Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

terung hinauslief. Herzog Georg zeigte sich anfangs dem Unternehmen ge¬
neigt, erklärte aber dann später ganz entschieden, daß er bei der bisherigen
Münzpolitik verharren wolle. Von seinem Hofe ging 1530 die anonyme
Schrift aus: "Gemeyne Stimmen von der Müntz / und ob es dem Hanse
und Fürstentumb zu Sachssen Ehrlicher und zutreglicher sey / die alte gute
Müntz zu behalten / otter geringere anzunehmen." Von crnestinischcr Seite
erschien dagegen noch im selben Jahre: "Antwort und bericht: der furnemsten
Punct und Artikel / nuff daS Büchlein u. s. w.," worauf der Albertiuer mit
einer "Apologia und Verantwortung" erwiderte. Selbstverständlich siegten zu
guterletzt die Münzverschlechterer. Diese Drei Flugschriften hat nun
Dr. Walther Lotz mit einer Übersetzung ins Neudeutsche und Anmerkungen
bei Duncker und Humblot in Leipzig herausgegeben (als Ur. 2 der von
Brentano und Leser veranstalteten "Sammlung älterer und neuerer staats-
wissenschaftlicher Schriften"). Von den vorliegenden drei Flugschriften sind
besonders die beiden albertinischen hochinteressant, weil sie drittehalbhundert
Jahre vor Adam Smith der merkantilistischen Überschätzung des Geldes ent¬
gegentreten -- überhaupt gesunde volkswirtschaftliche Ansichten entwickeln --
und alle jene Gründe entkräften, mit denen unsre heutige" Agrarier eine
Münzverschlechteruug empfehlen. Eine Minderung des Wertes der Münzen
um den zehnten Teil, meint der Verfasser, würde eine Verminderung aller
Einkommen um ebensoviel bedeuten -- zu Gunsten der wenigen, denen die
Münzverschlechteruug nutze; das sei also eine allgemeine Steuer vou zehn
Prozenten des Einkommens, eine höhere und schädlichere Steuer als irgend
eine der sonst üblichen Steuern.

Das andre Schriftchen ist betitelt: Das natürliche Geldsystem, oder
die Entdeckung der Goldmacherkunst. Kurzgefaßter Leitfaden zum Verständnis
für jeden Denkenden von D. S. F. Kern. (2. Auflage. Berlin 0, Uthe-
mauu und Müller, 1893.) Wir erwähnen es nnr, um einen Begriff von
der Frechheit zu geben, mit der erwerbskundige "Schriftsteller" das Publikum
zu besteuern verstehen. Das Schriftchen kostet nur vierzig Pfennige und er¬
ledigt auf vierzehn Seiten außer der Müuzpolitik auch noch die gerechte Güter¬
verteilung, die Übervölkerung und die Altersversorgung. Auf S. 9 finden
wir folgenden Galimathias: "Die landesübliche Münze des natürlichen Geld¬
systems ist die Aktie eines idealen Wertes von unveränderlicher, nie über
M'i steigender, nie unter p-iri sinkender Zahlkraft, der sich in derselben Weise
durch die Zirkulation, d. h. den Austausch friedlicher Arbeit realisirt, als die
Aktie durch die allgemeine prozentuale Umsatzsteuer nmortisirt wird, und da¬
durch eine durch Arbeit geschaffne Kapitnlerhvhuug bewirkt wird in der Höhe
der verausgabten Aktie, fort und fort bis an die Grenze vorhandner Arbeits¬
kraft." Den Gipfel der Frechheit bildet folgendes "Kapitel": "Auf welche
Weise findet die Einführung des natürlichen Geldsysteins statt?" Antwort:


terung hinauslief. Herzog Georg zeigte sich anfangs dem Unternehmen ge¬
neigt, erklärte aber dann später ganz entschieden, daß er bei der bisherigen
Münzpolitik verharren wolle. Von seinem Hofe ging 1530 die anonyme
Schrift aus: „Gemeyne Stimmen von der Müntz / und ob es dem Hanse
und Fürstentumb zu Sachssen Ehrlicher und zutreglicher sey / die alte gute
Müntz zu behalten / otter geringere anzunehmen." Von crnestinischcr Seite
erschien dagegen noch im selben Jahre: „Antwort und bericht: der furnemsten
Punct und Artikel / nuff daS Büchlein u. s. w.," worauf der Albertiuer mit
einer „Apologia und Verantwortung" erwiderte. Selbstverständlich siegten zu
guterletzt die Münzverschlechterer. Diese Drei Flugschriften hat nun
Dr. Walther Lotz mit einer Übersetzung ins Neudeutsche und Anmerkungen
bei Duncker und Humblot in Leipzig herausgegeben (als Ur. 2 der von
Brentano und Leser veranstalteten „Sammlung älterer und neuerer staats-
wissenschaftlicher Schriften"). Von den vorliegenden drei Flugschriften sind
besonders die beiden albertinischen hochinteressant, weil sie drittehalbhundert
Jahre vor Adam Smith der merkantilistischen Überschätzung des Geldes ent¬
gegentreten — überhaupt gesunde volkswirtschaftliche Ansichten entwickeln —
und alle jene Gründe entkräften, mit denen unsre heutige» Agrarier eine
Münzverschlechteruug empfehlen. Eine Minderung des Wertes der Münzen
um den zehnten Teil, meint der Verfasser, würde eine Verminderung aller
Einkommen um ebensoviel bedeuten — zu Gunsten der wenigen, denen die
Münzverschlechteruug nutze; das sei also eine allgemeine Steuer vou zehn
Prozenten des Einkommens, eine höhere und schädlichere Steuer als irgend
eine der sonst üblichen Steuern.

Das andre Schriftchen ist betitelt: Das natürliche Geldsystem, oder
die Entdeckung der Goldmacherkunst. Kurzgefaßter Leitfaden zum Verständnis
für jeden Denkenden von D. S. F. Kern. (2. Auflage. Berlin 0, Uthe-
mauu und Müller, 1893.) Wir erwähnen es nnr, um einen Begriff von
der Frechheit zu geben, mit der erwerbskundige „Schriftsteller" das Publikum
zu besteuern verstehen. Das Schriftchen kostet nur vierzig Pfennige und er¬
ledigt auf vierzehn Seiten außer der Müuzpolitik auch noch die gerechte Güter¬
verteilung, die Übervölkerung und die Altersversorgung. Auf S. 9 finden
wir folgenden Galimathias: „Die landesübliche Münze des natürlichen Geld¬
systems ist die Aktie eines idealen Wertes von unveränderlicher, nie über
M'i steigender, nie unter p-iri sinkender Zahlkraft, der sich in derselben Weise
durch die Zirkulation, d. h. den Austausch friedlicher Arbeit realisirt, als die
Aktie durch die allgemeine prozentuale Umsatzsteuer nmortisirt wird, und da¬
durch eine durch Arbeit geschaffne Kapitnlerhvhuug bewirkt wird in der Höhe
der verausgabten Aktie, fort und fort bis an die Grenze vorhandner Arbeits¬
kraft." Den Gipfel der Frechheit bildet folgendes „Kapitel": „Auf welche
Weise findet die Einführung des natürlichen Geldsysteins statt?" Antwort:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215543"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" prev="#ID_1591"> terung hinauslief. Herzog Georg zeigte sich anfangs dem Unternehmen ge¬<lb/>
neigt, erklärte aber dann später ganz entschieden, daß er bei der bisherigen<lb/>
Münzpolitik verharren wolle. Von seinem Hofe ging 1530 die anonyme<lb/>
Schrift aus: &#x201E;Gemeyne Stimmen von der Müntz / und ob es dem Hanse<lb/>
und Fürstentumb zu Sachssen Ehrlicher und zutreglicher sey / die alte gute<lb/>
Müntz zu behalten / otter geringere anzunehmen." Von crnestinischcr Seite<lb/>
erschien dagegen noch im selben Jahre: &#x201E;Antwort und bericht: der furnemsten<lb/>
Punct und Artikel / nuff daS Büchlein u. s. w.," worauf der Albertiuer mit<lb/>
einer &#x201E;Apologia und Verantwortung" erwiderte. Selbstverständlich siegten zu<lb/>
guterletzt die Münzverschlechterer. Diese Drei Flugschriften hat nun<lb/>
Dr. Walther Lotz mit einer Übersetzung ins Neudeutsche und Anmerkungen<lb/>
bei Duncker und Humblot in Leipzig herausgegeben (als Ur. 2 der von<lb/>
Brentano und Leser veranstalteten &#x201E;Sammlung älterer und neuerer staats-<lb/>
wissenschaftlicher Schriften"). Von den vorliegenden drei Flugschriften sind<lb/>
besonders die beiden albertinischen hochinteressant, weil sie drittehalbhundert<lb/>
Jahre vor Adam Smith der merkantilistischen Überschätzung des Geldes ent¬<lb/>
gegentreten &#x2014; überhaupt gesunde volkswirtschaftliche Ansichten entwickeln &#x2014;<lb/>
und alle jene Gründe entkräften, mit denen unsre heutige» Agrarier eine<lb/>
Münzverschlechteruug empfehlen. Eine Minderung des Wertes der Münzen<lb/>
um den zehnten Teil, meint der Verfasser, würde eine Verminderung aller<lb/>
Einkommen um ebensoviel bedeuten &#x2014; zu Gunsten der wenigen, denen die<lb/>
Münzverschlechteruug nutze; das sei also eine allgemeine Steuer vou zehn<lb/>
Prozenten des Einkommens, eine höhere und schädlichere Steuer als irgend<lb/>
eine der sonst üblichen Steuern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1593" next="#ID_1594"> Das andre Schriftchen ist betitelt: Das natürliche Geldsystem, oder<lb/>
die Entdeckung der Goldmacherkunst. Kurzgefaßter Leitfaden zum Verständnis<lb/>
für jeden Denkenden von D. S. F. Kern. (2. Auflage. Berlin 0, Uthe-<lb/>
mauu und Müller, 1893.) Wir erwähnen es nnr, um einen Begriff von<lb/>
der Frechheit zu geben, mit der erwerbskundige &#x201E;Schriftsteller" das Publikum<lb/>
zu besteuern verstehen. Das Schriftchen kostet nur vierzig Pfennige und er¬<lb/>
ledigt auf vierzehn Seiten außer der Müuzpolitik auch noch die gerechte Güter¬<lb/>
verteilung, die Übervölkerung und die Altersversorgung. Auf S. 9 finden<lb/>
wir folgenden Galimathias: &#x201E;Die landesübliche Münze des natürlichen Geld¬<lb/>
systems ist die Aktie eines idealen Wertes von unveränderlicher, nie über<lb/>
M'i steigender, nie unter p-iri sinkender Zahlkraft, der sich in derselben Weise<lb/>
durch die Zirkulation, d. h. den Austausch friedlicher Arbeit realisirt, als die<lb/>
Aktie durch die allgemeine prozentuale Umsatzsteuer nmortisirt wird, und da¬<lb/>
durch eine durch Arbeit geschaffne Kapitnlerhvhuug bewirkt wird in der Höhe<lb/>
der verausgabten Aktie, fort und fort bis an die Grenze vorhandner Arbeits¬<lb/>
kraft." Den Gipfel der Frechheit bildet folgendes &#x201E;Kapitel": &#x201E;Auf welche<lb/>
Weise findet die Einführung des natürlichen Geldsysteins statt?" Antwort:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] terung hinauslief. Herzog Georg zeigte sich anfangs dem Unternehmen ge¬ neigt, erklärte aber dann später ganz entschieden, daß er bei der bisherigen Münzpolitik verharren wolle. Von seinem Hofe ging 1530 die anonyme Schrift aus: „Gemeyne Stimmen von der Müntz / und ob es dem Hanse und Fürstentumb zu Sachssen Ehrlicher und zutreglicher sey / die alte gute Müntz zu behalten / otter geringere anzunehmen." Von crnestinischcr Seite erschien dagegen noch im selben Jahre: „Antwort und bericht: der furnemsten Punct und Artikel / nuff daS Büchlein u. s. w.," worauf der Albertiuer mit einer „Apologia und Verantwortung" erwiderte. Selbstverständlich siegten zu guterletzt die Münzverschlechterer. Diese Drei Flugschriften hat nun Dr. Walther Lotz mit einer Übersetzung ins Neudeutsche und Anmerkungen bei Duncker und Humblot in Leipzig herausgegeben (als Ur. 2 der von Brentano und Leser veranstalteten „Sammlung älterer und neuerer staats- wissenschaftlicher Schriften"). Von den vorliegenden drei Flugschriften sind besonders die beiden albertinischen hochinteressant, weil sie drittehalbhundert Jahre vor Adam Smith der merkantilistischen Überschätzung des Geldes ent¬ gegentreten — überhaupt gesunde volkswirtschaftliche Ansichten entwickeln — und alle jene Gründe entkräften, mit denen unsre heutige» Agrarier eine Münzverschlechteruug empfehlen. Eine Minderung des Wertes der Münzen um den zehnten Teil, meint der Verfasser, würde eine Verminderung aller Einkommen um ebensoviel bedeuten — zu Gunsten der wenigen, denen die Münzverschlechteruug nutze; das sei also eine allgemeine Steuer vou zehn Prozenten des Einkommens, eine höhere und schädlichere Steuer als irgend eine der sonst üblichen Steuern. Das andre Schriftchen ist betitelt: Das natürliche Geldsystem, oder die Entdeckung der Goldmacherkunst. Kurzgefaßter Leitfaden zum Verständnis für jeden Denkenden von D. S. F. Kern. (2. Auflage. Berlin 0, Uthe- mauu und Müller, 1893.) Wir erwähnen es nnr, um einen Begriff von der Frechheit zu geben, mit der erwerbskundige „Schriftsteller" das Publikum zu besteuern verstehen. Das Schriftchen kostet nur vierzig Pfennige und er¬ ledigt auf vierzehn Seiten außer der Müuzpolitik auch noch die gerechte Güter¬ verteilung, die Übervölkerung und die Altersversorgung. Auf S. 9 finden wir folgenden Galimathias: „Die landesübliche Münze des natürlichen Geld¬ systems ist die Aktie eines idealen Wertes von unveränderlicher, nie über M'i steigender, nie unter p-iri sinkender Zahlkraft, der sich in derselben Weise durch die Zirkulation, d. h. den Austausch friedlicher Arbeit realisirt, als die Aktie durch die allgemeine prozentuale Umsatzsteuer nmortisirt wird, und da¬ durch eine durch Arbeit geschaffne Kapitnlerhvhuug bewirkt wird in der Höhe der verausgabten Aktie, fort und fort bis an die Grenze vorhandner Arbeits¬ kraft." Den Gipfel der Frechheit bildet folgendes „Kapitel": „Auf welche Weise findet die Einführung des natürlichen Geldsysteins statt?" Antwort:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/453>, abgerufen am 01.09.2024.