Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Alassenbeivegung und Nationalitätenpolitik in (Österreich

fänden, für diese auch eine eigne Schule gegründet werden müsse. Zugleich
verboten sie im Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes jeden Zwang zur Erler¬
nung einer zweiten Landessprache, also auch der deutsche!? Staatssprache. Man
solle die Nationalitäten ihrer eignen Einsicht überlassen und sie zugleich auf
eine geistige Hungerkur setzen; sie würden dereinst reuig zur deutschen Bildung,
zur deutscheu Schule zurückkehren. Infolge dieser Gesetzgebung schössen aber
tausende von slawischen Schulen in Österreich in die Höhe; schon 18V9 wurde
von der herrschenden deutscheu Landtagsmehrheit ein tschechisches Technikum
in Prag gegründet; der Führer der Deutschböhmen, Schmehkal, befürwortete
1878 die Gründung einer tschechischen Universität. So sah der nationale
Druck ans, über den sich die slawischen Nationalitäten in Österreich be¬
schweren!

Fast dreißig Jahre sind setzt seit dem Neuaufbau des Staates durch die
deutschliberale Partei verflossen; die Probe auf die damals gestellte Rechnung
sollte jetzt bereits gemacht sein. Aber die Boraussetzungen der Männer, die
die Wurzeln ihrer Bildung ans den Werken der Weltbürger Herder, Lessing
und Schiller gesogen hatten, erwiesen sich als irrig. Ihre nationalpolitische
Gesetzgebung führte zu einem Schiffbruch; sie erzogen ein Geschlecht von
Tschechen und Slowenen, die mit der nationalen Schulbildung, die ihnen ge¬
währt wurde, auch deu Anspruch erhoben, daß ihrer Nationalität als solcher
eine Herrscherstelluug zu gewähren sei. Die verstärkte Agitation für das
böhmische Staatsrecht geht darauf aus, sür die erstarkte tschechische Natio¬
nalitnt auch deu gesonderten Staat innerhalb des Reiches der Habsburger
herzustellen.

Die "jüngere Schicht" der deutschen Politiker Österreichs, unter ihnen
auch Freiherr von Dumreicher, fand bei ihrem Eintritt in das öffentliche Leben
diesen Zustand bereits vor. Gewiß hätte es kein Mittel gegeben, die nationale
Freiheitsbewegung von Böhmen fernzuhalten; aber eine weise Gesetzgebung
hätte doch mehr vou den notwendigen Befugnissen der Staatssprache in den
national gemischten Gebieten retten können. Das ist jetzt vorbei. Umsomehr,
als die Regierung, um die deutsche Parlamentspartei von der Macht fernzu¬
halten, um ferner die Vorrechte der Krone und des Adels fester zu begründen,
den Zwist zwischen den Nationalitäten mit Behagen mit ansah und selbst
nährte, wie die Geschichte des letzte" "Ausgleichs" beweist. Die Deutschen
mit ihrem Streben, den Schwerpunkt der Negierung in das Parlament zu
verlegen, standen den Verfechtern der Autorität der Krone im Wege; sie
wurden zur Seite geschoben und die gefügigem Tschechen herangezogen. Jetzt
ist ein Umschlag eingetreten. Jahrzehntelang betrachtete man die Deutschen mit
Mißtrauen, einem Mißtrauen, das sich zeitweise zur Abneigung steigerte, weil
man sah, daß sie die "liberaleren" seien, d. h. daß sie mit größerm Ernste die
Beschränkung der Macht der Krone zu Gunsten der parlamentarischen Mehr-


Alassenbeivegung und Nationalitätenpolitik in (Österreich

fänden, für diese auch eine eigne Schule gegründet werden müsse. Zugleich
verboten sie im Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes jeden Zwang zur Erler¬
nung einer zweiten Landessprache, also auch der deutsche!? Staatssprache. Man
solle die Nationalitäten ihrer eignen Einsicht überlassen und sie zugleich auf
eine geistige Hungerkur setzen; sie würden dereinst reuig zur deutschen Bildung,
zur deutscheu Schule zurückkehren. Infolge dieser Gesetzgebung schössen aber
tausende von slawischen Schulen in Österreich in die Höhe; schon 18V9 wurde
von der herrschenden deutscheu Landtagsmehrheit ein tschechisches Technikum
in Prag gegründet; der Führer der Deutschböhmen, Schmehkal, befürwortete
1878 die Gründung einer tschechischen Universität. So sah der nationale
Druck ans, über den sich die slawischen Nationalitäten in Österreich be¬
schweren!

Fast dreißig Jahre sind setzt seit dem Neuaufbau des Staates durch die
deutschliberale Partei verflossen; die Probe auf die damals gestellte Rechnung
sollte jetzt bereits gemacht sein. Aber die Boraussetzungen der Männer, die
die Wurzeln ihrer Bildung ans den Werken der Weltbürger Herder, Lessing
und Schiller gesogen hatten, erwiesen sich als irrig. Ihre nationalpolitische
Gesetzgebung führte zu einem Schiffbruch; sie erzogen ein Geschlecht von
Tschechen und Slowenen, die mit der nationalen Schulbildung, die ihnen ge¬
währt wurde, auch deu Anspruch erhoben, daß ihrer Nationalität als solcher
eine Herrscherstelluug zu gewähren sei. Die verstärkte Agitation für das
böhmische Staatsrecht geht darauf aus, sür die erstarkte tschechische Natio¬
nalitnt auch deu gesonderten Staat innerhalb des Reiches der Habsburger
herzustellen.

Die „jüngere Schicht" der deutschen Politiker Österreichs, unter ihnen
auch Freiherr von Dumreicher, fand bei ihrem Eintritt in das öffentliche Leben
diesen Zustand bereits vor. Gewiß hätte es kein Mittel gegeben, die nationale
Freiheitsbewegung von Böhmen fernzuhalten; aber eine weise Gesetzgebung
hätte doch mehr vou den notwendigen Befugnissen der Staatssprache in den
national gemischten Gebieten retten können. Das ist jetzt vorbei. Umsomehr,
als die Regierung, um die deutsche Parlamentspartei von der Macht fernzu¬
halten, um ferner die Vorrechte der Krone und des Adels fester zu begründen,
den Zwist zwischen den Nationalitäten mit Behagen mit ansah und selbst
nährte, wie die Geschichte des letzte« „Ausgleichs" beweist. Die Deutschen
mit ihrem Streben, den Schwerpunkt der Negierung in das Parlament zu
verlegen, standen den Verfechtern der Autorität der Krone im Wege; sie
wurden zur Seite geschoben und die gefügigem Tschechen herangezogen. Jetzt
ist ein Umschlag eingetreten. Jahrzehntelang betrachtete man die Deutschen mit
Mißtrauen, einem Mißtrauen, das sich zeitweise zur Abneigung steigerte, weil
man sah, daß sie die „liberaleren" seien, d. h. daß sie mit größerm Ernste die
Beschränkung der Macht der Krone zu Gunsten der parlamentarischen Mehr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215537"/>
          <fw type="header" place="top"> Alassenbeivegung und Nationalitätenpolitik in (Österreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1577" prev="#ID_1576"> fänden, für diese auch eine eigne Schule gegründet werden müsse. Zugleich<lb/>
verboten sie im Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes jeden Zwang zur Erler¬<lb/>
nung einer zweiten Landessprache, also auch der deutsche!? Staatssprache. Man<lb/>
solle die Nationalitäten ihrer eignen Einsicht überlassen und sie zugleich auf<lb/>
eine geistige Hungerkur setzen; sie würden dereinst reuig zur deutschen Bildung,<lb/>
zur deutscheu Schule zurückkehren. Infolge dieser Gesetzgebung schössen aber<lb/>
tausende von slawischen Schulen in Österreich in die Höhe; schon 18V9 wurde<lb/>
von der herrschenden deutscheu Landtagsmehrheit ein tschechisches Technikum<lb/>
in Prag gegründet; der Führer der Deutschböhmen, Schmehkal, befürwortete<lb/>
1878 die Gründung einer tschechischen Universität. So sah der nationale<lb/>
Druck ans, über den sich die slawischen Nationalitäten in Österreich be¬<lb/>
schweren!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1578"> Fast dreißig Jahre sind setzt seit dem Neuaufbau des Staates durch die<lb/>
deutschliberale Partei verflossen; die Probe auf die damals gestellte Rechnung<lb/>
sollte jetzt bereits gemacht sein. Aber die Boraussetzungen der Männer, die<lb/>
die Wurzeln ihrer Bildung ans den Werken der Weltbürger Herder, Lessing<lb/>
und Schiller gesogen hatten, erwiesen sich als irrig. Ihre nationalpolitische<lb/>
Gesetzgebung führte zu einem Schiffbruch; sie erzogen ein Geschlecht von<lb/>
Tschechen und Slowenen, die mit der nationalen Schulbildung, die ihnen ge¬<lb/>
währt wurde, auch deu Anspruch erhoben, daß ihrer Nationalität als solcher<lb/>
eine Herrscherstelluug zu gewähren sei. Die verstärkte Agitation für das<lb/>
böhmische Staatsrecht geht darauf aus, sür die erstarkte tschechische Natio¬<lb/>
nalitnt auch deu gesonderten Staat innerhalb des Reiches der Habsburger<lb/>
herzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1579" next="#ID_1580"> Die &#x201E;jüngere Schicht" der deutschen Politiker Österreichs, unter ihnen<lb/>
auch Freiherr von Dumreicher, fand bei ihrem Eintritt in das öffentliche Leben<lb/>
diesen Zustand bereits vor. Gewiß hätte es kein Mittel gegeben, die nationale<lb/>
Freiheitsbewegung von Böhmen fernzuhalten; aber eine weise Gesetzgebung<lb/>
hätte doch mehr vou den notwendigen Befugnissen der Staatssprache in den<lb/>
national gemischten Gebieten retten können. Das ist jetzt vorbei. Umsomehr,<lb/>
als die Regierung, um die deutsche Parlamentspartei von der Macht fernzu¬<lb/>
halten, um ferner die Vorrechte der Krone und des Adels fester zu begründen,<lb/>
den Zwist zwischen den Nationalitäten mit Behagen mit ansah und selbst<lb/>
nährte, wie die Geschichte des letzte« &#x201E;Ausgleichs" beweist. Die Deutschen<lb/>
mit ihrem Streben, den Schwerpunkt der Negierung in das Parlament zu<lb/>
verlegen, standen den Verfechtern der Autorität der Krone im Wege; sie<lb/>
wurden zur Seite geschoben und die gefügigem Tschechen herangezogen. Jetzt<lb/>
ist ein Umschlag eingetreten. Jahrzehntelang betrachtete man die Deutschen mit<lb/>
Mißtrauen, einem Mißtrauen, das sich zeitweise zur Abneigung steigerte, weil<lb/>
man sah, daß sie die &#x201E;liberaleren" seien, d. h. daß sie mit größerm Ernste die<lb/>
Beschränkung der Macht der Krone zu Gunsten der parlamentarischen Mehr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0447] Alassenbeivegung und Nationalitätenpolitik in (Österreich fänden, für diese auch eine eigne Schule gegründet werden müsse. Zugleich verboten sie im Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes jeden Zwang zur Erler¬ nung einer zweiten Landessprache, also auch der deutsche!? Staatssprache. Man solle die Nationalitäten ihrer eignen Einsicht überlassen und sie zugleich auf eine geistige Hungerkur setzen; sie würden dereinst reuig zur deutschen Bildung, zur deutscheu Schule zurückkehren. Infolge dieser Gesetzgebung schössen aber tausende von slawischen Schulen in Österreich in die Höhe; schon 18V9 wurde von der herrschenden deutscheu Landtagsmehrheit ein tschechisches Technikum in Prag gegründet; der Führer der Deutschböhmen, Schmehkal, befürwortete 1878 die Gründung einer tschechischen Universität. So sah der nationale Druck ans, über den sich die slawischen Nationalitäten in Österreich be¬ schweren! Fast dreißig Jahre sind setzt seit dem Neuaufbau des Staates durch die deutschliberale Partei verflossen; die Probe auf die damals gestellte Rechnung sollte jetzt bereits gemacht sein. Aber die Boraussetzungen der Männer, die die Wurzeln ihrer Bildung ans den Werken der Weltbürger Herder, Lessing und Schiller gesogen hatten, erwiesen sich als irrig. Ihre nationalpolitische Gesetzgebung führte zu einem Schiffbruch; sie erzogen ein Geschlecht von Tschechen und Slowenen, die mit der nationalen Schulbildung, die ihnen ge¬ währt wurde, auch deu Anspruch erhoben, daß ihrer Nationalität als solcher eine Herrscherstelluug zu gewähren sei. Die verstärkte Agitation für das böhmische Staatsrecht geht darauf aus, sür die erstarkte tschechische Natio¬ nalitnt auch deu gesonderten Staat innerhalb des Reiches der Habsburger herzustellen. Die „jüngere Schicht" der deutschen Politiker Österreichs, unter ihnen auch Freiherr von Dumreicher, fand bei ihrem Eintritt in das öffentliche Leben diesen Zustand bereits vor. Gewiß hätte es kein Mittel gegeben, die nationale Freiheitsbewegung von Böhmen fernzuhalten; aber eine weise Gesetzgebung hätte doch mehr vou den notwendigen Befugnissen der Staatssprache in den national gemischten Gebieten retten können. Das ist jetzt vorbei. Umsomehr, als die Regierung, um die deutsche Parlamentspartei von der Macht fernzu¬ halten, um ferner die Vorrechte der Krone und des Adels fester zu begründen, den Zwist zwischen den Nationalitäten mit Behagen mit ansah und selbst nährte, wie die Geschichte des letzte« „Ausgleichs" beweist. Die Deutschen mit ihrem Streben, den Schwerpunkt der Negierung in das Parlament zu verlegen, standen den Verfechtern der Autorität der Krone im Wege; sie wurden zur Seite geschoben und die gefügigem Tschechen herangezogen. Jetzt ist ein Umschlag eingetreten. Jahrzehntelang betrachtete man die Deutschen mit Mißtrauen, einem Mißtrauen, das sich zeitweise zur Abneigung steigerte, weil man sah, daß sie die „liberaleren" seien, d. h. daß sie mit größerm Ernste die Beschränkung der Macht der Krone zu Gunsten der parlamentarischen Mehr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/447
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/447>, abgerufen am 28.07.2024.