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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Aus Deutschlands trübster Zeit

die Friedensurkunde selbst eine große Anzahl von Bestimmungen enthielt, die
unklar waren und deshalb Anlaß zu laugen und erbitterten Streitigkeiten
gaben. Mit Mühe und Not hatte Friedrich Wilhelm von Brandenburg
wenigstens Hinterpommern vor den Schweden gerettet; Vorpommern mit den
gesamten Oderniederungen mußte er ihnen lassen. Nun trat aber die Königin
Christine, oder der unter ihrem Namen herrschende schwedische Adel (der sich
bezeichnenderweise der besten Grundstücke in den eroberten deutscheu Provinzen
Schwedens zu bemächtigen wußte) mit dem Verlangen hervor, daß Schweden
berechtigt sei, in allen Häfen Pommerns und Mecklenburgs die einträglichen
Seezölle zu erheben. Die Forderung war an sich ungeheuerlich. Die davon
betroffnen erklärten, daß Schweden ein solches Recht doch nur in deu durch
den Friede" schwedisch gewordnen Häfen in Anspruch nehmen könne. Aber
der Wortlaut des Friedens erwies sich in der That den schwedischen Ansprüchen
so günstig, daß nach fünfjährigem Verhandeln der Stettiner Grenzrezeß die
Entscheidung fällte, daß Brandenburg und Schweden alle Seezölle, Schiffs-
geldcr, eingezognen Güter nud Strafgelder "zu gleichen Teilen genießen"
sollten. So gelang es Schweden, das die politische Unterwerfung der Ostsee¬
küsten nicht vollständig erreicht hatte, doch die handelspolitische Obermacht
festzuhalten und das (lvminimu mal-is L^luci in dieser Hinsicht beinahe zur
Wahrheit zu machen. Noch schlimmer sah es mit dem französischen Vertrag
aus. Dieser sagte, daß der Kaiser und das Reich n. a. auf die Laudgrafschaft
von Ober- und Unterelsaß zu Gunsten Frankreichs verzichteten. Was bedeutete
hier der Ausdruck prsvtevwrs. xrovmoialis oder Landgrafschaft? War damit im
Sinne des mittelalterlichen Reichsrechts nur ein richterliches Reichsamt ge¬
meint, oder verknüpfte mau damit den Begriff einer Landeshoheit, wie mau
etwa von einer Landgrafschaft Hessen sprach? Die Franzosen legten und legen
das Wort natürlich im zweiten Sinne aus; auch scheint ihnen die ganze Fassung
des Artikels Recht zu geben. Noch in den letzten Jahrzehnten aber hat ein
litterarischer Gegensatz bestanden zwischen Legrette und Shbel (der nnter Laud¬
grafschaft nichts als eine "alte Magistratnr des Reichs" verstehen zu können
meinte), und schon dieser Gegensatz beweist, daß der Fall mindestens unklar war.
Nicht anders stand es mit dein Absatz, der Frankreich die Landvvgtei über die zehn
kleinern elsässischen Reichsstädte Kolmar, Hagenau, Kaisersberg, Landau, Münster,
Oberehnheim, Rosheim, Schlettstadt, Türkheim und Weißenburg übertrug und
doch gleichzeitig bestimmte, daß diese Städte reichsunmittelbar bleiben sollten.
Frankreich hatte sonach die Schutzherrschaft über diese Städte, bezog gewisse Ab¬
gaben aus ihnen und übte ein Aufsichtsrecht über die städtischen Wahlen; aber es
hatte nicht das Recht, diese Städte mit Truppen zu belegen oder dort Recht
M sprechen. Das Ganze war ein höchst verwickelter Zustand, der mit Not¬
wendigkeit entweder auf eine Wiederabstreisuug der französischen Ketten oder
auf völlige Einverleibung in Frankreich hindrängte. Man male sich nun aus,


Aus Deutschlands trübster Zeit

die Friedensurkunde selbst eine große Anzahl von Bestimmungen enthielt, die
unklar waren und deshalb Anlaß zu laugen und erbitterten Streitigkeiten
gaben. Mit Mühe und Not hatte Friedrich Wilhelm von Brandenburg
wenigstens Hinterpommern vor den Schweden gerettet; Vorpommern mit den
gesamten Oderniederungen mußte er ihnen lassen. Nun trat aber die Königin
Christine, oder der unter ihrem Namen herrschende schwedische Adel (der sich
bezeichnenderweise der besten Grundstücke in den eroberten deutscheu Provinzen
Schwedens zu bemächtigen wußte) mit dem Verlangen hervor, daß Schweden
berechtigt sei, in allen Häfen Pommerns und Mecklenburgs die einträglichen
Seezölle zu erheben. Die Forderung war an sich ungeheuerlich. Die davon
betroffnen erklärten, daß Schweden ein solches Recht doch nur in deu durch
den Friede» schwedisch gewordnen Häfen in Anspruch nehmen könne. Aber
der Wortlaut des Friedens erwies sich in der That den schwedischen Ansprüchen
so günstig, daß nach fünfjährigem Verhandeln der Stettiner Grenzrezeß die
Entscheidung fällte, daß Brandenburg und Schweden alle Seezölle, Schiffs-
geldcr, eingezognen Güter nud Strafgelder „zu gleichen Teilen genießen"
sollten. So gelang es Schweden, das die politische Unterwerfung der Ostsee¬
küsten nicht vollständig erreicht hatte, doch die handelspolitische Obermacht
festzuhalten und das (lvminimu mal-is L^luci in dieser Hinsicht beinahe zur
Wahrheit zu machen. Noch schlimmer sah es mit dem französischen Vertrag
aus. Dieser sagte, daß der Kaiser und das Reich n. a. auf die Laudgrafschaft
von Ober- und Unterelsaß zu Gunsten Frankreichs verzichteten. Was bedeutete
hier der Ausdruck prsvtevwrs. xrovmoialis oder Landgrafschaft? War damit im
Sinne des mittelalterlichen Reichsrechts nur ein richterliches Reichsamt ge¬
meint, oder verknüpfte mau damit den Begriff einer Landeshoheit, wie mau
etwa von einer Landgrafschaft Hessen sprach? Die Franzosen legten und legen
das Wort natürlich im zweiten Sinne aus; auch scheint ihnen die ganze Fassung
des Artikels Recht zu geben. Noch in den letzten Jahrzehnten aber hat ein
litterarischer Gegensatz bestanden zwischen Legrette und Shbel (der nnter Laud¬
grafschaft nichts als eine „alte Magistratnr des Reichs" verstehen zu können
meinte), und schon dieser Gegensatz beweist, daß der Fall mindestens unklar war.
Nicht anders stand es mit dein Absatz, der Frankreich die Landvvgtei über die zehn
kleinern elsässischen Reichsstädte Kolmar, Hagenau, Kaisersberg, Landau, Münster,
Oberehnheim, Rosheim, Schlettstadt, Türkheim und Weißenburg übertrug und
doch gleichzeitig bestimmte, daß diese Städte reichsunmittelbar bleiben sollten.
Frankreich hatte sonach die Schutzherrschaft über diese Städte, bezog gewisse Ab¬
gaben aus ihnen und übte ein Aufsichtsrecht über die städtischen Wahlen; aber es
hatte nicht das Recht, diese Städte mit Truppen zu belegen oder dort Recht
M sprechen. Das Ganze war ein höchst verwickelter Zustand, der mit Not¬
wendigkeit entweder auf eine Wiederabstreisuug der französischen Ketten oder
auf völlige Einverleibung in Frankreich hindrängte. Man male sich nun aus,


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[0407] Aus Deutschlands trübster Zeit die Friedensurkunde selbst eine große Anzahl von Bestimmungen enthielt, die unklar waren und deshalb Anlaß zu laugen und erbitterten Streitigkeiten gaben. Mit Mühe und Not hatte Friedrich Wilhelm von Brandenburg wenigstens Hinterpommern vor den Schweden gerettet; Vorpommern mit den gesamten Oderniederungen mußte er ihnen lassen. Nun trat aber die Königin Christine, oder der unter ihrem Namen herrschende schwedische Adel (der sich bezeichnenderweise der besten Grundstücke in den eroberten deutscheu Provinzen Schwedens zu bemächtigen wußte) mit dem Verlangen hervor, daß Schweden berechtigt sei, in allen Häfen Pommerns und Mecklenburgs die einträglichen Seezölle zu erheben. Die Forderung war an sich ungeheuerlich. Die davon betroffnen erklärten, daß Schweden ein solches Recht doch nur in deu durch den Friede» schwedisch gewordnen Häfen in Anspruch nehmen könne. Aber der Wortlaut des Friedens erwies sich in der That den schwedischen Ansprüchen so günstig, daß nach fünfjährigem Verhandeln der Stettiner Grenzrezeß die Entscheidung fällte, daß Brandenburg und Schweden alle Seezölle, Schiffs- geldcr, eingezognen Güter nud Strafgelder „zu gleichen Teilen genießen" sollten. So gelang es Schweden, das die politische Unterwerfung der Ostsee¬ küsten nicht vollständig erreicht hatte, doch die handelspolitische Obermacht festzuhalten und das (lvminimu mal-is L^luci in dieser Hinsicht beinahe zur Wahrheit zu machen. Noch schlimmer sah es mit dem französischen Vertrag aus. Dieser sagte, daß der Kaiser und das Reich n. a. auf die Laudgrafschaft von Ober- und Unterelsaß zu Gunsten Frankreichs verzichteten. Was bedeutete hier der Ausdruck prsvtevwrs. xrovmoialis oder Landgrafschaft? War damit im Sinne des mittelalterlichen Reichsrechts nur ein richterliches Reichsamt ge¬ meint, oder verknüpfte mau damit den Begriff einer Landeshoheit, wie mau etwa von einer Landgrafschaft Hessen sprach? Die Franzosen legten und legen das Wort natürlich im zweiten Sinne aus; auch scheint ihnen die ganze Fassung des Artikels Recht zu geben. Noch in den letzten Jahrzehnten aber hat ein litterarischer Gegensatz bestanden zwischen Legrette und Shbel (der nnter Laud¬ grafschaft nichts als eine „alte Magistratnr des Reichs" verstehen zu können meinte), und schon dieser Gegensatz beweist, daß der Fall mindestens unklar war. Nicht anders stand es mit dein Absatz, der Frankreich die Landvvgtei über die zehn kleinern elsässischen Reichsstädte Kolmar, Hagenau, Kaisersberg, Landau, Münster, Oberehnheim, Rosheim, Schlettstadt, Türkheim und Weißenburg übertrug und doch gleichzeitig bestimmte, daß diese Städte reichsunmittelbar bleiben sollten. Frankreich hatte sonach die Schutzherrschaft über diese Städte, bezog gewisse Ab¬ gaben aus ihnen und übte ein Aufsichtsrecht über die städtischen Wahlen; aber es hatte nicht das Recht, diese Städte mit Truppen zu belegen oder dort Recht M sprechen. Das Ganze war ein höchst verwickelter Zustand, der mit Not¬ wendigkeit entweder auf eine Wiederabstreisuug der französischen Ketten oder auf völlige Einverleibung in Frankreich hindrängte. Man male sich nun aus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/407>, abgerufen am 24.11.2024.