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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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von unsern Hochschulen

Fall bekannt, daß ein Neuphilologe, der an einer Universität im Staats¬
examen glatt durchgefallen war, an einer andern die Doktorwürde oren llluäv
erwarb und daraus im Staatsexamen ein Zeugnis ersten Grades erhielt.
Unter den übrigen Exameukandidaten, die die Fähigkeiten dieses Musterknaben
kannten -- es gehörte wirklich nicht viel Zeit dazu, sie kennen zu lernen --,
herrschte damals ehrliche Empörung, obgleich sie an starke Stücke gewöhnt
waren. Das philosophische Examen dieses Kandidaten soll sich in folgenden
Formen bewegt daheim Professor. Nun, Herr N, tonnen Sie nur einen
Philosophen des klassischen Altertums nennen? Kandidat. Sokrates. Pro¬
fessor. Sehr wohl. Ist Ihnen der Hnuptvertreter des modernen Skeptizismus
bekannt? Kandidat. David Hume. sAuszusprecheu, wie geschrieben.) Pro¬
fessor. Ganz richtig. Sagen Sie mal, Herr Kandidat, ist der Herr N
in T ein Verwandter von Ihnen? Kandidat. Das ist mein Onkel. Pro¬
fessor. Dann haben Sie die Güte, mich ihm zu empfehlen; er ist ein alter
^vrpsbruder vou mir. Können Sie mir die aristotelischen Schlußfigureu
nennen? Kandidat (schweigt). Professor. Nun, die find Ihnen Wohl
augenblicklich entfallen. Ich danke Ihnen, Herr Kandidat. -- Vielleicht find
die einzelnen Fragen und Antworten etwas drastisch formulirt; aber allzu
weit entfernen sie sich von der Wahrheit eben so wenig, wie die Dauer dieser
tiefsinnigen Unterreonng. Was aber die Hauptsache ist: die charakteristische
Zwischenfrage ist verbürgt. Dieser Herr, der seine Befähigung zum höhern
Unterricht so glänzend nachgewiesen hat, ist jetzt wahlbeftaltcr Oberlehrer.
Natürlich geht es nicht auf allen Universitäten so zu, wie an diesem idyllischen
Musensitz, und auch hier hat sich in jüngster Zeit manches gebessert. Überall
aber ist das Examen ein mehr oder minder erfolgreiches Versteckspiel zwischen
Kandidat und Professor. Von einer wirklichen Prüfung der Kenntnisse kann
ja in der kurzen Zeit von drei bis vier Stunden keine Rede sein; darüber
ist sich jeder im klaren, der ein Examen und seine überflüssige Aufregung
durchgemacht hat.

Es wäre nun aber verkehrt, wollte mau deu Fleiß der Mediziner allein
darauf zurückführen, daß sie gezwungen sind, regelrecht zu arbeite". Denn sie
sind, wie gesagt, mindestens ebenso lebenslustige Studenten, wie andre auch,
und das würden sie nicht sein, wenn sie unter irgend einem Zwange stünden.
Wie sollte auch eine Thätigkeit lästig empfunden werden, die in stetigem Zu¬
sammenhang mit der lebendigen Natur bleibt, deren praktischen Wert man
handgreiflich vor Angen hat! Der Mediziner hat eben in seiner Wissenschaft
das notwendige ernste Gegengewicht gegen den Leichtsinn des Burschenlebcns
gefunden. Daß Juristen und Philologen in derselben glücklichen Lage wären,
kann man leider nicht behaupten, man müßte denn Universitätsprofessor sein.
Weil ihnen die Wissenschaft nichts bietet, das sie fesselte, darum laufen die
Wuchse im ersten, spätestens im zweiten Semester vor ihr davon und kehren


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Fall bekannt, daß ein Neuphilologe, der an einer Universität im Staats¬
examen glatt durchgefallen war, an einer andern die Doktorwürde oren llluäv
erwarb und daraus im Staatsexamen ein Zeugnis ersten Grades erhielt.
Unter den übrigen Exameukandidaten, die die Fähigkeiten dieses Musterknaben
kannten — es gehörte wirklich nicht viel Zeit dazu, sie kennen zu lernen —,
herrschte damals ehrliche Empörung, obgleich sie an starke Stücke gewöhnt
waren. Das philosophische Examen dieses Kandidaten soll sich in folgenden
Formen bewegt daheim Professor. Nun, Herr N, tonnen Sie nur einen
Philosophen des klassischen Altertums nennen? Kandidat. Sokrates. Pro¬
fessor. Sehr wohl. Ist Ihnen der Hnuptvertreter des modernen Skeptizismus
bekannt? Kandidat. David Hume. sAuszusprecheu, wie geschrieben.) Pro¬
fessor. Ganz richtig. Sagen Sie mal, Herr Kandidat, ist der Herr N
in T ein Verwandter von Ihnen? Kandidat. Das ist mein Onkel. Pro¬
fessor. Dann haben Sie die Güte, mich ihm zu empfehlen; er ist ein alter
^vrpsbruder vou mir. Können Sie mir die aristotelischen Schlußfigureu
nennen? Kandidat (schweigt). Professor. Nun, die find Ihnen Wohl
augenblicklich entfallen. Ich danke Ihnen, Herr Kandidat. — Vielleicht find
die einzelnen Fragen und Antworten etwas drastisch formulirt; aber allzu
weit entfernen sie sich von der Wahrheit eben so wenig, wie die Dauer dieser
tiefsinnigen Unterreonng. Was aber die Hauptsache ist: die charakteristische
Zwischenfrage ist verbürgt. Dieser Herr, der seine Befähigung zum höhern
Unterricht so glänzend nachgewiesen hat, ist jetzt wahlbeftaltcr Oberlehrer.
Natürlich geht es nicht auf allen Universitäten so zu, wie an diesem idyllischen
Musensitz, und auch hier hat sich in jüngster Zeit manches gebessert. Überall
aber ist das Examen ein mehr oder minder erfolgreiches Versteckspiel zwischen
Kandidat und Professor. Von einer wirklichen Prüfung der Kenntnisse kann
ja in der kurzen Zeit von drei bis vier Stunden keine Rede sein; darüber
ist sich jeder im klaren, der ein Examen und seine überflüssige Aufregung
durchgemacht hat.

Es wäre nun aber verkehrt, wollte mau deu Fleiß der Mediziner allein
darauf zurückführen, daß sie gezwungen sind, regelrecht zu arbeite». Denn sie
sind, wie gesagt, mindestens ebenso lebenslustige Studenten, wie andre auch,
und das würden sie nicht sein, wenn sie unter irgend einem Zwange stünden.
Wie sollte auch eine Thätigkeit lästig empfunden werden, die in stetigem Zu¬
sammenhang mit der lebendigen Natur bleibt, deren praktischen Wert man
handgreiflich vor Angen hat! Der Mediziner hat eben in seiner Wissenschaft
das notwendige ernste Gegengewicht gegen den Leichtsinn des Burschenlebcns
gefunden. Daß Juristen und Philologen in derselben glücklichen Lage wären,
kann man leider nicht behaupten, man müßte denn Universitätsprofessor sein.
Weil ihnen die Wissenschaft nichts bietet, das sie fesselte, darum laufen die
Wuchse im ersten, spätestens im zweiten Semester vor ihr davon und kehren


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[0429] von unsern Hochschulen Fall bekannt, daß ein Neuphilologe, der an einer Universität im Staats¬ examen glatt durchgefallen war, an einer andern die Doktorwürde oren llluäv erwarb und daraus im Staatsexamen ein Zeugnis ersten Grades erhielt. Unter den übrigen Exameukandidaten, die die Fähigkeiten dieses Musterknaben kannten — es gehörte wirklich nicht viel Zeit dazu, sie kennen zu lernen —, herrschte damals ehrliche Empörung, obgleich sie an starke Stücke gewöhnt waren. Das philosophische Examen dieses Kandidaten soll sich in folgenden Formen bewegt daheim Professor. Nun, Herr N, tonnen Sie nur einen Philosophen des klassischen Altertums nennen? Kandidat. Sokrates. Pro¬ fessor. Sehr wohl. Ist Ihnen der Hnuptvertreter des modernen Skeptizismus bekannt? Kandidat. David Hume. sAuszusprecheu, wie geschrieben.) Pro¬ fessor. Ganz richtig. Sagen Sie mal, Herr Kandidat, ist der Herr N in T ein Verwandter von Ihnen? Kandidat. Das ist mein Onkel. Pro¬ fessor. Dann haben Sie die Güte, mich ihm zu empfehlen; er ist ein alter ^vrpsbruder vou mir. Können Sie mir die aristotelischen Schlußfigureu nennen? Kandidat (schweigt). Professor. Nun, die find Ihnen Wohl augenblicklich entfallen. Ich danke Ihnen, Herr Kandidat. — Vielleicht find die einzelnen Fragen und Antworten etwas drastisch formulirt; aber allzu weit entfernen sie sich von der Wahrheit eben so wenig, wie die Dauer dieser tiefsinnigen Unterreonng. Was aber die Hauptsache ist: die charakteristische Zwischenfrage ist verbürgt. Dieser Herr, der seine Befähigung zum höhern Unterricht so glänzend nachgewiesen hat, ist jetzt wahlbeftaltcr Oberlehrer. Natürlich geht es nicht auf allen Universitäten so zu, wie an diesem idyllischen Musensitz, und auch hier hat sich in jüngster Zeit manches gebessert. Überall aber ist das Examen ein mehr oder minder erfolgreiches Versteckspiel zwischen Kandidat und Professor. Von einer wirklichen Prüfung der Kenntnisse kann ja in der kurzen Zeit von drei bis vier Stunden keine Rede sein; darüber ist sich jeder im klaren, der ein Examen und seine überflüssige Aufregung durchgemacht hat. Es wäre nun aber verkehrt, wollte mau deu Fleiß der Mediziner allein darauf zurückführen, daß sie gezwungen sind, regelrecht zu arbeite». Denn sie sind, wie gesagt, mindestens ebenso lebenslustige Studenten, wie andre auch, und das würden sie nicht sein, wenn sie unter irgend einem Zwange stünden. Wie sollte auch eine Thätigkeit lästig empfunden werden, die in stetigem Zu¬ sammenhang mit der lebendigen Natur bleibt, deren praktischen Wert man handgreiflich vor Angen hat! Der Mediziner hat eben in seiner Wissenschaft das notwendige ernste Gegengewicht gegen den Leichtsinn des Burschenlebcns gefunden. Daß Juristen und Philologen in derselben glücklichen Lage wären, kann man leider nicht behaupten, man müßte denn Universitätsprofessor sein. Weil ihnen die Wissenschaft nichts bietet, das sie fesselte, darum laufen die Wuchse im ersten, spätestens im zweiten Semester vor ihr davon und kehren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/429>, abgerufen am 28.07.2024.