Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Lauter Liubänder einer schlechthin kunstfeindlichen entgegentritt. Diese selbstbewußten, in ihrem Lauter Liubänder einer schlechthin kunstfeindlichen entgegentritt. Diese selbstbewußten, in ihrem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215505"/> <fw type="header" place="top"> Lauter Liubänder</fw><lb/> <p xml:id="ID_1494" prev="#ID_1493" next="#ID_1495"> einer schlechthin kunstfeindlichen entgegentritt. Diese selbstbewußten, in ihrem<lb/> verzweifelten Ringen mit dem Leben nicht mürbe und sentimental, sondern<lb/> hart gewordnen Menschen, von der tiefsten berechtigten und unberechtigten<lb/> Verachtung gegen das ganze Philisterium erfüllt, innerlich nnr dem selbstge-<lb/> schafsucii Gesetz ihres Daseins gehorchend, haben etwas von dem naiven Kinde<lb/> und etwas von dem weltersahrnen Manne, etwas vom Genius und etwas<lb/> vom Raubtier in sich; wenigstens Heinrich Verheißer hat es. Daß er für<lb/> das schöne Mädchen, in dessen Nähe er plötzlich lebt, eine heiße Leidenschaft<lb/> saßt, hat Wildenbruch durch die Badeszene fast überflüssig motivirt; die bloße<lb/> körperliche Gegenwart Dvrvthens würde genügen, den leben^durstigen Maler<lb/> in Flammen zu setzen. Aber freilich für die zuletzt hervortretende schlimme<lb/> Thatsache, daß Herr Verheißer in Dorothea, obwohl er sie seine Göttin nennt,<lb/> nicht viel mehr und kaum etwas andres sehen kann, als ein Modell, ein<lb/> Modell, um das ihn die gesamte Künstlerschaft beneiden kann, ist die Szene<lb/> im Bade die rechte Vorbereitung. Zuerst unmerklich, dann unwiderstehlich<lb/> wird Dorothea von der Leidenschaft des eigentümlichen fremden Mannes er¬<lb/> griffe,,. Nachdem sie Heinrich Verheißers großes Bild gesehn hat, ists ihr,<lb/> „als wenn die Pore» ihrer Haut bis heute verschlossen gewesen wären, sodnß<lb/> sie heute zum erstenmale den Atem der Natur in sich zu trinken vermochte,<lb/> der in der Sommernacht aus den Tiefen der Erde dampft und den Geschöpfen<lb/> zuflüstert! das Leben — das Leben!" Nachdem er ihr in einem verzückten<lb/> Briefe seiue heiße» Empfindungen gestanden hat, flüstert sie, während sie sich<lb/> zu einem Diner ankleidet, bei dem sie mit ihm zusammentreffen soll, seine<lb/> Worte nach: Göttin! Gewaltige meiner Seele! „Eine Wolke von Sinnlichkeit<lb/> und Eitelkeit war um sie her und stillte den Raum wie ein schwerer narkotischer<lb/> Duft." Sie lauscht nach dem Diner den Erläuterungen, die er von seinem Bilde<lb/> des Gothentönigs Tejas giebt: daß es ihn gedrängt habe, einen Mensche» in<lb/> großer Verzweiflung zu schildern, „der sein Ganzes und sein Alles um eine<lb/> große Sache drangesetzt hat, und der nun dahinter kommt, daß alle Kraft,<lb/> aller Mut, alles Kämpfen und Ringen zu nichts hilft, wenn das Schicksal<lb/> gegen den Menschen ist," lauscht mit dem Schauern des Weibes, das die<lb/> Männlichkeit empfindet. So kommt später die Stunde, wo er sie in seine Arme<lb/> reißt und den Rausch der Leidenschaft und seiner Künstlerbewundrnng für ihre<lb/> leibliche Schönheit, ihre vornehm stolze Erscheinung vor ihr austobt. Sie<lb/> hat nicht die Kraft, ihn zurückzuweisen, aber noch die Kraft, sich von ihm los¬<lb/> zureißen; ihr vergangnes Leben, ihre durch des Künstlers Eingeständnis, daß<lb/> er sie vom Kopf bis zum Fuß kenne, beleidigte Mädchenwürde kommen ihr<lb/> zu Hilfe, sie zwingt den gewaltthätigen Künstler moralisch, sie und ihres Vaters<lb/> Hans zu verlassen. Der Künstler, dein damit eine schwindelnde Hoffnung<lb/> zerrinnt, daß eines schöne» Tages ein Engel zu ihm herabsteigen und ihn aus<lb/> dem dunkeln See erlösen werde, fügt sich ihrem Gebot mit einem bittern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
Lauter Liubänder
einer schlechthin kunstfeindlichen entgegentritt. Diese selbstbewußten, in ihrem
verzweifelten Ringen mit dem Leben nicht mürbe und sentimental, sondern
hart gewordnen Menschen, von der tiefsten berechtigten und unberechtigten
Verachtung gegen das ganze Philisterium erfüllt, innerlich nnr dem selbstge-
schafsucii Gesetz ihres Daseins gehorchend, haben etwas von dem naiven Kinde
und etwas von dem weltersahrnen Manne, etwas vom Genius und etwas
vom Raubtier in sich; wenigstens Heinrich Verheißer hat es. Daß er für
das schöne Mädchen, in dessen Nähe er plötzlich lebt, eine heiße Leidenschaft
saßt, hat Wildenbruch durch die Badeszene fast überflüssig motivirt; die bloße
körperliche Gegenwart Dvrvthens würde genügen, den leben^durstigen Maler
in Flammen zu setzen. Aber freilich für die zuletzt hervortretende schlimme
Thatsache, daß Herr Verheißer in Dorothea, obwohl er sie seine Göttin nennt,
nicht viel mehr und kaum etwas andres sehen kann, als ein Modell, ein
Modell, um das ihn die gesamte Künstlerschaft beneiden kann, ist die Szene
im Bade die rechte Vorbereitung. Zuerst unmerklich, dann unwiderstehlich
wird Dorothea von der Leidenschaft des eigentümlichen fremden Mannes er¬
griffe,,. Nachdem sie Heinrich Verheißers großes Bild gesehn hat, ists ihr,
„als wenn die Pore» ihrer Haut bis heute verschlossen gewesen wären, sodnß
sie heute zum erstenmale den Atem der Natur in sich zu trinken vermochte,
der in der Sommernacht aus den Tiefen der Erde dampft und den Geschöpfen
zuflüstert! das Leben — das Leben!" Nachdem er ihr in einem verzückten
Briefe seiue heiße» Empfindungen gestanden hat, flüstert sie, während sie sich
zu einem Diner ankleidet, bei dem sie mit ihm zusammentreffen soll, seine
Worte nach: Göttin! Gewaltige meiner Seele! „Eine Wolke von Sinnlichkeit
und Eitelkeit war um sie her und stillte den Raum wie ein schwerer narkotischer
Duft." Sie lauscht nach dem Diner den Erläuterungen, die er von seinem Bilde
des Gothentönigs Tejas giebt: daß es ihn gedrängt habe, einen Mensche» in
großer Verzweiflung zu schildern, „der sein Ganzes und sein Alles um eine
große Sache drangesetzt hat, und der nun dahinter kommt, daß alle Kraft,
aller Mut, alles Kämpfen und Ringen zu nichts hilft, wenn das Schicksal
gegen den Menschen ist," lauscht mit dem Schauern des Weibes, das die
Männlichkeit empfindet. So kommt später die Stunde, wo er sie in seine Arme
reißt und den Rausch der Leidenschaft und seiner Künstlerbewundrnng für ihre
leibliche Schönheit, ihre vornehm stolze Erscheinung vor ihr austobt. Sie
hat nicht die Kraft, ihn zurückzuweisen, aber noch die Kraft, sich von ihm los¬
zureißen; ihr vergangnes Leben, ihre durch des Künstlers Eingeständnis, daß
er sie vom Kopf bis zum Fuß kenne, beleidigte Mädchenwürde kommen ihr
zu Hilfe, sie zwingt den gewaltthätigen Künstler moralisch, sie und ihres Vaters
Hans zu verlassen. Der Künstler, dein damit eine schwindelnde Hoffnung
zerrinnt, daß eines schöne» Tages ein Engel zu ihm herabsteigen und ihn aus
dem dunkeln See erlösen werde, fügt sich ihrem Gebot mit einem bittern
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