Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Münchner Ausstellungen

Eine Meisterleistung auf mystischem Gebiet ist das kleine Triptychon von
Ludwig Dettmann, der außerdem eine Reihe landschaftlicher Studien in Gvuache
ausgestellt, die zu dem besten der ganzen Ausstellung gehören. Das Tri¬
ptychon zeigt im Mittelfelde die Verkündigung an die Hirten und weiter zurück
Scharen von weißgekleideten Engeln, die um die Dorfhütte knieen, in der das
Christuskind geboren ist. Vom Himmel füllt ein Heller Schein auf sie und
den Verkündigungsengel herab. Dieses Licht ist so gut gemalt, daß man ver¬
sucht ist, es für einen wirklichen Lichtschein zu halten. Tiefe Andacht und eine
trotz der grünen Landschaft echt weihnachtliche Stimmung ruht über dem.Bilde.
Der Verkündigungsengel ist eine edle Gestalt mit schönem Gesicht, fern von
aller Pose und Süßlichkeit. Auf der schmalen Tafel links ist die Grenze des
Paradieses dargestellt, ein Bach, vor dem eine Schlange liegt, scheidet den
Vordergrund von einem Lilienfelde, an dessen Hinterer Begrenzung man das
feurige Schwert des Wache haltenden Cherub aus dem Dummer hervorleuchten
sieht. Ans der rechten Tafel ist nur angedeutet wie eine Geistererscheinung,
durch die man den hellen Horizont hindurchsieht, der Gekreuzigte mit flam¬
menden Wundmalen.

Derselben Richtung gehört ein Triptychon in Riesendimensionen an, von
Szymanowski. Es ist eine betende polnische Bauerngemeinde in halbdunkler
Kirche, in die über die Köpfe weg und diese nur zum Teil treffend ein Heller
Sonncnstreifen fällt. In brünstiger Andacht recken sich die Knieenden, laut
singend, dem Altar zu.- Auch über diesem Bilde liegt eine mystische Atmo¬
sphäre. Aber die Dimensionen sind zu groß, und unangenehm macht sich ein
Zug zum Rohen bemerkbar.

Fragt man uus schließlich, wie heute unsre Stellung zu der modernen
Kunstrichtung sei, so köunen wir nur antworten: dieselben Einwände, die wir
damals gegen sie erhoben haben, erheben wir auch heute noch; aber die neue
Richtung hat ihre Lebenskraft bewiesen, indem sie sich ein großes Gebiet er¬
obert und eine interessante Ausstellung zustande gebracht hat. Wir können
auch die ersten Leistungen in ihr begrüßen/ die das geistige Element wieder in
die Kunst einführen, ohne das nun einmal eine echte Kunst nicht bestehen kann.
Wir müssen die Berechtigung der neuen Richtung heute anerkennen, und wir
hoffen, daß sie der Kunst zum Heile gereichen wird.

Aber wie? Wir erklärten uns die ablehnende Haltung des Publikums
daraus, daß es in ganz andern Kunstgesetzen gebildet sei. Wünschen wir nun
die klassische Vorbildung des Publikums beseitigt? Diese Frage beantworten
wir mit einem entschiednen Nein. Die organischen Kunstgesetze, festgestellt
in der Geistesarbeit von Jahrtausenden, müssen auch der modernsten Kunst
gegenüber bestehen bleiben, um sie aus der Revolution, aus der Anarchie wieder
zu gesetzmäßigen Zustünden zurückzuführen, unter denen allein ein geistiges
Leben möglich ist. Die Künstler haben zum größten Teil keine klassische Vor-


Die Münchner Ausstellungen

Eine Meisterleistung auf mystischem Gebiet ist das kleine Triptychon von
Ludwig Dettmann, der außerdem eine Reihe landschaftlicher Studien in Gvuache
ausgestellt, die zu dem besten der ganzen Ausstellung gehören. Das Tri¬
ptychon zeigt im Mittelfelde die Verkündigung an die Hirten und weiter zurück
Scharen von weißgekleideten Engeln, die um die Dorfhütte knieen, in der das
Christuskind geboren ist. Vom Himmel füllt ein Heller Schein auf sie und
den Verkündigungsengel herab. Dieses Licht ist so gut gemalt, daß man ver¬
sucht ist, es für einen wirklichen Lichtschein zu halten. Tiefe Andacht und eine
trotz der grünen Landschaft echt weihnachtliche Stimmung ruht über dem.Bilde.
Der Verkündigungsengel ist eine edle Gestalt mit schönem Gesicht, fern von
aller Pose und Süßlichkeit. Auf der schmalen Tafel links ist die Grenze des
Paradieses dargestellt, ein Bach, vor dem eine Schlange liegt, scheidet den
Vordergrund von einem Lilienfelde, an dessen Hinterer Begrenzung man das
feurige Schwert des Wache haltenden Cherub aus dem Dummer hervorleuchten
sieht. Ans der rechten Tafel ist nur angedeutet wie eine Geistererscheinung,
durch die man den hellen Horizont hindurchsieht, der Gekreuzigte mit flam¬
menden Wundmalen.

Derselben Richtung gehört ein Triptychon in Riesendimensionen an, von
Szymanowski. Es ist eine betende polnische Bauerngemeinde in halbdunkler
Kirche, in die über die Köpfe weg und diese nur zum Teil treffend ein Heller
Sonncnstreifen fällt. In brünstiger Andacht recken sich die Knieenden, laut
singend, dem Altar zu.- Auch über diesem Bilde liegt eine mystische Atmo¬
sphäre. Aber die Dimensionen sind zu groß, und unangenehm macht sich ein
Zug zum Rohen bemerkbar.

Fragt man uus schließlich, wie heute unsre Stellung zu der modernen
Kunstrichtung sei, so köunen wir nur antworten: dieselben Einwände, die wir
damals gegen sie erhoben haben, erheben wir auch heute noch; aber die neue
Richtung hat ihre Lebenskraft bewiesen, indem sie sich ein großes Gebiet er¬
obert und eine interessante Ausstellung zustande gebracht hat. Wir können
auch die ersten Leistungen in ihr begrüßen/ die das geistige Element wieder in
die Kunst einführen, ohne das nun einmal eine echte Kunst nicht bestehen kann.
Wir müssen die Berechtigung der neuen Richtung heute anerkennen, und wir
hoffen, daß sie der Kunst zum Heile gereichen wird.

Aber wie? Wir erklärten uns die ablehnende Haltung des Publikums
daraus, daß es in ganz andern Kunstgesetzen gebildet sei. Wünschen wir nun
die klassische Vorbildung des Publikums beseitigt? Diese Frage beantworten
wir mit einem entschiednen Nein. Die organischen Kunstgesetze, festgestellt
in der Geistesarbeit von Jahrtausenden, müssen auch der modernsten Kunst
gegenüber bestehen bleiben, um sie aus der Revolution, aus der Anarchie wieder
zu gesetzmäßigen Zustünden zurückzuführen, unter denen allein ein geistiges
Leben möglich ist. Die Künstler haben zum größten Teil keine klassische Vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215562"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Münchner Ausstellungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> Eine Meisterleistung auf mystischem Gebiet ist das kleine Triptychon von<lb/>
Ludwig Dettmann, der außerdem eine Reihe landschaftlicher Studien in Gvuache<lb/>
ausgestellt, die zu dem besten der ganzen Ausstellung gehören. Das Tri¬<lb/>
ptychon zeigt im Mittelfelde die Verkündigung an die Hirten und weiter zurück<lb/>
Scharen von weißgekleideten Engeln, die um die Dorfhütte knieen, in der das<lb/>
Christuskind geboren ist. Vom Himmel füllt ein Heller Schein auf sie und<lb/>
den Verkündigungsengel herab. Dieses Licht ist so gut gemalt, daß man ver¬<lb/>
sucht ist, es für einen wirklichen Lichtschein zu halten. Tiefe Andacht und eine<lb/>
trotz der grünen Landschaft echt weihnachtliche Stimmung ruht über dem.Bilde.<lb/>
Der Verkündigungsengel ist eine edle Gestalt mit schönem Gesicht, fern von<lb/>
aller Pose und Süßlichkeit. Auf der schmalen Tafel links ist die Grenze des<lb/>
Paradieses dargestellt, ein Bach, vor dem eine Schlange liegt, scheidet den<lb/>
Vordergrund von einem Lilienfelde, an dessen Hinterer Begrenzung man das<lb/>
feurige Schwert des Wache haltenden Cherub aus dem Dummer hervorleuchten<lb/>
sieht. Ans der rechten Tafel ist nur angedeutet wie eine Geistererscheinung,<lb/>
durch die man den hellen Horizont hindurchsieht, der Gekreuzigte mit flam¬<lb/>
menden Wundmalen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647"> Derselben Richtung gehört ein Triptychon in Riesendimensionen an, von<lb/>
Szymanowski. Es ist eine betende polnische Bauerngemeinde in halbdunkler<lb/>
Kirche, in die über die Köpfe weg und diese nur zum Teil treffend ein Heller<lb/>
Sonncnstreifen fällt. In brünstiger Andacht recken sich die Knieenden, laut<lb/>
singend, dem Altar zu.- Auch über diesem Bilde liegt eine mystische Atmo¬<lb/>
sphäre. Aber die Dimensionen sind zu groß, und unangenehm macht sich ein<lb/>
Zug zum Rohen bemerkbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648"> Fragt man uus schließlich, wie heute unsre Stellung zu der modernen<lb/>
Kunstrichtung sei, so köunen wir nur antworten: dieselben Einwände, die wir<lb/>
damals gegen sie erhoben haben, erheben wir auch heute noch; aber die neue<lb/>
Richtung hat ihre Lebenskraft bewiesen, indem sie sich ein großes Gebiet er¬<lb/>
obert und eine interessante Ausstellung zustande gebracht hat. Wir können<lb/>
auch die ersten Leistungen in ihr begrüßen/ die das geistige Element wieder in<lb/>
die Kunst einführen, ohne das nun einmal eine echte Kunst nicht bestehen kann.<lb/>
Wir müssen die Berechtigung der neuen Richtung heute anerkennen, und wir<lb/>
hoffen, daß sie der Kunst zum Heile gereichen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649" next="#ID_1650"> Aber wie? Wir erklärten uns die ablehnende Haltung des Publikums<lb/>
daraus, daß es in ganz andern Kunstgesetzen gebildet sei. Wünschen wir nun<lb/>
die klassische Vorbildung des Publikums beseitigt? Diese Frage beantworten<lb/>
wir mit einem entschiednen Nein. Die organischen Kunstgesetze, festgestellt<lb/>
in der Geistesarbeit von Jahrtausenden, müssen auch der modernsten Kunst<lb/>
gegenüber bestehen bleiben, um sie aus der Revolution, aus der Anarchie wieder<lb/>
zu gesetzmäßigen Zustünden zurückzuführen, unter denen allein ein geistiges<lb/>
Leben möglich ist. Die Künstler haben zum größten Teil keine klassische Vor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] Die Münchner Ausstellungen Eine Meisterleistung auf mystischem Gebiet ist das kleine Triptychon von Ludwig Dettmann, der außerdem eine Reihe landschaftlicher Studien in Gvuache ausgestellt, die zu dem besten der ganzen Ausstellung gehören. Das Tri¬ ptychon zeigt im Mittelfelde die Verkündigung an die Hirten und weiter zurück Scharen von weißgekleideten Engeln, die um die Dorfhütte knieen, in der das Christuskind geboren ist. Vom Himmel füllt ein Heller Schein auf sie und den Verkündigungsengel herab. Dieses Licht ist so gut gemalt, daß man ver¬ sucht ist, es für einen wirklichen Lichtschein zu halten. Tiefe Andacht und eine trotz der grünen Landschaft echt weihnachtliche Stimmung ruht über dem.Bilde. Der Verkündigungsengel ist eine edle Gestalt mit schönem Gesicht, fern von aller Pose und Süßlichkeit. Auf der schmalen Tafel links ist die Grenze des Paradieses dargestellt, ein Bach, vor dem eine Schlange liegt, scheidet den Vordergrund von einem Lilienfelde, an dessen Hinterer Begrenzung man das feurige Schwert des Wache haltenden Cherub aus dem Dummer hervorleuchten sieht. Ans der rechten Tafel ist nur angedeutet wie eine Geistererscheinung, durch die man den hellen Horizont hindurchsieht, der Gekreuzigte mit flam¬ menden Wundmalen. Derselben Richtung gehört ein Triptychon in Riesendimensionen an, von Szymanowski. Es ist eine betende polnische Bauerngemeinde in halbdunkler Kirche, in die über die Köpfe weg und diese nur zum Teil treffend ein Heller Sonncnstreifen fällt. In brünstiger Andacht recken sich die Knieenden, laut singend, dem Altar zu.- Auch über diesem Bilde liegt eine mystische Atmo¬ sphäre. Aber die Dimensionen sind zu groß, und unangenehm macht sich ein Zug zum Rohen bemerkbar. Fragt man uus schließlich, wie heute unsre Stellung zu der modernen Kunstrichtung sei, so köunen wir nur antworten: dieselben Einwände, die wir damals gegen sie erhoben haben, erheben wir auch heute noch; aber die neue Richtung hat ihre Lebenskraft bewiesen, indem sie sich ein großes Gebiet er¬ obert und eine interessante Ausstellung zustande gebracht hat. Wir können auch die ersten Leistungen in ihr begrüßen/ die das geistige Element wieder in die Kunst einführen, ohne das nun einmal eine echte Kunst nicht bestehen kann. Wir müssen die Berechtigung der neuen Richtung heute anerkennen, und wir hoffen, daß sie der Kunst zum Heile gereichen wird. Aber wie? Wir erklärten uns die ablehnende Haltung des Publikums daraus, daß es in ganz andern Kunstgesetzen gebildet sei. Wünschen wir nun die klassische Vorbildung des Publikums beseitigt? Diese Frage beantworten wir mit einem entschiednen Nein. Die organischen Kunstgesetze, festgestellt in der Geistesarbeit von Jahrtausenden, müssen auch der modernsten Kunst gegenüber bestehen bleiben, um sie aus der Revolution, aus der Anarchie wieder zu gesetzmäßigen Zustünden zurückzuführen, unter denen allein ein geistiges Leben möglich ist. Die Künstler haben zum größten Teil keine klassische Vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/472>, abgerufen am 23.11.2024.