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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

die Sucht nach dem Pikanten, geistreich Außergewöhnlichem, sowohl im Gegen¬
stande wie in der Auffassung und Ausführung. Zu seiner sichern Zeichnung
kommt eine feinere Farbenempfindung, als sie die meisten andern Sezessionisten
haben. Seine Muscheln auf dunkelm Grunde sind mit einer geradezu ver¬
blüffenden Technik gemalt. Schön ist die Farbenzusammenstellung des roten
Modus in einem blauen irisirenden Glase. Er kommt aber auch zu wirklich
großen Leistungen, wie zu dem Bild "Die Sünde." Das Bild zeigt eine nackte
weibliche Halbfigur mit bläulich gelbem Fleisch, pechschwarzem Haar, phos-
Phoreszirenden Augen, von einer Schlange umwunden, im Hintergrunde einen
Flecken Goldgelb. Das alles ist mit einer Kraft und UnHeimlichkeit der
Farbe und einer düster und lockend musikalischen Wirkung vorgetragen, die
sich mit Böcklin messen kann. Es ist nicht zufällig, daß Stücks Produkte der
Überkultnr in der Farbe Ähnlichkeit mit der byzantinischen Kunst haben.

Während bei Stuck die Überkultur mehr im Geistigen liegt, ist sie bei
Skarbina in dem Äußerlichen der Farbenwirkung zu suchen. Paul Schröter
ist in der Disharmonie seiner Farbe bäurisch, Skarbina überpikant. In un¬
endlich vielen kleintupfigen Nüancen werden Grün, Blau, Violett, Gelb u.s.w.
dicht neben einander gesetzt und bilden doch, mit großer künstlerischer
Kraft zusammengefaßt, eine reiche Einheit. Am besten gelingen dem Künstler
regnerische Straßenbilder bei Laternenbeleuchtung; das eine ist von einer geradezu
Menzelschen Kraft in dem harten Kolorit.

Schon bei Stuck haben wir das Geistige in die Kunst der Sezessionisten
eintreten sehen; aber wir haben noch unmittelbarere Zeugnisse dafür, auf
welchen Weg sie durch die Natur ihrer Mittel gebracht werden wird. Das
Unbestimmte in der Zeichnung, die dämmrige Malweise führt von selbst zum
Mhstizismus, und mystische Gegenstünde finden sich vielfach in der Ausstellung.
Da ist vor allen Dingen Paul Höckers großes Bild: Die Stigmatisirung der
heiligen Katharina von Siena. In schwarzweißer Nonnentracht lehnt die Hei¬
lige an der Wand, deren Tapete anbetende Engel in mattem Golde zeigt. Auf
ihrem Körper stammen in roter Glut die Wundmale, die ganze Atmosphäre
des Bildes ist durchgeistigt, vom Mhstizismus erfüllt. Alles ist weich und
locker, nichts steht hart neben einander, auch nicht das bläuliche Weiß
und Schwarz der Nonnentracht. Es giebt ein berühmtes Vorbild für diesen
Gegenstand, das sogenannte Svenimento von Sodoma in der Kirche San
Dvmmenieo in Siena. Bei dem Nenaissancekünstler ist die Heilige eine voll¬
kräftige gesunde Jungfrau, die unter der übernatürlichen Erscheinung für einen
Augenblick erliegt; in unserm nervösen modernen Zeitalter ist es ein überreiztes
hysterisches Mädchen, der halbgeöffnete Mund, der die Zähne sehn läßt, und
die halbgeschlossenen Augen drücken ihren wonnigen Schmerz aus. Es ist ein
Ausdruck, wie ihn ebensogut Jo zeigen könnte im Augenblick ihrer Umarmung
durch Zeus.


Die Münchner Ausstellungen

die Sucht nach dem Pikanten, geistreich Außergewöhnlichem, sowohl im Gegen¬
stande wie in der Auffassung und Ausführung. Zu seiner sichern Zeichnung
kommt eine feinere Farbenempfindung, als sie die meisten andern Sezessionisten
haben. Seine Muscheln auf dunkelm Grunde sind mit einer geradezu ver¬
blüffenden Technik gemalt. Schön ist die Farbenzusammenstellung des roten
Modus in einem blauen irisirenden Glase. Er kommt aber auch zu wirklich
großen Leistungen, wie zu dem Bild „Die Sünde." Das Bild zeigt eine nackte
weibliche Halbfigur mit bläulich gelbem Fleisch, pechschwarzem Haar, phos-
Phoreszirenden Augen, von einer Schlange umwunden, im Hintergrunde einen
Flecken Goldgelb. Das alles ist mit einer Kraft und UnHeimlichkeit der
Farbe und einer düster und lockend musikalischen Wirkung vorgetragen, die
sich mit Böcklin messen kann. Es ist nicht zufällig, daß Stücks Produkte der
Überkultnr in der Farbe Ähnlichkeit mit der byzantinischen Kunst haben.

Während bei Stuck die Überkultur mehr im Geistigen liegt, ist sie bei
Skarbina in dem Äußerlichen der Farbenwirkung zu suchen. Paul Schröter
ist in der Disharmonie seiner Farbe bäurisch, Skarbina überpikant. In un¬
endlich vielen kleintupfigen Nüancen werden Grün, Blau, Violett, Gelb u.s.w.
dicht neben einander gesetzt und bilden doch, mit großer künstlerischer
Kraft zusammengefaßt, eine reiche Einheit. Am besten gelingen dem Künstler
regnerische Straßenbilder bei Laternenbeleuchtung; das eine ist von einer geradezu
Menzelschen Kraft in dem harten Kolorit.

Schon bei Stuck haben wir das Geistige in die Kunst der Sezessionisten
eintreten sehen; aber wir haben noch unmittelbarere Zeugnisse dafür, auf
welchen Weg sie durch die Natur ihrer Mittel gebracht werden wird. Das
Unbestimmte in der Zeichnung, die dämmrige Malweise führt von selbst zum
Mhstizismus, und mystische Gegenstünde finden sich vielfach in der Ausstellung.
Da ist vor allen Dingen Paul Höckers großes Bild: Die Stigmatisirung der
heiligen Katharina von Siena. In schwarzweißer Nonnentracht lehnt die Hei¬
lige an der Wand, deren Tapete anbetende Engel in mattem Golde zeigt. Auf
ihrem Körper stammen in roter Glut die Wundmale, die ganze Atmosphäre
des Bildes ist durchgeistigt, vom Mhstizismus erfüllt. Alles ist weich und
locker, nichts steht hart neben einander, auch nicht das bläuliche Weiß
und Schwarz der Nonnentracht. Es giebt ein berühmtes Vorbild für diesen
Gegenstand, das sogenannte Svenimento von Sodoma in der Kirche San
Dvmmenieo in Siena. Bei dem Nenaissancekünstler ist die Heilige eine voll¬
kräftige gesunde Jungfrau, die unter der übernatürlichen Erscheinung für einen
Augenblick erliegt; in unserm nervösen modernen Zeitalter ist es ein überreiztes
hysterisches Mädchen, der halbgeöffnete Mund, der die Zähne sehn läßt, und
die halbgeschlossenen Augen drücken ihren wonnigen Schmerz aus. Es ist ein
Ausdruck, wie ihn ebensogut Jo zeigen könnte im Augenblick ihrer Umarmung
durch Zeus.


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[0471] Die Münchner Ausstellungen die Sucht nach dem Pikanten, geistreich Außergewöhnlichem, sowohl im Gegen¬ stande wie in der Auffassung und Ausführung. Zu seiner sichern Zeichnung kommt eine feinere Farbenempfindung, als sie die meisten andern Sezessionisten haben. Seine Muscheln auf dunkelm Grunde sind mit einer geradezu ver¬ blüffenden Technik gemalt. Schön ist die Farbenzusammenstellung des roten Modus in einem blauen irisirenden Glase. Er kommt aber auch zu wirklich großen Leistungen, wie zu dem Bild „Die Sünde." Das Bild zeigt eine nackte weibliche Halbfigur mit bläulich gelbem Fleisch, pechschwarzem Haar, phos- Phoreszirenden Augen, von einer Schlange umwunden, im Hintergrunde einen Flecken Goldgelb. Das alles ist mit einer Kraft und UnHeimlichkeit der Farbe und einer düster und lockend musikalischen Wirkung vorgetragen, die sich mit Böcklin messen kann. Es ist nicht zufällig, daß Stücks Produkte der Überkultnr in der Farbe Ähnlichkeit mit der byzantinischen Kunst haben. Während bei Stuck die Überkultur mehr im Geistigen liegt, ist sie bei Skarbina in dem Äußerlichen der Farbenwirkung zu suchen. Paul Schröter ist in der Disharmonie seiner Farbe bäurisch, Skarbina überpikant. In un¬ endlich vielen kleintupfigen Nüancen werden Grün, Blau, Violett, Gelb u.s.w. dicht neben einander gesetzt und bilden doch, mit großer künstlerischer Kraft zusammengefaßt, eine reiche Einheit. Am besten gelingen dem Künstler regnerische Straßenbilder bei Laternenbeleuchtung; das eine ist von einer geradezu Menzelschen Kraft in dem harten Kolorit. Schon bei Stuck haben wir das Geistige in die Kunst der Sezessionisten eintreten sehen; aber wir haben noch unmittelbarere Zeugnisse dafür, auf welchen Weg sie durch die Natur ihrer Mittel gebracht werden wird. Das Unbestimmte in der Zeichnung, die dämmrige Malweise führt von selbst zum Mhstizismus, und mystische Gegenstünde finden sich vielfach in der Ausstellung. Da ist vor allen Dingen Paul Höckers großes Bild: Die Stigmatisirung der heiligen Katharina von Siena. In schwarzweißer Nonnentracht lehnt die Hei¬ lige an der Wand, deren Tapete anbetende Engel in mattem Golde zeigt. Auf ihrem Körper stammen in roter Glut die Wundmale, die ganze Atmosphäre des Bildes ist durchgeistigt, vom Mhstizismus erfüllt. Alles ist weich und locker, nichts steht hart neben einander, auch nicht das bläuliche Weiß und Schwarz der Nonnentracht. Es giebt ein berühmtes Vorbild für diesen Gegenstand, das sogenannte Svenimento von Sodoma in der Kirche San Dvmmenieo in Siena. Bei dem Nenaissancekünstler ist die Heilige eine voll¬ kräftige gesunde Jungfrau, die unter der übernatürlichen Erscheinung für einen Augenblick erliegt; in unserm nervösen modernen Zeitalter ist es ein überreiztes hysterisches Mädchen, der halbgeöffnete Mund, der die Zähne sehn läßt, und die halbgeschlossenen Augen drücken ihren wonnigen Schmerz aus. Es ist ein Ausdruck, wie ihn ebensogut Jo zeigen könnte im Augenblick ihrer Umarmung durch Zeus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/471>, abgerufen am 23.11.2024.