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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lilder aus dem Westen

man zuerst treten will, nachdem man sich in der Nachbarschaft die Schlüssel
von einem halben Dutzend geholt hat.

Sobald uns der Kabclbahuwageu aus dem räucherigen Straßengewühl in
diese lichten? Teile der Oberstadt herausgetragen hatte, vergoldete die liebe
Sonne ein ganz andres Straßenbild als das, das sich in der Geschäftsgegend
unsern Blicken geboten hatte: schnurgerade, breite Baumalleen mit kleinen und
großen von Gärtchen umgebnen Villen aus Holz oder Röthlein, das waren
die Straßen. Bor den Häusern standen oft alte Bäume. Wo die Nivel-
lirungsarbeiten die Straße vor den Hausgrundstücken sehr vertieft hatten, er¬
hoben sich kleine Rasenterrassen, in deren Mitte eine Freitreppe hinaufführte.
Kascrnenartige Häuserreihen gab es, hier wo man nur wohnte, aber nicht Ge¬
schäfte trieb, gar nicht mehr. Jedes Grundstück war in sich abgeschlossen, freund¬
lich einladend. Es war kaum ein Häuschen, in dessen Gärtchen sich nicht ein paar
Obstbäume oder Eschen, auch Eichen oder Kastanien über dem geschnitzten Dach
oder über dein zierlichen Sims der Balkonthür oder des Erkers ausgebreitet
hätten. Wie hübsch mußte sich das alles erst im Sommer aufnehmen, wenn
das sprießende Grün den etwas grellroten oder leuchtend gelben Hausanstrich
unterbrach und beschattete!

Nach kurzem Aufenthalte vor dem letzten der dampfenden und brausenden
Maschinenhäuscr, wo auf den vielen hier einmündenden Schienensträngen die
Kabelbahnwagen ans- und einlaufen, war es in sanfter Steigung durch schöne
Garten- und Villenstraßcn immer höher und höher gegangen, bis wir ein
weites Hochland vor uns hatten. Dies war vor Jahr und Tag noch Wildnis
gewesen. Jetzt durchzogen auch dieses schon gerade Chausseen, an deren Seiten
das Land in Gevierte abgeteilt und stellenweise schon bebaut war. Hie und
dn gab es noch eine Fläche Eichengestrüpp, dann kam wieder eine italienische
Villa mit piuieuartigeu Kiesern, dann wieder ein Geviert Urwald und dahinter
die Villa eines Arztes, deren Aufgangstreppe zu beiden Seiten statt mit Prell¬
steine" mit Mamutwirbeln geziert war.

Ich fragte nach dem Besitzer. Wie mir mein Führer sagte, hatte er sich
das Anwesen allerdings nicht, wie ich zu hören hoffte, durch seine Praxis,
sondern dnrch Spekulation erworben. Ebenso auch der Rechtsanwalt dort in
der Florentiner Villa; auch er war uicht dnrch sein Corpus M-i8, sondern
durch Landspeknlntivn zu seinem Reichtum gekommen. Es war das überhaupt
hier das A und das O. Sie schienen alle der Worte des sterbenden Uankce-
vaters an seinen Sohn eingedenk gewesen zu sein: "Sohn, Geldmacher mußt
du. Wenn du kannst, auf ehrliche Weise. Aber gemacht werden muß es!"

Freund Karl, der endlich mit mehreren Schlüssclbündcii beladen ankam, war
froh, daß mir alles so gut gefiel, denn er wollte mich doch gern hier behalten.

Es war ein wahres Schinuclküstchen, in das wir zuerst eintraten. Wir
hatten uns eins der nächsten ausgesucht, das mit seinem im Sonnenschein blau-


Lilder aus dem Westen

man zuerst treten will, nachdem man sich in der Nachbarschaft die Schlüssel
von einem halben Dutzend geholt hat.

Sobald uns der Kabclbahuwageu aus dem räucherigen Straßengewühl in
diese lichten? Teile der Oberstadt herausgetragen hatte, vergoldete die liebe
Sonne ein ganz andres Straßenbild als das, das sich in der Geschäftsgegend
unsern Blicken geboten hatte: schnurgerade, breite Baumalleen mit kleinen und
großen von Gärtchen umgebnen Villen aus Holz oder Röthlein, das waren
die Straßen. Bor den Häusern standen oft alte Bäume. Wo die Nivel-
lirungsarbeiten die Straße vor den Hausgrundstücken sehr vertieft hatten, er¬
hoben sich kleine Rasenterrassen, in deren Mitte eine Freitreppe hinaufführte.
Kascrnenartige Häuserreihen gab es, hier wo man nur wohnte, aber nicht Ge¬
schäfte trieb, gar nicht mehr. Jedes Grundstück war in sich abgeschlossen, freund¬
lich einladend. Es war kaum ein Häuschen, in dessen Gärtchen sich nicht ein paar
Obstbäume oder Eschen, auch Eichen oder Kastanien über dem geschnitzten Dach
oder über dein zierlichen Sims der Balkonthür oder des Erkers ausgebreitet
hätten. Wie hübsch mußte sich das alles erst im Sommer aufnehmen, wenn
das sprießende Grün den etwas grellroten oder leuchtend gelben Hausanstrich
unterbrach und beschattete!

Nach kurzem Aufenthalte vor dem letzten der dampfenden und brausenden
Maschinenhäuscr, wo auf den vielen hier einmündenden Schienensträngen die
Kabelbahnwagen ans- und einlaufen, war es in sanfter Steigung durch schöne
Garten- und Villenstraßcn immer höher und höher gegangen, bis wir ein
weites Hochland vor uns hatten. Dies war vor Jahr und Tag noch Wildnis
gewesen. Jetzt durchzogen auch dieses schon gerade Chausseen, an deren Seiten
das Land in Gevierte abgeteilt und stellenweise schon bebaut war. Hie und
dn gab es noch eine Fläche Eichengestrüpp, dann kam wieder eine italienische
Villa mit piuieuartigeu Kiesern, dann wieder ein Geviert Urwald und dahinter
die Villa eines Arztes, deren Aufgangstreppe zu beiden Seiten statt mit Prell¬
steine» mit Mamutwirbeln geziert war.

Ich fragte nach dem Besitzer. Wie mir mein Führer sagte, hatte er sich
das Anwesen allerdings nicht, wie ich zu hören hoffte, durch seine Praxis,
sondern dnrch Spekulation erworben. Ebenso auch der Rechtsanwalt dort in
der Florentiner Villa; auch er war uicht dnrch sein Corpus M-i8, sondern
durch Landspeknlntivn zu seinem Reichtum gekommen. Es war das überhaupt
hier das A und das O. Sie schienen alle der Worte des sterbenden Uankce-
vaters an seinen Sohn eingedenk gewesen zu sein: „Sohn, Geldmacher mußt
du. Wenn du kannst, auf ehrliche Weise. Aber gemacht werden muß es!"

Freund Karl, der endlich mit mehreren Schlüssclbündcii beladen ankam, war
froh, daß mir alles so gut gefiel, denn er wollte mich doch gern hier behalten.

Es war ein wahres Schinuclküstchen, in das wir zuerst eintraten. Wir
hatten uns eins der nächsten ausgesucht, das mit seinem im Sonnenschein blau-


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[0046] Lilder aus dem Westen man zuerst treten will, nachdem man sich in der Nachbarschaft die Schlüssel von einem halben Dutzend geholt hat. Sobald uns der Kabclbahuwageu aus dem räucherigen Straßengewühl in diese lichten? Teile der Oberstadt herausgetragen hatte, vergoldete die liebe Sonne ein ganz andres Straßenbild als das, das sich in der Geschäftsgegend unsern Blicken geboten hatte: schnurgerade, breite Baumalleen mit kleinen und großen von Gärtchen umgebnen Villen aus Holz oder Röthlein, das waren die Straßen. Bor den Häusern standen oft alte Bäume. Wo die Nivel- lirungsarbeiten die Straße vor den Hausgrundstücken sehr vertieft hatten, er¬ hoben sich kleine Rasenterrassen, in deren Mitte eine Freitreppe hinaufführte. Kascrnenartige Häuserreihen gab es, hier wo man nur wohnte, aber nicht Ge¬ schäfte trieb, gar nicht mehr. Jedes Grundstück war in sich abgeschlossen, freund¬ lich einladend. Es war kaum ein Häuschen, in dessen Gärtchen sich nicht ein paar Obstbäume oder Eschen, auch Eichen oder Kastanien über dem geschnitzten Dach oder über dein zierlichen Sims der Balkonthür oder des Erkers ausgebreitet hätten. Wie hübsch mußte sich das alles erst im Sommer aufnehmen, wenn das sprießende Grün den etwas grellroten oder leuchtend gelben Hausanstrich unterbrach und beschattete! Nach kurzem Aufenthalte vor dem letzten der dampfenden und brausenden Maschinenhäuscr, wo auf den vielen hier einmündenden Schienensträngen die Kabelbahnwagen ans- und einlaufen, war es in sanfter Steigung durch schöne Garten- und Villenstraßcn immer höher und höher gegangen, bis wir ein weites Hochland vor uns hatten. Dies war vor Jahr und Tag noch Wildnis gewesen. Jetzt durchzogen auch dieses schon gerade Chausseen, an deren Seiten das Land in Gevierte abgeteilt und stellenweise schon bebaut war. Hie und dn gab es noch eine Fläche Eichengestrüpp, dann kam wieder eine italienische Villa mit piuieuartigeu Kiesern, dann wieder ein Geviert Urwald und dahinter die Villa eines Arztes, deren Aufgangstreppe zu beiden Seiten statt mit Prell¬ steine» mit Mamutwirbeln geziert war. Ich fragte nach dem Besitzer. Wie mir mein Führer sagte, hatte er sich das Anwesen allerdings nicht, wie ich zu hören hoffte, durch seine Praxis, sondern dnrch Spekulation erworben. Ebenso auch der Rechtsanwalt dort in der Florentiner Villa; auch er war uicht dnrch sein Corpus M-i8, sondern durch Landspeknlntivn zu seinem Reichtum gekommen. Es war das überhaupt hier das A und das O. Sie schienen alle der Worte des sterbenden Uankce- vaters an seinen Sohn eingedenk gewesen zu sein: „Sohn, Geldmacher mußt du. Wenn du kannst, auf ehrliche Weise. Aber gemacht werden muß es!" Freund Karl, der endlich mit mehreren Schlüssclbündcii beladen ankam, war froh, daß mir alles so gut gefiel, denn er wollte mich doch gern hier behalten. Es war ein wahres Schinuclküstchen, in das wir zuerst eintraten. Wir hatten uns eins der nächsten ausgesucht, das mit seinem im Sonnenschein blau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/46>, abgerufen am 23.11.2024.