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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Kleidung einer Bäuerin, ihre roten und blauen Backen reizen sie. Eine ge¬
wisse Fnrbenfreude kann man ja nun der Bäuerin in ihrer Kleidung nicht ab¬
sprechen, aber sie steht doch auf einer sehr niedern Stufe, die Bäuerin hat
keinen feiner gebildeten Geschmack, und ebensowenig will ihn der Künstler haben.
Paul Schröter giebt eine Reihe solcher Bilder mit Bauernkindern. Die bunten
Farben haben keine Harmonie, die will aber der Künstler auch nicht; was er
künstlerisch dazu thut, ist höchstens Einheitlichkeit in der Disharmonie. Mög¬
lichst weit auseinander liegende Farben werden durch einen Schmutzton oder
durch gedämpftes Licht mit einander zu verbinden gesucht. So bei dem Kinder¬
bildnis von Schlittgen. Dadurch kommt etwas rohes in die Bilder. Am
störcndsten macht sich das bei den Porträts geltend, die meist im höchsten
Grade unangenehm aussehen. Der Künstler bestrebt sich, möglichst wenig von
dem Charakter und dem Seelenleben des Dargestellten zu geben, sondern nur
den äußern Farbeneindruck der Persönlichkeit und die besondre Beleuchtung
darauf. Nun können wir aber bei der Bildnismalerei am allerwenigsten von
ihrer eigentlichen Aufgabe, den Menschen zu schildern, absehen. Das Experi¬
mentelle stört anch da, wo diese Aufgabe in dem Bildnis wirklich erfüllt ist,
wie bei den energischen und kecken Bildnissen von Samberger und dem in der
Disharmonie der Farbe höchst kräftigen von Becker-Gundahl. Daher leisten
auch begabte Künstler dieser Richtung im Bildnis am wenigsten, wie Herterich
in seinem Prinzregenten.

Wie sehr der neuen Richtung das Organische fehlt, zeigt das Radiweib
von Abbe. Als Vorbild hat dem Maler die berühmte Hille Bobbe von Franz
Hals vorgeschwebt; aber bei Hals sind alle Farbenklexe zu einem einheitlichen,
lebensfähigen Ganzen, zum Organischen verschmolzen, während bei Abbe alles
anseinanderfährt, und man den Eindruck hat, als bestünde der Kopf aus an-
einandergeleimten Fetzen, die beim nächsten Regen auseiuanderschwimmen würden.
Und doch ist es eine große künstlerische Kraft, die sich in diesem Bilde
offenbart, die Farben und Lichterscheinungen auf dem zerfetzten Gesicht sind
sicher und reich gesehen, aber es fehlt die Kraft, die Einzelbeobachtungen zu
verbinden.

Hiermit sind die Fehler, die der neuen Richtung anhaften, zur Genüge
nusgesprocheu. Dennoch können wir ihr unsre Teilnahme nicht versagen, denn
sie kann und wird hoffentlich zu einer Auffrischung der Kunst führen. Auf
einige ältere Künstler hat sie schon glücklich gewirkt. Unter andern sind Ernst
Zimmermann in seinen Bildern ans der biblischen Geschichte und Gabriel
Schachinger in seiner jungen Frau im Gemüsegarten davon befruchtet worden,
das letztgenannte Bild ist mit einer Kraft und Frische gemalt, wie sie dem
Künstler früher nicht in solchem Grade eigen war.

Mit großer Energie haben die Sezessionisten ihre Ausstellung zu stände
gebracht. Sie haben lange geschwankt, ob sie München verlassen sollten, und


Kleidung einer Bäuerin, ihre roten und blauen Backen reizen sie. Eine ge¬
wisse Fnrbenfreude kann man ja nun der Bäuerin in ihrer Kleidung nicht ab¬
sprechen, aber sie steht doch auf einer sehr niedern Stufe, die Bäuerin hat
keinen feiner gebildeten Geschmack, und ebensowenig will ihn der Künstler haben.
Paul Schröter giebt eine Reihe solcher Bilder mit Bauernkindern. Die bunten
Farben haben keine Harmonie, die will aber der Künstler auch nicht; was er
künstlerisch dazu thut, ist höchstens Einheitlichkeit in der Disharmonie. Mög¬
lichst weit auseinander liegende Farben werden durch einen Schmutzton oder
durch gedämpftes Licht mit einander zu verbinden gesucht. So bei dem Kinder¬
bildnis von Schlittgen. Dadurch kommt etwas rohes in die Bilder. Am
störcndsten macht sich das bei den Porträts geltend, die meist im höchsten
Grade unangenehm aussehen. Der Künstler bestrebt sich, möglichst wenig von
dem Charakter und dem Seelenleben des Dargestellten zu geben, sondern nur
den äußern Farbeneindruck der Persönlichkeit und die besondre Beleuchtung
darauf. Nun können wir aber bei der Bildnismalerei am allerwenigsten von
ihrer eigentlichen Aufgabe, den Menschen zu schildern, absehen. Das Experi¬
mentelle stört anch da, wo diese Aufgabe in dem Bildnis wirklich erfüllt ist,
wie bei den energischen und kecken Bildnissen von Samberger und dem in der
Disharmonie der Farbe höchst kräftigen von Becker-Gundahl. Daher leisten
auch begabte Künstler dieser Richtung im Bildnis am wenigsten, wie Herterich
in seinem Prinzregenten.

Wie sehr der neuen Richtung das Organische fehlt, zeigt das Radiweib
von Abbe. Als Vorbild hat dem Maler die berühmte Hille Bobbe von Franz
Hals vorgeschwebt; aber bei Hals sind alle Farbenklexe zu einem einheitlichen,
lebensfähigen Ganzen, zum Organischen verschmolzen, während bei Abbe alles
anseinanderfährt, und man den Eindruck hat, als bestünde der Kopf aus an-
einandergeleimten Fetzen, die beim nächsten Regen auseiuanderschwimmen würden.
Und doch ist es eine große künstlerische Kraft, die sich in diesem Bilde
offenbart, die Farben und Lichterscheinungen auf dem zerfetzten Gesicht sind
sicher und reich gesehen, aber es fehlt die Kraft, die Einzelbeobachtungen zu
verbinden.

Hiermit sind die Fehler, die der neuen Richtung anhaften, zur Genüge
nusgesprocheu. Dennoch können wir ihr unsre Teilnahme nicht versagen, denn
sie kann und wird hoffentlich zu einer Auffrischung der Kunst führen. Auf
einige ältere Künstler hat sie schon glücklich gewirkt. Unter andern sind Ernst
Zimmermann in seinen Bildern ans der biblischen Geschichte und Gabriel
Schachinger in seiner jungen Frau im Gemüsegarten davon befruchtet worden,
das letztgenannte Bild ist mit einer Kraft und Frische gemalt, wie sie dem
Künstler früher nicht in solchem Grade eigen war.

Mit großer Energie haben die Sezessionisten ihre Ausstellung zu stände
gebracht. Sie haben lange geschwankt, ob sie München verlassen sollten, und


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[0469] Kleidung einer Bäuerin, ihre roten und blauen Backen reizen sie. Eine ge¬ wisse Fnrbenfreude kann man ja nun der Bäuerin in ihrer Kleidung nicht ab¬ sprechen, aber sie steht doch auf einer sehr niedern Stufe, die Bäuerin hat keinen feiner gebildeten Geschmack, und ebensowenig will ihn der Künstler haben. Paul Schröter giebt eine Reihe solcher Bilder mit Bauernkindern. Die bunten Farben haben keine Harmonie, die will aber der Künstler auch nicht; was er künstlerisch dazu thut, ist höchstens Einheitlichkeit in der Disharmonie. Mög¬ lichst weit auseinander liegende Farben werden durch einen Schmutzton oder durch gedämpftes Licht mit einander zu verbinden gesucht. So bei dem Kinder¬ bildnis von Schlittgen. Dadurch kommt etwas rohes in die Bilder. Am störcndsten macht sich das bei den Porträts geltend, die meist im höchsten Grade unangenehm aussehen. Der Künstler bestrebt sich, möglichst wenig von dem Charakter und dem Seelenleben des Dargestellten zu geben, sondern nur den äußern Farbeneindruck der Persönlichkeit und die besondre Beleuchtung darauf. Nun können wir aber bei der Bildnismalerei am allerwenigsten von ihrer eigentlichen Aufgabe, den Menschen zu schildern, absehen. Das Experi¬ mentelle stört anch da, wo diese Aufgabe in dem Bildnis wirklich erfüllt ist, wie bei den energischen und kecken Bildnissen von Samberger und dem in der Disharmonie der Farbe höchst kräftigen von Becker-Gundahl. Daher leisten auch begabte Künstler dieser Richtung im Bildnis am wenigsten, wie Herterich in seinem Prinzregenten. Wie sehr der neuen Richtung das Organische fehlt, zeigt das Radiweib von Abbe. Als Vorbild hat dem Maler die berühmte Hille Bobbe von Franz Hals vorgeschwebt; aber bei Hals sind alle Farbenklexe zu einem einheitlichen, lebensfähigen Ganzen, zum Organischen verschmolzen, während bei Abbe alles anseinanderfährt, und man den Eindruck hat, als bestünde der Kopf aus an- einandergeleimten Fetzen, die beim nächsten Regen auseiuanderschwimmen würden. Und doch ist es eine große künstlerische Kraft, die sich in diesem Bilde offenbart, die Farben und Lichterscheinungen auf dem zerfetzten Gesicht sind sicher und reich gesehen, aber es fehlt die Kraft, die Einzelbeobachtungen zu verbinden. Hiermit sind die Fehler, die der neuen Richtung anhaften, zur Genüge nusgesprocheu. Dennoch können wir ihr unsre Teilnahme nicht versagen, denn sie kann und wird hoffentlich zu einer Auffrischung der Kunst führen. Auf einige ältere Künstler hat sie schon glücklich gewirkt. Unter andern sind Ernst Zimmermann in seinen Bildern ans der biblischen Geschichte und Gabriel Schachinger in seiner jungen Frau im Gemüsegarten davon befruchtet worden, das letztgenannte Bild ist mit einer Kraft und Frische gemalt, wie sie dem Künstler früher nicht in solchem Grade eigen war. Mit großer Energie haben die Sezessionisten ihre Ausstellung zu stände gebracht. Sie haben lange geschwankt, ob sie München verlassen sollten, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/469>, abgerufen am 24.11.2024.