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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bezeichnend für die moderne Litteratur ist die SpezialHumoreske. Der
eigentliche 5minor ist universal, er hat es nicht nötig, sich auf em für ihn
besonders günstiges Gebiet einzuschränken, nein, er gießt seine warmen Strahlen
über das ganze Menschenleben aus. Um so eher sucht sich der Witz em be¬
sondres Gebiet der Thätigkeit ans, er versteift sich mit Vorliebe auf gewisse
menschliche Verhältnisse, die von vornherein zum Komischen neigen, z. B. aus
das Soldaten-, das Bade-, das Kriminal- oder das Theaterleben. Greifen
wir nur eine Gattung aus deu vielen heraus, die Gymnasialhnmoreske, als
deren glücklicher Vater sich Ernst Eckstein rühmt. Schon bei dem "Meister"
selbst ist von eigentlichem Humor herzlich wenig zu verspüren. Meist ist es
ein schlechter Jugendstreich, der mit satirischer Bosheit und allerdings manch¬
mal recht witzig und geschickt erzählt wird, aber zuletzt bleibt bei dem auf¬
richtigen Leser'doch ein wenig befriedigender Eindruck zurück. Mau hat das
Gefühl: hier ist ein Mißstand gegeißelt worden; wenn er auch freilich sehr
komischer Art ist, so ist er doch nicht ganz so harmlos, wie es nach all den
Scherzen scheint, nur lacht man sich darüber hinweg. Dem Leser wird nicht etwa
das sonnige, wonnige Ghmnasiastenglück in deu erquickenden Farben des Hu¬
mors gemalt, souderu eine flüchtige Skizze geboten, die der Witz des Autor"
in wenigen schnellen. aber um so schärfern Strichen entworfen hat. Noch
schlimmer geht es bei den Nachtrctern Ecksteins her. Und doch könnte gerade
das frohe Gymnasiastenleben mit seinen tausendfachen kleinen Schulnöten, mit
seinen unnötigen und doch so romantischen Leiden heimlichen Liebeswehs, mit
seinen stolzen Trümmer einer großen Zukunft so reichen Stoff bieten für
wirklichen Humor, wie er z. B. bei Kügelgen und einigen andern zu finden
ist- Aber bei ihnen sind eben die echten kleinen Hnmoresken nur reizende
Episoden in einem großen Ganzen, mit der modernen "Spezialhumoreske" und
ihren effektvolle Lichtern haben sie nichts gemein. Schon die ganze Art der
Behandlung ist grundverschieden. Kügelgen erzählt uns naiv und treuherzig
von seiner Jugend, vielleicht auch mit einem Anflug gutmütigen Spottes,
völlig in der harmlosen und unbefangnen Art der betreffenden Zeit, die er
möglichst objektiv zu schildern sucht. Eckstein dagegen will gewisse Zustände
im Gymnasialleben möglichst grell beleuchten, um sich über deu Helden seiner
Humoreske und -- zugleich über den Leser lustig zu machen. Dort ruhige,
objektive Darstellung, hier Tendenz. Der einfache, wahre und dabei echt
humoristische Kügelgen nötigt uns zu einem heitern, manchmal vielleicht auch
etwas wehmütigen Lächeln, der übertreibende, sarkastische, witzige Eckstein bringt
uns zu einem schadenfrohen, manchmal auch verbitterten Gelächter. Welche
Wirkung vorzuziehen ist, darüber kann man ja streiten, doch mancher Leser
der vielgerühmten Gymnasialhumoresken Ecksteins hat wohl schon mit den
Worten des Dichters gesprochen: "Man merkt die Absicht, und man ist ver-
stimmt."


Grenzboten III 1893

Bezeichnend für die moderne Litteratur ist die SpezialHumoreske. Der
eigentliche 5minor ist universal, er hat es nicht nötig, sich auf em für ihn
besonders günstiges Gebiet einzuschränken, nein, er gießt seine warmen Strahlen
über das ganze Menschenleben aus. Um so eher sucht sich der Witz em be¬
sondres Gebiet der Thätigkeit ans, er versteift sich mit Vorliebe auf gewisse
menschliche Verhältnisse, die von vornherein zum Komischen neigen, z. B. aus
das Soldaten-, das Bade-, das Kriminal- oder das Theaterleben. Greifen
wir nur eine Gattung aus deu vielen heraus, die Gymnasialhnmoreske, als
deren glücklicher Vater sich Ernst Eckstein rühmt. Schon bei dem „Meister"
selbst ist von eigentlichem Humor herzlich wenig zu verspüren. Meist ist es
ein schlechter Jugendstreich, der mit satirischer Bosheit und allerdings manch¬
mal recht witzig und geschickt erzählt wird, aber zuletzt bleibt bei dem auf¬
richtigen Leser'doch ein wenig befriedigender Eindruck zurück. Mau hat das
Gefühl: hier ist ein Mißstand gegeißelt worden; wenn er auch freilich sehr
komischer Art ist, so ist er doch nicht ganz so harmlos, wie es nach all den
Scherzen scheint, nur lacht man sich darüber hinweg. Dem Leser wird nicht etwa
das sonnige, wonnige Ghmnasiastenglück in deu erquickenden Farben des Hu¬
mors gemalt, souderu eine flüchtige Skizze geboten, die der Witz des Autor«
in wenigen schnellen. aber um so schärfern Strichen entworfen hat. Noch
schlimmer geht es bei den Nachtrctern Ecksteins her. Und doch könnte gerade
das frohe Gymnasiastenleben mit seinen tausendfachen kleinen Schulnöten, mit
seinen unnötigen und doch so romantischen Leiden heimlichen Liebeswehs, mit
seinen stolzen Trümmer einer großen Zukunft so reichen Stoff bieten für
wirklichen Humor, wie er z. B. bei Kügelgen und einigen andern zu finden
ist- Aber bei ihnen sind eben die echten kleinen Hnmoresken nur reizende
Episoden in einem großen Ganzen, mit der modernen „Spezialhumoreske" und
ihren effektvolle Lichtern haben sie nichts gemein. Schon die ganze Art der
Behandlung ist grundverschieden. Kügelgen erzählt uns naiv und treuherzig
von seiner Jugend, vielleicht auch mit einem Anflug gutmütigen Spottes,
völlig in der harmlosen und unbefangnen Art der betreffenden Zeit, die er
möglichst objektiv zu schildern sucht. Eckstein dagegen will gewisse Zustände
im Gymnasialleben möglichst grell beleuchten, um sich über deu Helden seiner
Humoreske und — zugleich über den Leser lustig zu machen. Dort ruhige,
objektive Darstellung, hier Tendenz. Der einfache, wahre und dabei echt
humoristische Kügelgen nötigt uns zu einem heitern, manchmal vielleicht auch
etwas wehmütigen Lächeln, der übertreibende, sarkastische, witzige Eckstein bringt
uns zu einem schadenfrohen, manchmal auch verbitterten Gelächter. Welche
Wirkung vorzuziehen ist, darüber kann man ja streiten, doch mancher Leser
der vielgerühmten Gymnasialhumoresken Ecksteins hat wohl schon mit den
Worten des Dichters gesprochen: „Man merkt die Absicht, und man ist ver-
stimmt."


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[0041] Bezeichnend für die moderne Litteratur ist die SpezialHumoreske. Der eigentliche 5minor ist universal, er hat es nicht nötig, sich auf em für ihn besonders günstiges Gebiet einzuschränken, nein, er gießt seine warmen Strahlen über das ganze Menschenleben aus. Um so eher sucht sich der Witz em be¬ sondres Gebiet der Thätigkeit ans, er versteift sich mit Vorliebe auf gewisse menschliche Verhältnisse, die von vornherein zum Komischen neigen, z. B. aus das Soldaten-, das Bade-, das Kriminal- oder das Theaterleben. Greifen wir nur eine Gattung aus deu vielen heraus, die Gymnasialhnmoreske, als deren glücklicher Vater sich Ernst Eckstein rühmt. Schon bei dem „Meister" selbst ist von eigentlichem Humor herzlich wenig zu verspüren. Meist ist es ein schlechter Jugendstreich, der mit satirischer Bosheit und allerdings manch¬ mal recht witzig und geschickt erzählt wird, aber zuletzt bleibt bei dem auf¬ richtigen Leser'doch ein wenig befriedigender Eindruck zurück. Mau hat das Gefühl: hier ist ein Mißstand gegeißelt worden; wenn er auch freilich sehr komischer Art ist, so ist er doch nicht ganz so harmlos, wie es nach all den Scherzen scheint, nur lacht man sich darüber hinweg. Dem Leser wird nicht etwa das sonnige, wonnige Ghmnasiastenglück in deu erquickenden Farben des Hu¬ mors gemalt, souderu eine flüchtige Skizze geboten, die der Witz des Autor« in wenigen schnellen. aber um so schärfern Strichen entworfen hat. Noch schlimmer geht es bei den Nachtrctern Ecksteins her. Und doch könnte gerade das frohe Gymnasiastenleben mit seinen tausendfachen kleinen Schulnöten, mit seinen unnötigen und doch so romantischen Leiden heimlichen Liebeswehs, mit seinen stolzen Trümmer einer großen Zukunft so reichen Stoff bieten für wirklichen Humor, wie er z. B. bei Kügelgen und einigen andern zu finden ist- Aber bei ihnen sind eben die echten kleinen Hnmoresken nur reizende Episoden in einem großen Ganzen, mit der modernen „Spezialhumoreske" und ihren effektvolle Lichtern haben sie nichts gemein. Schon die ganze Art der Behandlung ist grundverschieden. Kügelgen erzählt uns naiv und treuherzig von seiner Jugend, vielleicht auch mit einem Anflug gutmütigen Spottes, völlig in der harmlosen und unbefangnen Art der betreffenden Zeit, die er möglichst objektiv zu schildern sucht. Eckstein dagegen will gewisse Zustände im Gymnasialleben möglichst grell beleuchten, um sich über deu Helden seiner Humoreske und — zugleich über den Leser lustig zu machen. Dort ruhige, objektive Darstellung, hier Tendenz. Der einfache, wahre und dabei echt humoristische Kügelgen nötigt uns zu einem heitern, manchmal vielleicht auch etwas wehmütigen Lächeln, der übertreibende, sarkastische, witzige Eckstein bringt uns zu einem schadenfrohen, manchmal auch verbitterten Gelächter. Welche Wirkung vorzuziehen ist, darüber kann man ja streiten, doch mancher Leser der vielgerühmten Gymnasialhumoresken Ecksteins hat wohl schon mit den Worten des Dichters gesprochen: „Man merkt die Absicht, und man ist ver- stimmt." Grenzboten III 1893

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/41>, abgerufen am 24.11.2024.