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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lharles Aingsley als Dichter und Sozicilreforiner

und Hypatia als seiner Ratgeberin sprachen und in Verwünschungen aus-
brachen, Gottes Fluch auf ihr Haupt herabrieselt und sich mit der Aussicht
ewiger Pein für beide trösteten, dann überkam ihn ein Schauder, und unwill¬
kürlich fragte er sich selbst: Das sind die Diener des Evangeliums? das die
Früchte des heiligen Geistes? Und es ging ein Flüstern durch seine Seele:
Giebt es ein Evangelium? giebt es einen Geist Christi? würden nicht ihre
Früchte anders sein als diese?"

So wird Philammon einer der eifrigsten Schüler Hypatias. Er wohnt
bei dem witzigen, das Christentum wie das Judentum hassenden Pförtner
Eudämon und gerät immer tiefer in den Bann der griechischen Philosophie
und der syrischen Mystik. "Jetzt sind -- sagt eines Tages Hypatia zu ihm --
die Christen und nicht die Heiden Götzendiener. Sie, die den Knochen toter
Menschen Wunderkraft zuschreiben, aus Beinhnusern Tempel machen und sich
vor den Bildern der niedrigsten Menschen verbeugen, haben sicher kein Recht,
die Griechen oder Ägypter, die in einer symbolischen Schönheit die mit Worten
unerreichbaren Ideen verkörpern, des Götzendienstes zu beschuldigen. Uns wurde
durch die ersten Philosophen Griechenlands, durch die Priester des alten
Ägyptens und die Weisen Babylons gelehrt, in den Göttern die allgemeinen
Kräfte der Natur, die Offenbarungen des einen allgemeinen Geistes zu sehen;
denn unsre Götter sind nnr verschiedenartige Äußerungen der einen, ursprüng¬
lichen Einheit, oder besser verschiedne Erscheinungsformen jener Einheit; sie
sind je nach der Verschiedenheit des Klimas oder der Rassen bald so, bald so
von den Weisen der verschiednen Völker aufgefaßt worden. Es giebt kein
Dogma der Galilüer, das nicht nnter der einen oder der andern Form in einer
jener Religionen zu finden wäre, von denen sie behaupten, sie hätten ihnen
nichts entlehnt. Ha, wäre dieser galiläische Aberglaube damit zufrieden, seinen
Platz demütig nnter den andern Religionen des Reiches einzunehmen, dann
würde man ihn wohl dulden können als eine anthropomorphische Auffassung
göttlicher Dinge, geeignet für den gemeinen, arbeitenden Haufen, vielleicht sogar
ganz besonders dazu geeignet, weil er ihm schmeichelt."

Die Mönche schworen Philammon Rache wegen seines Abfalls. Eines
Tages wird er von einer ganzen Horde überfallen, aber von dem vorüber¬
fahrenden Präfekten Orestes beschützt. Die Wut der Menge richtet sich nun
auf den Prcifekten, und er würde in seinein Wagen erschlagen werden, wenn
nicht die herbeieilenden Goten die rasende Volksmenge auseinandertrieben und
den blutenden Prcifekten in ihr Hans schleppten. Jetzt ist Orestes zu jedem
Staatsstreich bereit. Heraklian, der Statthalter von Afrika, hat sich gegen
den weströmischen Kaiser Honorius empört und ist mit einem Heere nach
Italien gezogen, um Honorius zu stürzen und sich zum Kaiser zu macheu.
Orestes erhält die Nachricht, daß Herakliau bei Ossia einen Sieg erfochten
habe. Da ist sein Plan fertig. Er will das alexandrinische Volk auf seine


Lharles Aingsley als Dichter und Sozicilreforiner

und Hypatia als seiner Ratgeberin sprachen und in Verwünschungen aus-
brachen, Gottes Fluch auf ihr Haupt herabrieselt und sich mit der Aussicht
ewiger Pein für beide trösteten, dann überkam ihn ein Schauder, und unwill¬
kürlich fragte er sich selbst: Das sind die Diener des Evangeliums? das die
Früchte des heiligen Geistes? Und es ging ein Flüstern durch seine Seele:
Giebt es ein Evangelium? giebt es einen Geist Christi? würden nicht ihre
Früchte anders sein als diese?"

So wird Philammon einer der eifrigsten Schüler Hypatias. Er wohnt
bei dem witzigen, das Christentum wie das Judentum hassenden Pförtner
Eudämon und gerät immer tiefer in den Bann der griechischen Philosophie
und der syrischen Mystik. „Jetzt sind — sagt eines Tages Hypatia zu ihm —
die Christen und nicht die Heiden Götzendiener. Sie, die den Knochen toter
Menschen Wunderkraft zuschreiben, aus Beinhnusern Tempel machen und sich
vor den Bildern der niedrigsten Menschen verbeugen, haben sicher kein Recht,
die Griechen oder Ägypter, die in einer symbolischen Schönheit die mit Worten
unerreichbaren Ideen verkörpern, des Götzendienstes zu beschuldigen. Uns wurde
durch die ersten Philosophen Griechenlands, durch die Priester des alten
Ägyptens und die Weisen Babylons gelehrt, in den Göttern die allgemeinen
Kräfte der Natur, die Offenbarungen des einen allgemeinen Geistes zu sehen;
denn unsre Götter sind nnr verschiedenartige Äußerungen der einen, ursprüng¬
lichen Einheit, oder besser verschiedne Erscheinungsformen jener Einheit; sie
sind je nach der Verschiedenheit des Klimas oder der Rassen bald so, bald so
von den Weisen der verschiednen Völker aufgefaßt worden. Es giebt kein
Dogma der Galilüer, das nicht nnter der einen oder der andern Form in einer
jener Religionen zu finden wäre, von denen sie behaupten, sie hätten ihnen
nichts entlehnt. Ha, wäre dieser galiläische Aberglaube damit zufrieden, seinen
Platz demütig nnter den andern Religionen des Reiches einzunehmen, dann
würde man ihn wohl dulden können als eine anthropomorphische Auffassung
göttlicher Dinge, geeignet für den gemeinen, arbeitenden Haufen, vielleicht sogar
ganz besonders dazu geeignet, weil er ihm schmeichelt."

Die Mönche schworen Philammon Rache wegen seines Abfalls. Eines
Tages wird er von einer ganzen Horde überfallen, aber von dem vorüber¬
fahrenden Präfekten Orestes beschützt. Die Wut der Menge richtet sich nun
auf den Prcifekten, und er würde in seinein Wagen erschlagen werden, wenn
nicht die herbeieilenden Goten die rasende Volksmenge auseinandertrieben und
den blutenden Prcifekten in ihr Hans schleppten. Jetzt ist Orestes zu jedem
Staatsstreich bereit. Heraklian, der Statthalter von Afrika, hat sich gegen
den weströmischen Kaiser Honorius empört und ist mit einem Heere nach
Italien gezogen, um Honorius zu stürzen und sich zum Kaiser zu macheu.
Orestes erhält die Nachricht, daß Herakliau bei Ossia einen Sieg erfochten
habe. Da ist sein Plan fertig. Er will das alexandrinische Volk auf seine


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[0462] Lharles Aingsley als Dichter und Sozicilreforiner und Hypatia als seiner Ratgeberin sprachen und in Verwünschungen aus- brachen, Gottes Fluch auf ihr Haupt herabrieselt und sich mit der Aussicht ewiger Pein für beide trösteten, dann überkam ihn ein Schauder, und unwill¬ kürlich fragte er sich selbst: Das sind die Diener des Evangeliums? das die Früchte des heiligen Geistes? Und es ging ein Flüstern durch seine Seele: Giebt es ein Evangelium? giebt es einen Geist Christi? würden nicht ihre Früchte anders sein als diese?" So wird Philammon einer der eifrigsten Schüler Hypatias. Er wohnt bei dem witzigen, das Christentum wie das Judentum hassenden Pförtner Eudämon und gerät immer tiefer in den Bann der griechischen Philosophie und der syrischen Mystik. „Jetzt sind — sagt eines Tages Hypatia zu ihm — die Christen und nicht die Heiden Götzendiener. Sie, die den Knochen toter Menschen Wunderkraft zuschreiben, aus Beinhnusern Tempel machen und sich vor den Bildern der niedrigsten Menschen verbeugen, haben sicher kein Recht, die Griechen oder Ägypter, die in einer symbolischen Schönheit die mit Worten unerreichbaren Ideen verkörpern, des Götzendienstes zu beschuldigen. Uns wurde durch die ersten Philosophen Griechenlands, durch die Priester des alten Ägyptens und die Weisen Babylons gelehrt, in den Göttern die allgemeinen Kräfte der Natur, die Offenbarungen des einen allgemeinen Geistes zu sehen; denn unsre Götter sind nnr verschiedenartige Äußerungen der einen, ursprüng¬ lichen Einheit, oder besser verschiedne Erscheinungsformen jener Einheit; sie sind je nach der Verschiedenheit des Klimas oder der Rassen bald so, bald so von den Weisen der verschiednen Völker aufgefaßt worden. Es giebt kein Dogma der Galilüer, das nicht nnter der einen oder der andern Form in einer jener Religionen zu finden wäre, von denen sie behaupten, sie hätten ihnen nichts entlehnt. Ha, wäre dieser galiläische Aberglaube damit zufrieden, seinen Platz demütig nnter den andern Religionen des Reiches einzunehmen, dann würde man ihn wohl dulden können als eine anthropomorphische Auffassung göttlicher Dinge, geeignet für den gemeinen, arbeitenden Haufen, vielleicht sogar ganz besonders dazu geeignet, weil er ihm schmeichelt." Die Mönche schworen Philammon Rache wegen seines Abfalls. Eines Tages wird er von einer ganzen Horde überfallen, aber von dem vorüber¬ fahrenden Präfekten Orestes beschützt. Die Wut der Menge richtet sich nun auf den Prcifekten, und er würde in seinein Wagen erschlagen werden, wenn nicht die herbeieilenden Goten die rasende Volksmenge auseinandertrieben und den blutenden Prcifekten in ihr Hans schleppten. Jetzt ist Orestes zu jedem Staatsstreich bereit. Heraklian, der Statthalter von Afrika, hat sich gegen den weströmischen Kaiser Honorius empört und ist mit einem Heere nach Italien gezogen, um Honorius zu stürzen und sich zum Kaiser zu macheu. Orestes erhält die Nachricht, daß Herakliau bei Ossia einen Sieg erfochten habe. Da ist sein Plan fertig. Er will das alexandrinische Volk auf seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/462>, abgerufen am 27.11.2024.