wieder umkehren in feste und gesicherte Bahnen. Sie
müssen das Falsche vom Wahren, das Echte vom Unechten scheiden lernen.
Eine Kunst kann auf die Dauer nicht ungebildet bleiben.

Ein Bild in der Sezessionistenansstellung zeigt, welcher Leistungen die
neue Richtung fähig fein wird, wenn sie sich zur Reife ausgebildet haben wird.
Es ist das kleine Bild von Max von Schnabel: „Sein Alles." In einer
ärmlichen aber saubern Hütte sitzt ein Mädchen, eifrig beschäftigt, einen kupfernen
Kessel zu putzen, ein alter Mann, auf seinen Stock gestützt, schaut ihr liebevoll
zu. Durch das hoch angebrachte Fenster fällt ein spärliches Licht in den Raum,
von der andern Seite wird das Mädchen durch das Herdfeuer beschienen. Da
ist nichts angedeutet, nichts unverarbeitet, alles bis zur vollen Gegenständlich¬
keit durchgeführt, kein Fleckchen des ganzen Bildes, das nicht in die Gesamt¬
wirkung mit hineingezogen und von dem Künstler durchgeistigt wäre. Eine
ruhige, friedliche und beschauliche Stimmung liegt über der Szene. Es ist
ein Genrebild im Sinne der Holländer des siebzehnten Jahrhunderts, aber mit
Augen vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts gesehen.

Die Stillvsigkeit, mit der die neue Richtung eingesetzt hat, beginnt sich
denn auch bereits zu wandeln. Ein kapriziöser Stil herrscht in den Arbeiten
von Stuck, ein aus der Natur des Gegenstandes abgeleiteter beginnt sich be¬
merkbar zu machen in den Bildern von Höcker und Dettmann, bei Schmüdel
ist er schon ausgebildet. In jeder wirklichen Kunst ist etwas Konventionelles.
Dieses Konventionelle im guten Sinne ist der Stil. Der Stil erhebt ein
Kunstwerk nicht nur über die Natur, sondern auch über das Birtuoseutum,
und das Virtuosentum haftet der neuen Richtung noch viel zu sehr an, auch
Höcker und Dettmann werden es erst noch überwinden müssen, um Kunstwerke
ersten Ranges zu schaffe«.


M. G. Zimmermann


Grenzboten III 189359
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[0473] Die Münchner Ausstellungen bildung, und das läßt ihnen für eine Zeit der Revolution die genügende Un¬ befangenheit; aber um der allgemeinen geistigen Höhe ihrer Zeit müssen sie fühlen, wie weit sie gehen können, und sobald auf den Sturmlauf der Sieg gefolgt ist, müssen sie wieder umkehren in feste und gesicherte Bahnen. Sie müssen das Falsche vom Wahren, das Echte vom Unechten scheiden lernen. Eine Kunst kann auf die Dauer nicht ungebildet bleiben. Ein Bild in der Sezessionistenansstellung zeigt, welcher Leistungen die neue Richtung fähig fein wird, wenn sie sich zur Reife ausgebildet haben wird. Es ist das kleine Bild von Max von Schnabel: „Sein Alles." In einer ärmlichen aber saubern Hütte sitzt ein Mädchen, eifrig beschäftigt, einen kupfernen Kessel zu putzen, ein alter Mann, auf seinen Stock gestützt, schaut ihr liebevoll zu. Durch das hoch angebrachte Fenster fällt ein spärliches Licht in den Raum, von der andern Seite wird das Mädchen durch das Herdfeuer beschienen. Da ist nichts angedeutet, nichts unverarbeitet, alles bis zur vollen Gegenständlich¬ keit durchgeführt, kein Fleckchen des ganzen Bildes, das nicht in die Gesamt¬ wirkung mit hineingezogen und von dem Künstler durchgeistigt wäre. Eine ruhige, friedliche und beschauliche Stimmung liegt über der Szene. Es ist ein Genrebild im Sinne der Holländer des siebzehnten Jahrhunderts, aber mit Augen vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts gesehen. Die Stillvsigkeit, mit der die neue Richtung eingesetzt hat, beginnt sich denn auch bereits zu wandeln. Ein kapriziöser Stil herrscht in den Arbeiten von Stuck, ein aus der Natur des Gegenstandes abgeleiteter beginnt sich be¬ merkbar zu machen in den Bildern von Höcker und Dettmann, bei Schmüdel ist er schon ausgebildet. In jeder wirklichen Kunst ist etwas Konventionelles. Dieses Konventionelle im guten Sinne ist der Stil. Der Stil erhebt ein Kunstwerk nicht nur über die Natur, sondern auch über das Birtuoseutum, und das Virtuosentum haftet der neuen Richtung noch viel zu sehr an, auch Höcker und Dettmann werden es erst noch überwinden müssen, um Kunstwerke ersten Ranges zu schaffe«. M. G. Zimmermann Grenzboten III 189359

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/473>, abgerufen am 23.11.2024.