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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Charles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

und die manche Ähnlichkeiten mit dem neunzehnten ausweisen, kamen noch die
religiösen Richtungen und kirchlichen Streitigkeiten, die ihm Gelegenheit genng
gaben, noch einmal gegen die Traktarianer, Puseyisten und Ritualisten einen
kräftigen Angriff zu richten. Diese hatten, wie wir bei der Kritik der "Hei¬
ligen Elisabeth" gesehen haben, die ersten Jahrhunderte der christlichen Kirche
als vorbildlich für die Umgestaltung der englischen Kirche bezeichnet. Kingsleh
machte aus seiner dem Anglokathvlizismus feindlichen Tendenz kein Hehl; er
nannte seinen Roman: ni^Me-ni or Aso ?os8 vieil g.u OIÄ ?aos und sagt
am Schluß: "Ich habe euch neue Feinde unter einem alten Gesichte gezeigt,
eure eignen Bilder in Toga und Tunika, statt in Rock und Hut. Noch ein
Wort, ehe wir scheiden. Derselbe Teufel, der jene alten Ägypter versuchte,
versucht auch euch. Derselbe Gott, der jene alten Ägypter errettet haben
würde, wenn sie gewollt hatten, wird euch erretten, wenn ihr wollt. Ihre
Sünden sind die eurigen, ihre Irrtümer die eurigen, ihr Schicksal, ihre Er¬
lösung die eurige. Es giebt nichts neues unter der Sonne. Was gewesen
ist, ist dasselbe, was sein wird. Laßt den, der unter euch ohne Sünde ist,
den ersten Stein werfen ans Hypntia oder Pelagia, Mirjam oder Raphael,
Cyrill oder Philammon."

Wie ^vast, und ^ltou Il0vie"z, ist auch I^pa.den ein Tendeuzroman. Aber
dadurch, daß Kingsley die griechische Philosophin mit ihren dem Christentum
entgegenstehenden neuplatonischen Lehren in den Mittelpunkt stellt und alle
politischen, religiösen und sozialen Bewegungen aus dem Aufang des fünften
Jahrunderts um sie kreisen läßt, hat er einen kulturgeschichtlichen Roman ersten
Ranges geschaffen.

Alexandria war zu Anfang des fünften Jahrhunderts die einzige Stätte,
wo sich während des Sturmes der Völkerwanderung die griechisch-orientalische
Kultur noch einige Jahre halten konnte. Alle Gegensätze der alten Welt trafen
hier noch einmal in heftigem Kampfe zusammen: das Hellenentnm mit seiner
Philosophie und Litteratur, das Römertum mit seinen politischen Idealen, das
Judentum mit seinem Epikurcismus und Cynismus, das Christentum mit seiner
rücksichtslosen Hierarchie und seinen blutgierigen Fanatikern, die die griechische
Bildung verabscheuten, die römische Staatsgewalt haßten und die jüdischen
Kapitalisten verfolgten. Zu diesen unheimlichen Gegensätzen, die von Tag zu
Tage schärfer wurden, kam noch als- vorübergehender Gührstoff das Germanen¬
tum. Nachdem die Goten Athen geplündert hatten, waren einige Züge, von
ihrem Fürsten Amat geleitet, übers Meer nach Alexandria gekommen und hatten
dort mit ihren Hnnenleibern und ihrer seltsamen Ausrüstung alles in Angst
gesetzt. Die Juden scharten sich um ihre Rabbis und den reichen Raphael
Eben-Ezra. Die Christen fanden an ihrem Bischof Cyrill einen mächtigen
Führer. Die Nömischgesinnten schlössen sich um den ehrgeizigen, aber feigen
Präfekten Orestes. Und die Anhänger der griechischen Philosophie hatten zwar


Charles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

und die manche Ähnlichkeiten mit dem neunzehnten ausweisen, kamen noch die
religiösen Richtungen und kirchlichen Streitigkeiten, die ihm Gelegenheit genng
gaben, noch einmal gegen die Traktarianer, Puseyisten und Ritualisten einen
kräftigen Angriff zu richten. Diese hatten, wie wir bei der Kritik der „Hei¬
ligen Elisabeth" gesehen haben, die ersten Jahrhunderte der christlichen Kirche
als vorbildlich für die Umgestaltung der englischen Kirche bezeichnet. Kingsleh
machte aus seiner dem Anglokathvlizismus feindlichen Tendenz kein Hehl; er
nannte seinen Roman: ni^Me-ni or Aso ?os8 vieil g.u OIÄ ?aos und sagt
am Schluß: „Ich habe euch neue Feinde unter einem alten Gesichte gezeigt,
eure eignen Bilder in Toga und Tunika, statt in Rock und Hut. Noch ein
Wort, ehe wir scheiden. Derselbe Teufel, der jene alten Ägypter versuchte,
versucht auch euch. Derselbe Gott, der jene alten Ägypter errettet haben
würde, wenn sie gewollt hatten, wird euch erretten, wenn ihr wollt. Ihre
Sünden sind die eurigen, ihre Irrtümer die eurigen, ihr Schicksal, ihre Er¬
lösung die eurige. Es giebt nichts neues unter der Sonne. Was gewesen
ist, ist dasselbe, was sein wird. Laßt den, der unter euch ohne Sünde ist,
den ersten Stein werfen ans Hypntia oder Pelagia, Mirjam oder Raphael,
Cyrill oder Philammon."

Wie ^vast, und ^ltou Il0vie«z, ist auch I^pa.den ein Tendeuzroman. Aber
dadurch, daß Kingsley die griechische Philosophin mit ihren dem Christentum
entgegenstehenden neuplatonischen Lehren in den Mittelpunkt stellt und alle
politischen, religiösen und sozialen Bewegungen aus dem Aufang des fünften
Jahrunderts um sie kreisen läßt, hat er einen kulturgeschichtlichen Roman ersten
Ranges geschaffen.

Alexandria war zu Anfang des fünften Jahrhunderts die einzige Stätte,
wo sich während des Sturmes der Völkerwanderung die griechisch-orientalische
Kultur noch einige Jahre halten konnte. Alle Gegensätze der alten Welt trafen
hier noch einmal in heftigem Kampfe zusammen: das Hellenentnm mit seiner
Philosophie und Litteratur, das Römertum mit seinen politischen Idealen, das
Judentum mit seinem Epikurcismus und Cynismus, das Christentum mit seiner
rücksichtslosen Hierarchie und seinen blutgierigen Fanatikern, die die griechische
Bildung verabscheuten, die römische Staatsgewalt haßten und die jüdischen
Kapitalisten verfolgten. Zu diesen unheimlichen Gegensätzen, die von Tag zu
Tage schärfer wurden, kam noch als- vorübergehender Gührstoff das Germanen¬
tum. Nachdem die Goten Athen geplündert hatten, waren einige Züge, von
ihrem Fürsten Amat geleitet, übers Meer nach Alexandria gekommen und hatten
dort mit ihren Hnnenleibern und ihrer seltsamen Ausrüstung alles in Angst
gesetzt. Die Juden scharten sich um ihre Rabbis und den reichen Raphael
Eben-Ezra. Die Christen fanden an ihrem Bischof Cyrill einen mächtigen
Führer. Die Nömischgesinnten schlössen sich um den ehrgeizigen, aber feigen
Präfekten Orestes. Und die Anhänger der griechischen Philosophie hatten zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/460>, abgerufen am 27.11.2024.