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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Von unsern Hochschulen

daß es notwendig sei --, so lasse man wenigstens nicht von denselben beuten
Prüfen, die dem Kandidaten ihre Weisheit oder was sie dafür halten, ein¬
getrichtert haben. Die jetzt übliche Methode zwingt die Kandidaten geradezu
zu Lug und Trug. Ich selbst habe noch eine schwere Lüge von meinem Ni-
gorosnm her auf dem Gewissen, und ich will die Gelegenheit benutzen, meine
Seele durch eine Beichte von dem Druck zu befreien. Als ich dem Professor,
der mich in Philosophie prüfen sollte, meinen Besuch machte, fragte er mich,
was ich gelesen hätte. Ich ließ nun die üblichen alten Herren aufmarschiren,
führte aber hinter Kant auch Schopenhauer an. Mitleidiges Lächeln. "Schopen¬
hauer? Aber, lieber Herr, das ist doch kein Philosoph!" Da ich demnächst
den Beweis liefern sollte, selbst einer zu sein, so dürfte ich die Geistesgegen¬
wart nicht verlieren, und fuhr in meiner Aufzählung fort, nidein ich Paulsen
nannte. Das mitleidige Lächeln wurde spöttisch. "Paulsen! Was haben Sie
denn von Paulsen gelesen?" Ich sagte: "Die Geschichte des gelehrten Unter¬
richts und die Ethik." Da machte der Mann der staatlich besoldeten Welt¬
weisheit eine verächtliche Handbewegung und sprach die geflügelten Worte:
"Ach, die Kaffeehausethik!" Ich aber that meinen Mund auf und schwieg.
Doch so leichten Kaufes sollte ich nicht davonkomme". Nachdem ich im
Examen eine halbe Stunde lang transcendentalen Unsinn in die Kritik der
reinen Vernunft hiueiugeheimnist hatte, nicht ohne ein paarmal mit meiner
eignen häßlich festzufahren, kam der Examinator wieder ans Paniscus Ethik
zu sprechen. "Haben Sie etwas darin gefunden?" fragte er mich. Das war
nun eine verfängliche Frage, aber ich wußte jetzt schon, woher der Wind
wehte. "Nun," beeilte ich mich zu antworten, "es stehen ja eine Menge em¬
pirischer Thatsachen darin" -- gemessenes Kopfnicken --, "aber es fehlen die
Prinzipien." Dies eine Wort that eine wunderbare Wirkung; der gestrenge
Herr legte vertraulich die Hand auf meinen Arm und sagte eifrig: "In wohl,
das ists ja eben, die Prinzipien"; dabei zeigte er beschwörend mit dem
Zeigefinger nach oben. Mau muß nun wissen, daß ich die Ethik von
Paulsen als ein Muster philosophischer Darstellung verehre, aus dem ich
wehr gelernt zu haben glaube, als aus den dicken Bänden meines geehrten
Examen^in-Z. Wer sich über meine greuliche Lüge sittlich entrüsten will, der
wäg das ruhig thun, er soll aber auch bedenken, daß ich vermutlich durch-
gefallen wäre, wenn ich meine Überzeugung mit Mannesmut verfochten hätte,
und dazu hatte ich keine Lust. Die Wissenschaft und Herr Professor Paulsen
werden mir, wie ich zuversichtlich hoffe, meine Sünde in Gnaden vergeben.

Ich würde diese Episode nicht erzählt haben, wenn sie nicht typisch wäre
für tausend ähnliche, die nicht erzählt werden. Hat ein Professor erst einige
Jahre an einer Hochschule gelehrt, so bildet sich über seine Art, zu prüfen,
über seine Stellung zu wissenschaftlichen Streitfragen und seine besondern
Steckenpferdchen eine Überlieferung, die sich von einem Stndentengeschlecht zum


Von unsern Hochschulen

daß es notwendig sei —, so lasse man wenigstens nicht von denselben beuten
Prüfen, die dem Kandidaten ihre Weisheit oder was sie dafür halten, ein¬
getrichtert haben. Die jetzt übliche Methode zwingt die Kandidaten geradezu
zu Lug und Trug. Ich selbst habe noch eine schwere Lüge von meinem Ni-
gorosnm her auf dem Gewissen, und ich will die Gelegenheit benutzen, meine
Seele durch eine Beichte von dem Druck zu befreien. Als ich dem Professor,
der mich in Philosophie prüfen sollte, meinen Besuch machte, fragte er mich,
was ich gelesen hätte. Ich ließ nun die üblichen alten Herren aufmarschiren,
führte aber hinter Kant auch Schopenhauer an. Mitleidiges Lächeln. „Schopen¬
hauer? Aber, lieber Herr, das ist doch kein Philosoph!" Da ich demnächst
den Beweis liefern sollte, selbst einer zu sein, so dürfte ich die Geistesgegen¬
wart nicht verlieren, und fuhr in meiner Aufzählung fort, nidein ich Paulsen
nannte. Das mitleidige Lächeln wurde spöttisch. „Paulsen! Was haben Sie
denn von Paulsen gelesen?" Ich sagte: „Die Geschichte des gelehrten Unter¬
richts und die Ethik." Da machte der Mann der staatlich besoldeten Welt¬
weisheit eine verächtliche Handbewegung und sprach die geflügelten Worte:
„Ach, die Kaffeehausethik!" Ich aber that meinen Mund auf und schwieg.
Doch so leichten Kaufes sollte ich nicht davonkomme». Nachdem ich im
Examen eine halbe Stunde lang transcendentalen Unsinn in die Kritik der
reinen Vernunft hiueiugeheimnist hatte, nicht ohne ein paarmal mit meiner
eignen häßlich festzufahren, kam der Examinator wieder ans Paniscus Ethik
zu sprechen. „Haben Sie etwas darin gefunden?" fragte er mich. Das war
nun eine verfängliche Frage, aber ich wußte jetzt schon, woher der Wind
wehte. „Nun," beeilte ich mich zu antworten, „es stehen ja eine Menge em¬
pirischer Thatsachen darin" — gemessenes Kopfnicken —, „aber es fehlen die
Prinzipien." Dies eine Wort that eine wunderbare Wirkung; der gestrenge
Herr legte vertraulich die Hand auf meinen Arm und sagte eifrig: „In wohl,
das ists ja eben, die Prinzipien"; dabei zeigte er beschwörend mit dem
Zeigefinger nach oben. Mau muß nun wissen, daß ich die Ethik von
Paulsen als ein Muster philosophischer Darstellung verehre, aus dem ich
wehr gelernt zu haben glaube, als aus den dicken Bänden meines geehrten
Examen^in-Z. Wer sich über meine greuliche Lüge sittlich entrüsten will, der
wäg das ruhig thun, er soll aber auch bedenken, daß ich vermutlich durch-
gefallen wäre, wenn ich meine Überzeugung mit Mannesmut verfochten hätte,
und dazu hatte ich keine Lust. Die Wissenschaft und Herr Professor Paulsen
werden mir, wie ich zuversichtlich hoffe, meine Sünde in Gnaden vergeben.

Ich würde diese Episode nicht erzählt haben, wenn sie nicht typisch wäre
für tausend ähnliche, die nicht erzählt werden. Hat ein Professor erst einige
Jahre an einer Hochschule gelehrt, so bildet sich über seine Art, zu prüfen,
über seine Stellung zu wissenschaftlichen Streitfragen und seine besondern
Steckenpferdchen eine Überlieferung, die sich von einem Stndentengeschlecht zum


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[0431] Von unsern Hochschulen daß es notwendig sei —, so lasse man wenigstens nicht von denselben beuten Prüfen, die dem Kandidaten ihre Weisheit oder was sie dafür halten, ein¬ getrichtert haben. Die jetzt übliche Methode zwingt die Kandidaten geradezu zu Lug und Trug. Ich selbst habe noch eine schwere Lüge von meinem Ni- gorosnm her auf dem Gewissen, und ich will die Gelegenheit benutzen, meine Seele durch eine Beichte von dem Druck zu befreien. Als ich dem Professor, der mich in Philosophie prüfen sollte, meinen Besuch machte, fragte er mich, was ich gelesen hätte. Ich ließ nun die üblichen alten Herren aufmarschiren, führte aber hinter Kant auch Schopenhauer an. Mitleidiges Lächeln. „Schopen¬ hauer? Aber, lieber Herr, das ist doch kein Philosoph!" Da ich demnächst den Beweis liefern sollte, selbst einer zu sein, so dürfte ich die Geistesgegen¬ wart nicht verlieren, und fuhr in meiner Aufzählung fort, nidein ich Paulsen nannte. Das mitleidige Lächeln wurde spöttisch. „Paulsen! Was haben Sie denn von Paulsen gelesen?" Ich sagte: „Die Geschichte des gelehrten Unter¬ richts und die Ethik." Da machte der Mann der staatlich besoldeten Welt¬ weisheit eine verächtliche Handbewegung und sprach die geflügelten Worte: „Ach, die Kaffeehausethik!" Ich aber that meinen Mund auf und schwieg. Doch so leichten Kaufes sollte ich nicht davonkomme». Nachdem ich im Examen eine halbe Stunde lang transcendentalen Unsinn in die Kritik der reinen Vernunft hiueiugeheimnist hatte, nicht ohne ein paarmal mit meiner eignen häßlich festzufahren, kam der Examinator wieder ans Paniscus Ethik zu sprechen. „Haben Sie etwas darin gefunden?" fragte er mich. Das war nun eine verfängliche Frage, aber ich wußte jetzt schon, woher der Wind wehte. „Nun," beeilte ich mich zu antworten, „es stehen ja eine Menge em¬ pirischer Thatsachen darin" — gemessenes Kopfnicken —, „aber es fehlen die Prinzipien." Dies eine Wort that eine wunderbare Wirkung; der gestrenge Herr legte vertraulich die Hand auf meinen Arm und sagte eifrig: „In wohl, das ists ja eben, die Prinzipien"; dabei zeigte er beschwörend mit dem Zeigefinger nach oben. Mau muß nun wissen, daß ich die Ethik von Paulsen als ein Muster philosophischer Darstellung verehre, aus dem ich wehr gelernt zu haben glaube, als aus den dicken Bänden meines geehrten Examen^in-Z. Wer sich über meine greuliche Lüge sittlich entrüsten will, der wäg das ruhig thun, er soll aber auch bedenken, daß ich vermutlich durch- gefallen wäre, wenn ich meine Überzeugung mit Mannesmut verfochten hätte, und dazu hatte ich keine Lust. Die Wissenschaft und Herr Professor Paulsen werden mir, wie ich zuversichtlich hoffe, meine Sünde in Gnaden vergeben. Ich würde diese Episode nicht erzählt haben, wenn sie nicht typisch wäre für tausend ähnliche, die nicht erzählt werden. Hat ein Professor erst einige Jahre an einer Hochschule gelehrt, so bildet sich über seine Art, zu prüfen, über seine Stellung zu wissenschaftlichen Streitfragen und seine besondern Steckenpferdchen eine Überlieferung, die sich von einem Stndentengeschlecht zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/431>, abgerufen am 24.11.2024.