Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Die Münchner Ausstellungen i or vier Jahren schrieb ich, veranlaßt durch die Münchner Aber der Grund, weshalb ich mich, bei aller in jenem Aufsatz wiederholt Die Münchner Ausstellungen i or vier Jahren schrieb ich, veranlaßt durch die Münchner Aber der Grund, weshalb ich mich, bei aller in jenem Aufsatz wiederholt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215556"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341857_215089/figures/grenzboten_341857_215089_215556_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Die Münchner Ausstellungen<lb/> i</head><lb/> <p xml:id="ID_1624"> or vier Jahren schrieb ich, veranlaßt durch die Münchner<lb/> Jahresausstellnng, für diese Zeitschrift einen Aufsatz „Einst und<lb/> Jetzt," worin ich die in der Galerie des Grafen Schack ver¬<lb/> tretene Kunst mit der jetzige,, verglich. Ich kam dabei zu dem<lb/> Ergebnis, daß die moderne Kunstrichtung eine Auflösung der<lb/> bisher geltenden Kniistgesetze sei, und beklagte das. Als ich den Aufsatz jetzt<lb/> wieder zur Hand nahm, war ich erstaunt, wie wenig damals »och zu erkennen<lb/> gewesen ist, wo die neue Kunstrichtung eigentlich hinauswollte. Aber im<lb/> Grunde ist nichts dabei zu staunen, denn die neue Richtung bestand damals<lb/> erst kurze Zeit, und es waren nur wenige Künstler, die sie vertraten, jeder<lb/> von ihnen ging für sich als Pionier vor, es war noch keine Einheit bemerk¬<lb/> bar, und so war auch ein Urteil über die Ziele noch sehr schwer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1625" next="#ID_1626"> Aber der Grund, weshalb ich mich, bei aller in jenem Aufsatz wiederholt<lb/> betonten Anerkennung des Talents dieser Jüngern, ihnen damals ablehnend<lb/> gegenüberstellte, und weshalb ein großer Teil des Laienpublikums diese Rich¬<lb/> tung noch heute anfeindet, liegt tiefer. Unsre ganze Erziehung uümlich ist „retro¬<lb/> spektiv." Auf den Gymnasien werden wir in die griechische und die römische Litte¬<lb/> ratur und ein wenig auch in die bildende Kunst der Antike eingeführt, im deutschen<lb/> Unterricht wird das Hauptgewicht auf die Litteratur des vorigen Jahrhunderts<lb/> gelegt, die nach den aus der Antike überkommenen Mustern schuf. Goethe hat<lb/> sein bestes in Italien an der Antike gelernt. Außerdem liest der Gymnasiast die<lb/> Balladen von Uhland, Gedichte von Geibel, Rückert, Lenau und andern Roman¬<lb/> tikern. Wenn damit hie und da etwas Kunstgeschichte verbunden wird, so be¬<lb/> handelt diese Raphael, Michelangelo und Lionardo da Vinci. In der neuern Kunst<lb/> geht er höchstens bis zu Schwinds sieben Raben herab. So werden uns die<lb/> künstlerischen Grundsätze des Klassizismus an den Meistern selbst oder an solchen<lb/> Künstlern und Dichtern eingeimpft, die ihnen folgten. Von der künstlerischen<lb/> Kultur der neuesten Zeit hören wir nichts. So kommt es, daß wir, befangen<lb/> in den Kunstgesetzen, die durch tausende von Jahren immer wieder aufs neue<lb/> zur Geltung gebracht worden sind, der modernsten Kunst, die diese Gesetze über<lb/> Bord wirft, fremd gegenüberstehen. Erst eine längere und eingehende Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0466]
[Abbildung]
Die Münchner Ausstellungen
i
or vier Jahren schrieb ich, veranlaßt durch die Münchner
Jahresausstellnng, für diese Zeitschrift einen Aufsatz „Einst und
Jetzt," worin ich die in der Galerie des Grafen Schack ver¬
tretene Kunst mit der jetzige,, verglich. Ich kam dabei zu dem
Ergebnis, daß die moderne Kunstrichtung eine Auflösung der
bisher geltenden Kniistgesetze sei, und beklagte das. Als ich den Aufsatz jetzt
wieder zur Hand nahm, war ich erstaunt, wie wenig damals »och zu erkennen
gewesen ist, wo die neue Kunstrichtung eigentlich hinauswollte. Aber im
Grunde ist nichts dabei zu staunen, denn die neue Richtung bestand damals
erst kurze Zeit, und es waren nur wenige Künstler, die sie vertraten, jeder
von ihnen ging für sich als Pionier vor, es war noch keine Einheit bemerk¬
bar, und so war auch ein Urteil über die Ziele noch sehr schwer.
Aber der Grund, weshalb ich mich, bei aller in jenem Aufsatz wiederholt
betonten Anerkennung des Talents dieser Jüngern, ihnen damals ablehnend
gegenüberstellte, und weshalb ein großer Teil des Laienpublikums diese Rich¬
tung noch heute anfeindet, liegt tiefer. Unsre ganze Erziehung uümlich ist „retro¬
spektiv." Auf den Gymnasien werden wir in die griechische und die römische Litte¬
ratur und ein wenig auch in die bildende Kunst der Antike eingeführt, im deutschen
Unterricht wird das Hauptgewicht auf die Litteratur des vorigen Jahrhunderts
gelegt, die nach den aus der Antike überkommenen Mustern schuf. Goethe hat
sein bestes in Italien an der Antike gelernt. Außerdem liest der Gymnasiast die
Balladen von Uhland, Gedichte von Geibel, Rückert, Lenau und andern Roman¬
tikern. Wenn damit hie und da etwas Kunstgeschichte verbunden wird, so be¬
handelt diese Raphael, Michelangelo und Lionardo da Vinci. In der neuern Kunst
geht er höchstens bis zu Schwinds sieben Raben herab. So werden uns die
künstlerischen Grundsätze des Klassizismus an den Meistern selbst oder an solchen
Künstlern und Dichtern eingeimpft, die ihnen folgten. Von der künstlerischen
Kultur der neuesten Zeit hören wir nichts. So kommt es, daß wir, befangen
in den Kunstgesetzen, die durch tausende von Jahren immer wieder aufs neue
zur Geltung gebracht worden sind, der modernsten Kunst, die diese Gesetze über
Bord wirft, fremd gegenüberstehen. Erst eine längere und eingehende Be-
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