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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

schäftigung mit dieser Kunst kann uns darüber aufklären, was unsre jungen
Künstler überhaupt wollen. Eine weitere Schwierigkeit für das Publikum
entsteht dadurch, daß die ältere Richtung noch immer fortbesteht, ja daß ihr
der größte Teil der Künstler angehört. Die allbekannten Kunstgrößcn, die sich
mit Recht oder Unrecht einen Namen gemacht haben, gehören zu ihren Ver¬
tretern.

Da ist es denn von großer Wichtigkeit, daß voriges Jahr auch in Deutsch¬
land die "Sezession" eingetreten ist, die in Frankreich schon seit drei Jahren
besteht, und zwar ziemlich gleichzeitig in den beiden Hauptkuuststädten München
und Düsseldorf. Zum erstenmal in diesem Sommer haben die Sczessionisten
ihre Sonderausstellungen. Der alten Kunstgenossenschaft, der früher alle an¬
gehörten, hat sich ein Verein bildender Künstler gegenübergestellt. Das Publikum
erhält so Gelegenheit, sich ein Gesamtbild von der neuen Richtung zu machen,
ihre Ziele leichter zu erkennen. Eine große Anzahl von Kunstgelehrten, jüngere
wie ältere, hat sich bereits auf die Seite der Sezessivuisten gestellt, nicht weil
sie mit ihrer Kunst durchaus einverstanden wären, sondern weil ihr geschichtlich
geschulter Blick sie befähigt, hierin einen Keim zum Fortschritt, zu einer Er¬
neuerung der Kunst, die Abkehrung von der Schablone zum frischen Leben zu
erkennen. Eine Kunst, die ewig in den alten Geleisen bleibt, muß der Flachheit
verfallen.

In der Geschichte der bildenden wie der redenden Künste zeigt sich immer
wieder folgende Erscheinung. Es wird eine neue Kunstform geschaffen, in
hartem Ringen suchen sie die Künstler auszubilden, sie sehen das Ziel nicht,
sondern tasten darnach, Inhalt und Form passen nicht zusammen, bald wiegt
das eine, bald das andre vor. Dann kommen ein paar geniale Naturen, die
alle Bestrebungen zusammenfassen und das Gleichgewicht zwischen Inhalt
und Form herstellen. Aber schon ihre nächsten Nachfolger entarten. Sie über¬
nehmen von ihren Meistern die Form, es wird ihnen leicht, diese zu hand¬
haben, so leicht, daß sie nichtssagend werden, die vollendete Form wird zu weit
für deu Inhalt, und das macht den Eindruck der Schwäche. Die Kunst wird
süßlich und weichlich. Wem: es so weit gekommen ist, dann tritt, wenn das
betreffende Volk noch Lebenskraft hat, eine Revolution ein. Das Alte wird
umgestürzt, und man beginnt in einer ganz neuen Weise.

Auch die Kunst der Sezesstonisten ist eine Revolution. Aus deu Trümmern
der alten Kunst bauen sie sich ihre Barrikaden, und zunächst in regellosem
und ungeschulten Kampf erweisen sie ihren Mut und ihre Kraft. Das ist kein
schöner Anblick, wie es in gewissem Sinne eine wohlgeleitete Schlacht ist. Von
Delacroix giebt es ein Bild, das die Revolution von 1830 schildert. Ihre
Personifikation, halb Megäre, halb Göttin, steht auf den Barrikaden. Es wohnt
aber jeder Revolution, auch auf künstlerischem Gebiete, etwas von beiden inne.

Eine gänzliche Kunsterneuernug hat im fünfzehnten Jahrhundert in Florenz


Die Münchner Ausstellungen

schäftigung mit dieser Kunst kann uns darüber aufklären, was unsre jungen
Künstler überhaupt wollen. Eine weitere Schwierigkeit für das Publikum
entsteht dadurch, daß die ältere Richtung noch immer fortbesteht, ja daß ihr
der größte Teil der Künstler angehört. Die allbekannten Kunstgrößcn, die sich
mit Recht oder Unrecht einen Namen gemacht haben, gehören zu ihren Ver¬
tretern.

Da ist es denn von großer Wichtigkeit, daß voriges Jahr auch in Deutsch¬
land die „Sezession" eingetreten ist, die in Frankreich schon seit drei Jahren
besteht, und zwar ziemlich gleichzeitig in den beiden Hauptkuuststädten München
und Düsseldorf. Zum erstenmal in diesem Sommer haben die Sczessionisten
ihre Sonderausstellungen. Der alten Kunstgenossenschaft, der früher alle an¬
gehörten, hat sich ein Verein bildender Künstler gegenübergestellt. Das Publikum
erhält so Gelegenheit, sich ein Gesamtbild von der neuen Richtung zu machen,
ihre Ziele leichter zu erkennen. Eine große Anzahl von Kunstgelehrten, jüngere
wie ältere, hat sich bereits auf die Seite der Sezessivuisten gestellt, nicht weil
sie mit ihrer Kunst durchaus einverstanden wären, sondern weil ihr geschichtlich
geschulter Blick sie befähigt, hierin einen Keim zum Fortschritt, zu einer Er¬
neuerung der Kunst, die Abkehrung von der Schablone zum frischen Leben zu
erkennen. Eine Kunst, die ewig in den alten Geleisen bleibt, muß der Flachheit
verfallen.

In der Geschichte der bildenden wie der redenden Künste zeigt sich immer
wieder folgende Erscheinung. Es wird eine neue Kunstform geschaffen, in
hartem Ringen suchen sie die Künstler auszubilden, sie sehen das Ziel nicht,
sondern tasten darnach, Inhalt und Form passen nicht zusammen, bald wiegt
das eine, bald das andre vor. Dann kommen ein paar geniale Naturen, die
alle Bestrebungen zusammenfassen und das Gleichgewicht zwischen Inhalt
und Form herstellen. Aber schon ihre nächsten Nachfolger entarten. Sie über¬
nehmen von ihren Meistern die Form, es wird ihnen leicht, diese zu hand¬
haben, so leicht, daß sie nichtssagend werden, die vollendete Form wird zu weit
für deu Inhalt, und das macht den Eindruck der Schwäche. Die Kunst wird
süßlich und weichlich. Wem: es so weit gekommen ist, dann tritt, wenn das
betreffende Volk noch Lebenskraft hat, eine Revolution ein. Das Alte wird
umgestürzt, und man beginnt in einer ganz neuen Weise.

Auch die Kunst der Sezesstonisten ist eine Revolution. Aus deu Trümmern
der alten Kunst bauen sie sich ihre Barrikaden, und zunächst in regellosem
und ungeschulten Kampf erweisen sie ihren Mut und ihre Kraft. Das ist kein
schöner Anblick, wie es in gewissem Sinne eine wohlgeleitete Schlacht ist. Von
Delacroix giebt es ein Bild, das die Revolution von 1830 schildert. Ihre
Personifikation, halb Megäre, halb Göttin, steht auf den Barrikaden. Es wohnt
aber jeder Revolution, auch auf künstlerischem Gebiete, etwas von beiden inne.

Eine gänzliche Kunsterneuernug hat im fünfzehnten Jahrhundert in Florenz


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[0467] Die Münchner Ausstellungen schäftigung mit dieser Kunst kann uns darüber aufklären, was unsre jungen Künstler überhaupt wollen. Eine weitere Schwierigkeit für das Publikum entsteht dadurch, daß die ältere Richtung noch immer fortbesteht, ja daß ihr der größte Teil der Künstler angehört. Die allbekannten Kunstgrößcn, die sich mit Recht oder Unrecht einen Namen gemacht haben, gehören zu ihren Ver¬ tretern. Da ist es denn von großer Wichtigkeit, daß voriges Jahr auch in Deutsch¬ land die „Sezession" eingetreten ist, die in Frankreich schon seit drei Jahren besteht, und zwar ziemlich gleichzeitig in den beiden Hauptkuuststädten München und Düsseldorf. Zum erstenmal in diesem Sommer haben die Sczessionisten ihre Sonderausstellungen. Der alten Kunstgenossenschaft, der früher alle an¬ gehörten, hat sich ein Verein bildender Künstler gegenübergestellt. Das Publikum erhält so Gelegenheit, sich ein Gesamtbild von der neuen Richtung zu machen, ihre Ziele leichter zu erkennen. Eine große Anzahl von Kunstgelehrten, jüngere wie ältere, hat sich bereits auf die Seite der Sezessivuisten gestellt, nicht weil sie mit ihrer Kunst durchaus einverstanden wären, sondern weil ihr geschichtlich geschulter Blick sie befähigt, hierin einen Keim zum Fortschritt, zu einer Er¬ neuerung der Kunst, die Abkehrung von der Schablone zum frischen Leben zu erkennen. Eine Kunst, die ewig in den alten Geleisen bleibt, muß der Flachheit verfallen. In der Geschichte der bildenden wie der redenden Künste zeigt sich immer wieder folgende Erscheinung. Es wird eine neue Kunstform geschaffen, in hartem Ringen suchen sie die Künstler auszubilden, sie sehen das Ziel nicht, sondern tasten darnach, Inhalt und Form passen nicht zusammen, bald wiegt das eine, bald das andre vor. Dann kommen ein paar geniale Naturen, die alle Bestrebungen zusammenfassen und das Gleichgewicht zwischen Inhalt und Form herstellen. Aber schon ihre nächsten Nachfolger entarten. Sie über¬ nehmen von ihren Meistern die Form, es wird ihnen leicht, diese zu hand¬ haben, so leicht, daß sie nichtssagend werden, die vollendete Form wird zu weit für deu Inhalt, und das macht den Eindruck der Schwäche. Die Kunst wird süßlich und weichlich. Wem: es so weit gekommen ist, dann tritt, wenn das betreffende Volk noch Lebenskraft hat, eine Revolution ein. Das Alte wird umgestürzt, und man beginnt in einer ganz neuen Weise. Auch die Kunst der Sezesstonisten ist eine Revolution. Aus deu Trümmern der alten Kunst bauen sie sich ihre Barrikaden, und zunächst in regellosem und ungeschulten Kampf erweisen sie ihren Mut und ihre Kraft. Das ist kein schöner Anblick, wie es in gewissem Sinne eine wohlgeleitete Schlacht ist. Von Delacroix giebt es ein Bild, das die Revolution von 1830 schildert. Ihre Personifikation, halb Megäre, halb Göttin, steht auf den Barrikaden. Es wohnt aber jeder Revolution, auch auf künstlerischem Gebiete, etwas von beiden inne. Eine gänzliche Kunsterneuernug hat im fünfzehnten Jahrhundert in Florenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/467>, abgerufen am 27.11.2024.