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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lauter Einbänder

glaubt es nicht, als der Polizeileutnant dem Arzt zuflüstert: "Er ist geistes¬
krank." Er erklärt auch vor Gericht, er sei nicht geistesgestört gewesen. "Aber
was hatten Sie denn sonst für einen Grund zu der unseligen That?" Da brach
es heraus. Das war ja gerade das Elend, das quälte und marterte ihn.
Er sprach es nicht, er schrie es hinaus, daß alle zusammenschauerten vor den
vier armen Wortein "Ich weiß es nicht." Endlich, zum Epilog, ein paar
Hohnwortc auf das Wort "Willensfreiheit":

Dann wird voll Graun dir klar
Dein innres Wesen,
Daß fremd du immerdar
Dir selbst gewesen.
Daß etwas in dir ist
Und lebt im stillen,
Was einzig Richtschnur ist
Für deinen Wille"!
Daß frei wir keine Spur
Hier ziehn ans Erde",
Daß wir doch alle nnr
Geleitet werden!

Wenn der talentvolle junge Verfasser nicht selbst merkt, daß er mit der Vor¬
führung solcher Ungeheuerlichkeiten, die unter Umstände" ins Gebiet des Irren¬
arztes gehören, weder etwas gegen die Willensfreiheit beweisen noch ein Atom
poetischer Teilnahme zu erwecken vermag, daß man mit einem Unglücklichen
dieser Art höchstens Mitleid zu fühlen imstande ist, wenn er nicht merkt, daß
die ganze Darstellung des Jugendlebens ein vollkommen sinnloser Prolog zur
Vorführung dieser Greuelszene ist, in der sich nach uraltem Rezept Wollust
und Grausamkeit mischen, wem, er -- wie es wahrscheinlich ist -- von seinen
Strebensgenvssen für diese "neue" gloriose Albernheit neidisch bewundert
werden wird, so sollte es ihm die Kritik sagen, wie weit er sich verirrt hat.
Doch freilich eine Kritik, die sich zu dem Satze versteigt: "Es ist eine Schande,
heutzutage gesund zu sein," ist nur berufen, wirkliche Talente auf immer ziel¬
losere Abwege zu drängen.

Man atmet ordentlich auf, wenn man, der schwülen Luft dieser Phantasie
entronnen, wenn anch nicht in eine reine, so doch in Luft taucht, die man
atmen kann. Der Roman Circe von Fritz Bley (Dresden und Leipzig,
E. Piersons Verlag) gehört zu denen, die früher in stattlichen drei Bünden
geprangt hätten und gelegentlich etwas langweilig geworden wären, wenn wir
die Schicksale des berühmten Afrikareisenden Hanns von Harden vom El des
Anfangs an hätten begleiten müssen. Daß jetzt alles kurzweilig wäre, wollen
wir damit freilich nicht sagen, obwohl der Roman mit der Heimkehr Harders
aus Jnnerafrika und mit der Flucht des von Huldiguugsreden und Festessen


Lauter Einbänder

glaubt es nicht, als der Polizeileutnant dem Arzt zuflüstert: „Er ist geistes¬
krank." Er erklärt auch vor Gericht, er sei nicht geistesgestört gewesen. „Aber
was hatten Sie denn sonst für einen Grund zu der unseligen That?" Da brach
es heraus. Das war ja gerade das Elend, das quälte und marterte ihn.
Er sprach es nicht, er schrie es hinaus, daß alle zusammenschauerten vor den
vier armen Wortein „Ich weiß es nicht." Endlich, zum Epilog, ein paar
Hohnwortc auf das Wort „Willensfreiheit":

Dann wird voll Graun dir klar
Dein innres Wesen,
Daß fremd du immerdar
Dir selbst gewesen.
Daß etwas in dir ist
Und lebt im stillen,
Was einzig Richtschnur ist
Für deinen Wille»!
Daß frei wir keine Spur
Hier ziehn ans Erde»,
Daß wir doch alle nnr
Geleitet werden!

Wenn der talentvolle junge Verfasser nicht selbst merkt, daß er mit der Vor¬
führung solcher Ungeheuerlichkeiten, die unter Umstände» ins Gebiet des Irren¬
arztes gehören, weder etwas gegen die Willensfreiheit beweisen noch ein Atom
poetischer Teilnahme zu erwecken vermag, daß man mit einem Unglücklichen
dieser Art höchstens Mitleid zu fühlen imstande ist, wenn er nicht merkt, daß
die ganze Darstellung des Jugendlebens ein vollkommen sinnloser Prolog zur
Vorführung dieser Greuelszene ist, in der sich nach uraltem Rezept Wollust
und Grausamkeit mischen, wem, er — wie es wahrscheinlich ist — von seinen
Strebensgenvssen für diese „neue" gloriose Albernheit neidisch bewundert
werden wird, so sollte es ihm die Kritik sagen, wie weit er sich verirrt hat.
Doch freilich eine Kritik, die sich zu dem Satze versteigt: „Es ist eine Schande,
heutzutage gesund zu sein," ist nur berufen, wirkliche Talente auf immer ziel¬
losere Abwege zu drängen.

Man atmet ordentlich auf, wenn man, der schwülen Luft dieser Phantasie
entronnen, wenn anch nicht in eine reine, so doch in Luft taucht, die man
atmen kann. Der Roman Circe von Fritz Bley (Dresden und Leipzig,
E. Piersons Verlag) gehört zu denen, die früher in stattlichen drei Bünden
geprangt hätten und gelegentlich etwas langweilig geworden wären, wenn wir
die Schicksale des berühmten Afrikareisenden Hanns von Harden vom El des
Anfangs an hätten begleiten müssen. Daß jetzt alles kurzweilig wäre, wollen
wir damit freilich nicht sagen, obwohl der Roman mit der Heimkehr Harders
aus Jnnerafrika und mit der Flucht des von Huldiguugsreden und Festessen


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[0420] Lauter Einbänder glaubt es nicht, als der Polizeileutnant dem Arzt zuflüstert: „Er ist geistes¬ krank." Er erklärt auch vor Gericht, er sei nicht geistesgestört gewesen. „Aber was hatten Sie denn sonst für einen Grund zu der unseligen That?" Da brach es heraus. Das war ja gerade das Elend, das quälte und marterte ihn. Er sprach es nicht, er schrie es hinaus, daß alle zusammenschauerten vor den vier armen Wortein „Ich weiß es nicht." Endlich, zum Epilog, ein paar Hohnwortc auf das Wort „Willensfreiheit": Dann wird voll Graun dir klar Dein innres Wesen, Daß fremd du immerdar Dir selbst gewesen. Daß etwas in dir ist Und lebt im stillen, Was einzig Richtschnur ist Für deinen Wille»! Daß frei wir keine Spur Hier ziehn ans Erde», Daß wir doch alle nnr Geleitet werden! Wenn der talentvolle junge Verfasser nicht selbst merkt, daß er mit der Vor¬ führung solcher Ungeheuerlichkeiten, die unter Umstände» ins Gebiet des Irren¬ arztes gehören, weder etwas gegen die Willensfreiheit beweisen noch ein Atom poetischer Teilnahme zu erwecken vermag, daß man mit einem Unglücklichen dieser Art höchstens Mitleid zu fühlen imstande ist, wenn er nicht merkt, daß die ganze Darstellung des Jugendlebens ein vollkommen sinnloser Prolog zur Vorführung dieser Greuelszene ist, in der sich nach uraltem Rezept Wollust und Grausamkeit mischen, wem, er — wie es wahrscheinlich ist — von seinen Strebensgenvssen für diese „neue" gloriose Albernheit neidisch bewundert werden wird, so sollte es ihm die Kritik sagen, wie weit er sich verirrt hat. Doch freilich eine Kritik, die sich zu dem Satze versteigt: „Es ist eine Schande, heutzutage gesund zu sein," ist nur berufen, wirkliche Talente auf immer ziel¬ losere Abwege zu drängen. Man atmet ordentlich auf, wenn man, der schwülen Luft dieser Phantasie entronnen, wenn anch nicht in eine reine, so doch in Luft taucht, die man atmen kann. Der Roman Circe von Fritz Bley (Dresden und Leipzig, E. Piersons Verlag) gehört zu denen, die früher in stattlichen drei Bünden geprangt hätten und gelegentlich etwas langweilig geworden wären, wenn wir die Schicksale des berühmten Afrikareisenden Hanns von Harden vom El des Anfangs an hätten begleiten müssen. Daß jetzt alles kurzweilig wäre, wollen wir damit freilich nicht sagen, obwohl der Roman mit der Heimkehr Harders aus Jnnerafrika und mit der Flucht des von Huldiguugsreden und Festessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/420>, abgerufen am 24.11.2024.